Ruhe und Frieden

Kennst du das, das Gefühl, dass du alles so satt hast, dass du denkst, wenn dir jetzt schon wieder so ein Vollpfosten dumm kommt, dass du dann nur noch schreist und mit allem wirfst, was bei dir rumsteht, um keinem den Schädel einzuschlagen, und dir scheißegal ist, dass du sowieso diejenige bist, die die Sauerei wieder wegmachen muss? Dieses Gefühl, dass heute alle den Kopf nur deswegen oben tragen, damit es in den Hals nicht reinregnet, aber ansonsten vergessen haben, was sie damit anfangen sollen? Erst Mittag und jede rote Ampel dein persönlicher Feind, heute sind wirklich nur Idioten unterwegs, und dann gerätst du auf der Fahrt durch die Stadt in einen Stau, das musste ja passieren, und heulst beinahe, weil alles, was du willst, ist deine Ruhe und deinen Frieden und Vorwärtskommen und Fertigwerden und kein locker-flockiges Dummgeschwätz aus dem Radio, kein Gegrinse aus der Angeberkarre neben dir, und, wenn es dann endlich doch weitergeht, erst recht keine quietschenden Reifen. Sollen die sich doch an der nächsten Laterne zerlegen, für die wäre ein Baum echt zu schade.

Oh Ruhe, Ruhe, himmlische Stille, könnt ihr nicht mal alle euren Kram erledigen, ohne dass man euch extra dafür an die Hand nehmen muss und mich einfach nur zufriedenlassen? Los jetzt, beeilt euch, ihr müsst euch nicht an der Kasse über das Gör von Jennifer-Jasmin die Mäuler zerreißen und die ganze Schlange aufhalten, ihr habt alle die Haare schön, Mädels, seht zu, dass ihr Land gewinnt, ich will es gar nicht wissen, kapiert ihr das denn nicht? Oh, wenn ich jetzt nicht bald einen Kaffee und was Süßes bekomme, dann rege ich mich richtig auf, und dann ist es bestimmt besser, wenn ihr nicht in meiner Nähe seid, es ist gesünder, ich garantier es euch.

„Luca? Weißt du, was mit der Chefin ist? Die sitzt draußen und raucht und guckt so komisch.“
„Bring ihr ihren Kaffee und sprich sie besser nicht an. Hast du ihre Schokobombe schon fertig?“

Er ist klug, mein Luca. Er muss mich nur ansehen, dann weiß er, was es geschlagen hat. Dass ich jetzt mein Lieblingseis brauche. Und einen doppelten Espresso. Und keine Fragen. Ich glaube, ich habe ihn im letzten Sommer ganz schön geschockt. Aber die Renovierung ist gut geworden. Und von der Versicherung würden wir auch nicht nochmal so viel Kohle bekommen. Ich seh die Fresse von dem Bullen immer noch: „Und das war in der Eisdiele?“ Junge, glaub mir, du willst es nicht wissen.

 


 

Auch ich bin bei Gedanken an Eisdielen, speziell die meiner Kindheit, eher weichgespült und gefräßig. Von daher versetzte mich Juttas Schreibanregung „Und das war in der Eisdiele?“ eher in ein gepflegtes Gähnen als in ein erwartungsfreudiges Oh ja.
Bis, ja, bis meinem Kopf jene Frau entstieg und ich entschied, dass es zu ihr passen würde, Chefin einer Eisdiele zu sein.

 

Schoko-Eisbecher – 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

 

35 Kommentare zu “Ruhe und Frieden

  1. Jetzt wollte ich kurz fragen…was…du hast eine Eisdiele???
    Dann fielen die Schuppen von den Augen…
    Heute ist nicht mein Tag…habe meine Fahrkarte, Geld, Geldkarte…alles zu Hause liegen lassen und schummle mich so durch den Tag.
    Dir wünsche ich viel schöneres…dieses Eis z.B.<3

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  2. Gefällt mir sehr, dieser kein bisschen weichgespülte Ton und ich werde ab jetzt für möglich halten, dass sich hinter dem freundlichen Lächeln des Eisverkäufers abgründige Welten verbergen. Vielen Dank!

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  3. Wie sagt man auf Neuhochdeutsch? You made my day…die Geschichte ist einfach nur herrlich, in die Befindlichkeiten von Frau Chefin kann ich mich ganz gut reinfinden. Jaja…die täglichen Vollpfosten, die das Fass zum Überlaufen bringen. Klasse.

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  4. Ich will auch eine Eisdiele oder wenigstens eine Schokobombe, ach, überhaupt: Eis 😉
    Ein toller Text ganz nach meinem Geschmack, ein bisschen hintergründig, ein bisschen Gesellschaftskritik. Fein!
    LG, Ingrid
    (Ein bisschen ging’s mir gestern auch so, auch wenn das nichts mit ‚Eisdiele‘ zu tun hat.

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  5. Frustgedanken zu einem Tag, an dem alles anders läuft, als es sollte und frau hat einen Hals und kann nicht verstehen, daß es heute nicht Friede, Freude Eierkuchen ist, sondern trübe und frustig, trotz Eisdiele und einer tollen Renovierung, die erst ein Jahr zurückliegt.
    Also her mit den Espressi und der Schokobombe, damit alles wieder gut werden kann und der Tag gerettet…

    Leicht amüsierte Grüße von Bruni, die eigentlich nie sofort und auf der Stelle einen Espesso braucht, sondern eher ein Stück Obstkuchen mit einer hohen Baiserhaube, das hilft gut.
    Versuch es doch mal *g*, Frau Eisdielenchefin

    Feiner Text, liebe Christiane

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    • „Hab ich ne Eisdiele oder bin ich Bäcker?“
      Tut mir leid, Bruni, sie steht nicht so auf Obstkuchen, glaube ich. 😉
      Liebe Grüße in den Süden
      Christiane, bei der es stürmt und schüttet

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    • In Hamburg haben in aller Regel Eisdielen nur Eis. Es sei denn, es wäre im Umkreis weit und breit kein Bäcker, was in Hamburg aber extrem selten ist.
      (Du hast es gut.)
      😉

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  6. dier haben dort einen Konditor, der täglich backen MUSS, sonst geht es es ihm nicht gut – wirklich wahr *lach*.Beim Kuchenbacken ist er glücklich. Es ist sein großes Hobby

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