Adjektive und nasse Fellträger

Wenn Leute über Schreibratgeber sprechen, dann lese ich relativ häufig, dass Adjektive „von Übel“ seien. Meistens in Verbindung mit dem wunderbaren „Show, don’t tell“ („Zeigen, nicht erzählen“). Ich halte das zwar für eine radikale und zum Teil unzulässige Verkürzung, bin an dem Thema aber bisher weder dran noch damit durch.

Ich muss allerdings zugeben, dass diese meine Beschreibung einer verregneten Nacht einprägsamer ist als nur zu sagen, dass sie SEHR verregnet war. Dafür ist sie erheblich länger. Spoiler: Achtung, Cat-Content! 😀

 

Der Regen trommelt auf mein Dachfenster und ich höre, dass sich die Bäume im Wind bewegen. Ich liebe das. Umdrehen, einkuscheln, weiterschlafen, die Silhouetten zeichnen sich verschwommen an der Wand ab, es ist noch dunkel. Draußen erhebt sich ein Katzchenstimmchen. „Mau! Maaaaauuuuu! Miiiiiaaaaaaauuuuu! Ich bin hier, lass mich rein, bitte bitte bitte!“
Nun haben wir einen Deal, der Fellträger und ich: Wenn er es schafft, mich wach zu machen, stehe ich auch auf. Ich fluche, tappe die Treppe hinunter zur Tür und öffne. Auftritt Fellträger.

Er ist ein stattliches Exemplar mit viel Fell in voller Blüte seiner Katerkraft. Normalerweise. Jetzt klebt das Fell am Körper, an seinen Seiten läuft Wasser hinunter und die Pfoten hinterlassen Schmutzspuren und Wasserlachen auf dem Laminat. Gefühlt halb so groß wie sonst, hätte ich fast Zweifel, dass das meine Katze ist. Natürlich habe ich sein Handtuch parat, natürlich lässt er sich gern abtrocknen. Er schüttelt sich wie ein frisch gebadeter Hund, Tropfen fliegen. Dann dreht er sich um und stellt sich an die schon wieder geschlossene Tür. Nanu? Ich öffne, er macht ein paar Schritte nach draußen, senkt den Kopf, beißt herzhaft zu, dreht sich wieder um und möchte mit einer eindeutig bereits toten Maus nach drinnen. Ohne jeden Zweifel, um sie im Trockenen zu fressen.

„Spinnst du?“ frage ich ihn und wehre ihn mit dem Handtuch ab. „Wie kommst du darauf, dass du mit einer Maus über die Schwelle kommst?“ Nun ist genau das schon häufiger passiert. Er versucht, Mäuse reinzubringen, legt sie neben seinem Futter ab, um sich sattzufressen und sich dann danach den Mäusen zu widmen. Die leben aber meist noch. Ja, sehr lustig.
Diese Maus ist glücklicherweise sehr tot.

„Entscheide dich“, sage ich zu ihm. „Du oder die Maus.“ Er sieht mich an, kauert sich hin, beißt erneut in die Maus und fängt an, sie zu verspeisen. Ich höre kleine Knochen krachen.
Muss ich mir das ansehen? Wirklich nicht.
„Alles klar“, sage ich zu ihm, „bis in ein paar Stunden“, und schließe die Tür.

Er kommt in der Morgendämmerung nach Hause. Das Miau ist nicht leiser, das Fell nicht trockener, aber er ist ohne Mäusebegleitung. Schlägt sich den Bauch mit Futter voll, rollt sich auf seiner Decke zusammen und fällt in Tiefschlaf.

 

nasse Katze – 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Wünsche euch einen wunderbaren Tag, ob nass oder trocken! 🙂

 

41 Kommentare zu “Adjektive und nasse Fellträger

  1. Show, don’t tell, ist keine Regel, die man sklavisch befolgen muss. Genau diesen Fehler begehen aber viele Schreiberlinge, die sich mit Schreibtechniken beschäftigen. Sie lesen schlaue Bücher und sind danach völlig verwirrt. Der Leser möchte Bilder sehen, der Schriftsteller muss sie ihm nur zeigen. Wie, das ist die Kunst, über die sich Pseudoliteraten in diversen Foren streiten. Ich bin da seit Jahren weg und schreibe (fast) keine literarischen Texte mehr.

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    • Ich habe gar nicht vor, mich in diese Kreise zu begeben, jedenfalls nicht im Moment. Allerdings fängt mich gerade neben dem Inhalt auch die Technik an zu interessieren. Lerne die Regeln und breche sie (wenn du weißt, was du tust) oder so.

