Hoher Einsatz | abc.etüden

Ich habe zu Hause ein blaues Klavier und kenne doch keine Note. Sie sei eben ein Versager, sagte ihre Mutter, und leider so ganz anders als ihr Bruder. Es steht im Dunkel der Kellertür, seitdem die Welt verrohte. Ihr Gesicht war dagegen schon ziemlich milchweiß, um nicht zu sagen käsig, wie ihr ein Blick in den Toilettenspiegel bescheinigte. Zerbrochen ist die Klaviatür … ich beweine die blaue Tote. Ach, nicht wirklich, aber ihr Arm war jedenfalls inzwischen rostrot, rostrot wie der Fluss aus Blut, der ihn bedeckte, und tat saumäßig weh.

„Komm da raus, ich weiß doch genau, dass du das nur gemacht hast, damit du nicht üben musst“, hörte sie ihre Mutter herumschreien. Sie taumelte beim Aufstehen und befürchtete einen Moment, dass sie das mit dem Schneiden vielleicht doch ein bisschen übertrieben hatte. Wenn ihre Mutter auch kein Blut sehen konnte, würden sie beide gleich umkippen.
Womit ihre Pianistinnenkarriere und dieser widerliche Klavierlehrer bestimmt endgültig Geschichte wären.

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Sollte sich jemand fragen, was ich da zitiere (kursiv): Else Lasker-Schüler, Mein blaues Klavier, aus dem gleichnamigen Gedichtband (Quelle).

 

abc.etueden schreibeinladung 13.17 1 | lzVisuals mit freundlicher Genehmigung von ludwigzeidler

 

Für die abc.etüden des Herrn lz: 3 Worte, maximal 10 Sätze. Die Worte stammen in dieser Woche von dergl (Fädenrisse) und lauten: Rost, milchweiß und Fluss.

 

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52 Kommentare zu “Hoher Einsatz | abc.etüden

  1. geniale Geschichte…wirkt so locker wie die Protagonistin…ich mag den Switch am Ende und habe echt aufgeatmet…fühlte sich einen Moment lang nach blutrünstigem Mord an, lach. Danke für diesen schönen Start in den Tag! Mal sehen, was ich heute noch zusammenschreibe….
    liebe Grüße
    Carmen
    PS: der Frühling ist ausgebrochen bei uns! Habe gestern eine stundenlange Gartenschicht eingelegt und war danach völlig erledigt!

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    • Ich hatte einen Anfang, der voll in die „Dramaqueen“-Richtung ging. Beim zweiten Versuch war es ein Selbstmord aus (keine Ahnung, vielleicht) Liebeskummer. Aber die gelangen nicht, und dann hatte ich plötzlich diese Mutter …
      Mach mal, bin gespannt, wer aus deinem Kopf schlüpft!
      Hier nestbauen und singen die Vögel vom Feinsten, und eigentlich möchte man gar nicht an den Computer …
      Liebe Grüße
      Christiane

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    • Danke für die Antwort, ich wollte nur sichergehen, dass wir über dasselbe sprechen. Ich dachte, SV wäre nach wie vor weit verbreitet, ich weiß, dass es mal viel stärker in den Medien thematisiert wurde, du hast mit den Nullerjahren da bestimmt recht.
      Ich weiß darüber sehr wenig aus eigener Erfahrung (incl. Umfeld) und bin deshalb da sehr knapp geblieben, warum sie es macht, ob das nun ein halbherziger Selbstmordversuch oder etwas anderes war, und ja, auch der widerliche Klavierlehrer sollte neben den Ansprüchen der Mutter eine mögliche Begründung abgeben.
      Leider bekomme ich Leute aus derartigen Situationen nicht so einfach raus wie Nixen aus dem Aqaurium, nicht mal schreiberisch. Andererseits finde ich das auch angemessen.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  2. An das blaue Klavier musste ich auch sofort denken, ob es denn so gemeint war? M… ich weiss schon, es gibt die Kinder, die wegen der Überei leiden, aber es gibt auch die, die es lieben oder gerne geübt hätten, wie ich, aber wie, so ohne Klavier?
    Klasse Geschichte mal wieder, liebe Christiane!
    Herzliche Grüsse
    Ulli

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    • Offensichtlich liegt mir sie, die etwas so sehr nicht will (aus welchen Gründen auch immer), näher als eine, die etwas total will. Auf die umgekehrte Idee wäre ich nicht gekommen. Interessante Beobachtung, ich danke dir für den Anstoß.
      Andererseits hatte ich als erstes das blaue Klavier im Kopf und wollte unbedingt ein bisschen Drama generieren …
      Liebe Grüße
      Christiane 😉

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  3. Es war eine geniale Idee, mit dem blauen Klavier etwas zu machen und die duster skurile Geschichte ist Dir messerscharf gut gelungen, liebe Christiane.
    Kein einziger Sozialarbeiter wird Dir an die Gurgel gehen, ist doch sehr klar zu erkennen, daß da nur ein hintergründigmorbider Humor, dem englischen sehr ähnlich, vordergründig versteckt liegt … 🙂

    Mir liegt Deine etwas schräge Art des Schreibens sehr.

    Lieber Gruß von mir
    PS Wie wärs mit der Anna Blume für die nächste … ?

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    • Ach, die famose Anna Blume? Die merke ich mir lieber für Frühlingsgefühle vor, liebe Bruni … oder so.
      Du findest, ich schreibe schräg? Hui, danke für das Kompliment, das höre ich gern, ich bin immer neugierig zu erfahren, was anderen an meinem Schreiben gefällt … 😀
      Vergnügte Grüße und danke!
      Christiane, singing in the rain

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      • ja, gewissermaßen mit spitzer Feder, die aber nicht verletzen möchte …

        Dein Gruß klingt nach guter Laune, trotz oder gerade wegen Regen?

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        • Ach, ich mag Regen, das Geräusch auf dem Dach, die nasse Katze weniger. Schön ist auch, dass es gerade dabei nicht kalt ist, immer noch 10 Grad, das ist für Hamburg nachts sehr okay.
          Und wenn es die nächsten Tage wirklich noch wärmer und sonniger werden sollte (heute war es den ganzen Tag trüb), dann kann ich den Blättern beim Wachsen zusehen, das ist auch toll.

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