Die unmögliche Tatsache

 

Palmström, etwas schon an Jahren,
wird an einer Straßenbeuge
und von einem Kraftfahrzeuge
überfahren.

»Wie war« (spricht er, sich erhebend
und entschlossen weiterlebend)
»möglich, wie dies Unglück, ja –:
daß es überhaupt geschah?

Ist die Staatskunst anzuklagen
in bezug auf Kraftfahrwagen?
Gab die Polizeivorschrift
hier dem Fahrer freie Trift?

Oder war vielmehr verboten,
hier Lebendige zu Toten
umzuwandeln, – kurz und schlicht:
Durfte hier der Kutscher nicht –?«

Eingehüllt in feuchte Tücher,
prüft er die Gesetzesbücher
und ist alsobald im klaren:
Wagen durften dort nicht fahren!

Und er kommt zu dem Ergebnis:
»Nur ein Traum war das Erlebnis.
Weil«, so schließt er messerscharf,
»nicht sein kann, was nicht sein darf.«

(Christian Morgenstern, Die unmögliche Tatsache, aus: Palmström, 1922, Online-Quelle)

 

oldtimer | 365tageasatzaday
Quelle: Pixabay

 

Mein dieswöchiges Montagsgedicht gehört zu denen, die ich schon als Kind heiß und innig liebte, weil ich die Überspitzung ins Absurde so mochte. Da wird jemand überfahren, steht wieder auf und findet heraus, dass er gar nicht tot sein kann, weil Autos dort nicht fahren durften. Wie genial ist das denn bitte!
Ähnlichkeiten mit der Politik waren vermutlich damals wie heute selbstverständlich nicht gegeben …

Kommt gut in die neue Woche!

 

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20 Kommentare zu “Die unmögliche Tatsache

    • Irgendwie. Ich meine, er regt sich kunstvoll künstlich auf, das ja. Aber Kunst?
      Morgenstern hatte eine sehr (heute würde man sagen) spirituelle Ader, das wird oft nicht gesehen, wenn die Leute nur die „Galgenlieder“ kennen. Schau mal in „Stufen“ (online bei Gutenberg) rein, falls es dich interessieren sollte.
      Eine gute Woche euch und Grüße
      Christiane

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    • Ja, das geht mir auch so mit dem Lächeln. Und mehr will ich am Montagmorgen auch gar nicht.
      Noch-sonnige Grüße zurück, immerhin sind die Temperaturen noch zweistellig
      Christiane

      Gefällt 2 Personen

  1. das passt mal wieder wie die Faust aufs Auge … äh, nee, schifer Vergleich. Ich liebe dies Gedicht auch schon lange. Mögen die Katastrophen, die nicht sein dürfen, tatsächlich nicht eintreten! LG Gerda

    Gefällt 2 Personen

  2. Ich fand das Gedicht schon als ich es zum erstenmal hörte oder las, und das ist einige Zeit her, toll. Erinnert mich etwas an Heinz Erhard. Oder eher umgekehrt. „Noch`n Gedicht“.
    Hinter eines Baumes Rinde
    lebt die Made mit dem Kinde.
    (…)
    Wie es genau weitergeht weiß ich nicht auswendig. Jedenfalls ähnlich.
    Gruß Christoph

    Gefällt 1 Person

    • Hallo Christoph, das Gedicht, das du meinst, ist vermutlich eins der bekanntesten von Heinz Erhardt: Die Made. Wenn du es noch mal lesen willst, es findet sich hier: http://www.heinz-erhardt.de/html/satierliches.html
      Leider sollte man aus Urheberrechtsgründen sehr vorsichtig mit dem Zitieren von Heinz Erhardt sein, daher auch mein Link, oder man braucht eine Genehmigung von den Rechteinhabern.
      Und klar, es sind beides großartige Künstler, deren Metier (auch) Humor war, aber sonst finde ich die beiden eigentlich nicht sehr ähnlich. Ich muss allerdings gestehen, dass ich kein großer Erhardt-Fan bin.
      Liebe Grüße
      Christiane

      Gefällt 1 Person

  3. Morgensternscher leiser und treffsicherer Humor, der eine so irrwitzig *logische* Schlußfolgerung zieht, ist wie ein sorgfältig eingepacktes Schmunzelpaket, das man/frau immer wieder von Herzen gerne öffnet.

    Liebe Grüße an Dich von Bruni

    Gefällt 1 Person

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