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      • Vor einigen Jahren hatte ich mich mit dem Thema beschäftigt und war auch in einem Literaturforum unterwegs. Diverse Bücher und verbale Schlachten später, habe ich ihm dem Rücken gekehrt. Sprache ist toll, du kannst so viel ausdrücken (wollen) und doch oft missverstanden werden. 😉

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        • Man kann auch mit Absicht missverstanden werden. Ich vermute, dass auch deine Art gelegentlich nicht nur Begeisterung hervorruft, nicht (nur) aufgrund des Inhalts deiner Posts. Und gerade in Foren gibt es immer Platzhirsche, denen mensch leicht aufs Ego treten kann … :-D. Gruppendynamik *seufz*. Oft ärgerlich.
          Liebe Grüße
          Christiane

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  2. Adjektive in Maßen und nur passende, keine gewaltsam herangeschleppten und auch keine, die sich selbst in die Höhe schrauben und da oben ihren Höhenrausch erleben.

    Ein Mittelmaß macht es auch hier, aber bloß nicht im Mittelmaß landen, das wäre schon wieder fatal.

    Ich kenne Regeln, jede Menge und breche sie freudig und häufig 🙂 , gerade wie es mir passt.

    Dein Fellträgertext beweist geradedzu wundervoll, wie Du Dich nicht in Regeln verrennst, sondern Dich mit gutem Gefühl dem wundervollen Fellträger und seinem Objekt der Begierde widmest.

    Ich seh ihn da vor Dir stehen, pitschnaß und sich schüttelnd, daß die Tropfen nur so fliegen und ich sehe die Maus, höre ihre Knöchlein brechen. Deine Bilder sind sehr klar und entstehen ohne jegliche Schlieren vor meinen Augen, also hast Du es richtig gemacht. Was will frau mehr?

    Ich liebe Katzen wirklich sehr, aber von mir aus könnten sie gerne auf die Mäusejagd verzichten… und auf das Präsentieren ihrer Jagdbeute 🙂

    Lieber Gruß von mir

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  3. tja, ich meine halt, daß der sogenannte Freigang (erinnert mich stark an Knast) der Katze das erlaubt, was das Natürlichste der Welt für sie ist und wollen wir ihnen das Recht auf diese Freiheit verwehren? Ich brachte es nie über´s Herz…

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    • Na ja. Es gibt Regeln, die sind einfach nur bescheuerte Gängelei, da stimme ich dir zu. Andere sind irgendwann mal mit Bedacht und nicht ohne Grund aufgestellt worden, die sollte man erst mal verinnerlichen. Danach kann man darüber (wie nenne ich das) vielleicht hinauswachsen, sich darüber hinaus entwickeln. Und dann gibt es selbstverständlich auch die Schreibmenschen, die vor (ich nenn das jetzt mal so) Genie einfach platzen, und für die Regeln noch nie erfunden wurden. Alles unterschiedliche Ansätze. Kommt natürlich auch drauf an, wie ernst man das eigene Schreiben nimmt, und das ist ja auch völlig okay so. Nicht jeder will Goethe oder Stephen King oder J.K. Rowling werden …. 🙂
      Aber du magst meinen Fellträger-Text. Danke! 😀
      Liebe Grüße
      Christiane

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  4. Sehr bildlich, dein Text, liebe Christiane, und nicht über- oder untertrieben bildlich. Da ich die Ehre habe, deinen Fellträger persönlich zu kennen, muss ich sagen: Portrait wohl getroffen :-)! Dieser Schlingel!

    Adjektive. Sie müssen sein, aber auch gut gewählt sein. Da ich meist auf Englisch schreibe, und mein Wortschatz in der Sprache nicht unwesentlich aber doch limitierter ist als im Deutschen, kann ich ein Lied vom Suchen in Nunancen und Konnotationen singen, Gratwanderungen in den Abründen der Wortfindung. Aber macht gerade das nicht den Reiz des Schreibens aus? Meinen Geschmack triffst du jedenfalls mit deinen Worten, treffende Worte also :-). Vielen Dank!

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    • Liebe Iris, ja, das macht (auch) den Reiz des Schreibens aus, finde ich absolut. Und da deine Haikus etc. ja noch viel mehr vom einzelnen Wort leben, stehst du unter viel größerem Wortfindungsdruck als ich mit meinen Prosaskizzen.
      Freut mich sehr, dass du das kleine Biest wiedererkannt hast!
      Liebe Grüße
      Christiane + ein tiefschlafender Fellträger (ohne Maus)

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  5. Was wären ein wundervoller Tag, ein nasser Fellträger und eine tote Maus ohne Adjektive? Wie wären noch nicht einmal banal (denn das wäre ja auch ein Adjektiv). – Sie wären nur. Ein Tag, eine Katze, eine Maus. EINE MAAAAUS??? … 😀
    Fazit: Weiter mit den Adjektiven!
    LG – Wolfgang

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