Wer Wind sät … | abc.etüden

Sie sei gegen die Tür gelaufen, behauptete er. Als ihm keiner so richtig glaubte, versuchte er es damit, dass ihm halt die Hand ausgerutscht sei. Könne ja mal passieren und käme nicht wieder vor. Sie wusste es besser.
Wann war ihr eigentlich klar geworden, dass ihr Mann, der ihr geschworen hatte, treuer als Gold und immer an ihrer Seite zu sein, das wörtlich nahm: jeden ihrer Schritte zu kontrollieren und zu bestimmen? Und der schon verzweifelt laut wurde und weinte und bat, ihn nicht zu verlassen, wenn sie sich – ohne ihn zu fragen! – hin und wieder die kleine Freiheit herausnahm, allein am Fluss spazieren zu gehen.
Prügel und blaue Flecken waren jedoch eine neue Dimension des Problems, und sich seinen unkontrollierbaren Ängsten ausgeliefert zu fühlen, ließ sie kaum mehr zur Ruhe kommen. Als sie ihn vor der Tür des Schlafzimmers nach ihr brüllen hörte, fasste sie nach dem Küchenmesser, das seit ein paar Tagen griffbereit neben ihr lag. Was passieren würde und wann, wusste sie nicht, aber zurück ging nicht mehr. Wer Wind sät, würde Sturm ernten.

 

abc.etueden schreibeinladung 05.17 | lzVisuals mit freundlicher Genehmigung von ludwigzeidler

 

Textstaub’sche abc.etüden, KW 5/ 17. Kürzestgeschichten in 10 Sätzen um die Liebe. Vorgegebene Wörter: Hand, Wind, Gold.
Dieses Mal ein garstig Lied, ich weiß. Seid versichert, dass ich nicht der Meinung bin, dass die von mir geschilderte Lösung die beste ist, und schon gar nicht die einzige.

 

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53 Kommentare zu “Wer Wind sät … | abc.etüden

    • Ich war nie in der geschilderten Situation, daher kommt es mir so vor, als spräche hier ein bisschen der Blinde von der Farbe. Andererseits glaube auch ich, dass es nicht komplett unrealistisch ist. Danke dir, freut mich, dass du es magst!
      Liebe Grüße
      Christiane

      Gefällt 4 Personen

  1. Das du dich entschuldigst wie die Geschichte verläuft muss nicht sein. Beim schreiben ist alles möglich. Sonst müsste man ja Autoren verhaften. Die Freiheit lässt alles zu.
    Und sogar im Leben gibt es fatale Wendungen.
    Ich finde du hast es gut in Sätze gepackt. Dramatisch und hart.
    Auch dies kann die Liebe sein.

    Gefällt 6 Personen

  2. Liebe Christiane,
    du hast in 10 Sätzen das ganze Drama so vieler Frauen (und Männer) erzählt- klasse, wenn auch der Stoff so wahr, wie fürchterlich ist!
    Was mich noch nachdenklich stimmt ist, dass ich jetzt auch schon zwei Texte geschrieben habe und alle haben einen sehr ernsten, traurigen touch- ob dies diese drei Worte machen?
    herzliche Abendgrüsse
    Ulli

    Gefällt 3 Personen

  3. Kürzlich ist doch in Frankreich von Hollande persönlich eine Frau begnadigt worden, die ihren Mann umgebracht hat, nachdem er sie jahrzehntelang gequält hatte.
    Deine Geschichte finde ich sehr gut

    Gefällt 2 Personen

    • Ja, jahrzehntelang, ich hatte es auch gehört. Hab noch gedacht, wie selten derartige Begnadigungen vermutlich trotzdem sind.
      Freut mich, dass du sie magst.
      Liebe Grüße
      Christiane

      Gefällt 1 Person

  4. Du hast eine total packende Geschichte geschrieben, liebe Christiane
    Sie packt ein Thema an, bei dem jede Frau, selbst wenn sie es GottseiDank nie erleben mußte, weiß, daß es oft genug passiert und immer passierte.
    Ob es nun die Frau ist, die quält oder der Mann ist fast nebensächlich, es ist diese bodenlose grausame Gewalt, die dem nächsten Menschen angetan wird und dann die hoffnungslose Hoffnung auf Besserung…, in der schon die Resignation steckt.

    Wäre Deine Geschichte nicht gut, hättest Du nicht diese große Resonanz.

    Lieber Gruß von Bruni an Dich

    Gefällt 1 Person

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