In der ersten Zeit nach Wahlen geht es mir immer so, dass ich keine großen Versprechungen und Appelle mehr hören oder lesen mag, nicht mal in Gedichten. Meist glaube ich sie nicht, meist kümmert sich bald eh keiner mehr drum (kommt es nur mir so vor?), es sei denn, der- oder diejenige stünde vor den Kameras.
Also habe ich mich für den heutigen Balladenmontag (ach, ihr seid verwundert? Ich HABE in den letzten beiden Wochen vorgewarnt) um etwas Handfesteres bemüht, ging zurück in die Romantik und fand … eine Sagenballade, Graf Eberstein von Ludwig Uhland (Wikipedia, Zeno.org).
Zu Speyer im Saale, da hebt sich ein Klingen,
Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen.
Graf Eberstein
Führet den Reihn
Mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.Und als er sie schwingt nun im luftigen Reigen,
Da flüstert sie leise, sie kann’s nicht verschweigen:
„Graf Eberstein,
Hüte dich fein!
Heut nacht wird dein Schlößlein gefährdet sein.“Ei! denket der Graf, Euer kaiserlich Gnaden,
So habt Ihr mich darum zum Tanze geladen!
Er sucht sein Roß,
Läßt seinen Troß
Und jagt nach seinem gefährdeten Schloß.Um Ebersteins Veste, da wimmelt’s von Streitern,
Sie schleichen im Nebel mit Haken und Leitern.
Graf Eberstein
Grüßet sie fein,
Er wirft sie vom Wall in die Gräben hinein.Als nun der Herr Kaiser am Morgen gekommen,
Da meint er, es seie die Burg schon genommen.
Doch auf dem Wall
Tanzen mit Schall
Der Graf und seine Gewappneten all.„Herr Kaiser! beschleicht Ihr ein andermal Schlösser,
Tut’s not, Ihr verstehet aufs Tanzen Euch besser.
Euer Töchterlein
Tanzet so fein,
Dem soll meine Veste geöffnet sein.“Im Schlosse des Grafen, da hebt sich ein Klingen,
Mit Fackeln und Kerzen ein Tanzen und Springen.
Graf Eberstein
Führet den Reihn
Mit des Kaisers holdseligem Töchterlein.Und als er sie schwingt nun im bräutlichen Reigen,
Da flüstert er leise, nicht kann er’s verschweigen:
„Schön Jungfräulein,
Hüte dich fein!
Heut nacht wird ein Schlößlein gefährdet sein.“(Ludwig Uhland, Graf Eberstein, Erstdruck 1815, Quelle)
Quelle: Bild Pixabay, Bearbeitung von mir
Hübsch, oder? Kann man sich doch auch bestens verfilmt vorstellen … mit heimlicher Liebe, rauschenden Festen, düsteren Schurken, prächtigen Kostümen, Politik (ach nee, das wollte ich ja lassen), Happy End und so weiter.
Die Sache mit dem Hintergrund zu dieser Geschichte (den es natürlich gibt!, schließlich ist es eine Sage), gestaltet sich allerdings schwierig. Unzweifelhaft scheint sich hier um die Burg Alt-Eberstein zu handeln, gelegen auf einer dem Schlossberg nördlich vorgelagerten Bergkuppe direkt über dem Baden-Badener Stadtteil Ebersteinburg.
Wikipedia berichtet zu der zugehörigen Sage: Der Straßburger Bischof liegt im Streit mit Kaiser Otto I., in dem die Grafen von Eberstein dem Bischof zur Seite stehen. Der Kaiser ist darüber wenig erfreut und beschließt die Belagerung der Burg, um die Grafen auszuhungern. Als nach über einem Jahr noch kein Erfolg der Belagerung abzusehen ist, denkt sich der Kaiser eine List aus, um der Burg habhaft zu werden. Er lädt die Grafen zu einem Turnier nach Speyer ein. Sein Hintergedanke ist, ohne die Anwesenheit der Grafen die Burg leicht einzunehmen. Des Kaisers Tochter findet jedoch Gefallen am jüngsten Grafen und verrät ihm den Plan ihres Vaters. Die eiligst zurückkehrenden Grafen von Eberstein können den erneuten Angriff der kaiserlichen Soldaten gerade noch abwehren und bleiben siegreich. […] Der Kaiser, den die Belagerung zu viel Geld kostet, zeigt sich von der Listigkeit der Grafen beeindruckt und macht sie zu seinen Verbündeten, indem er seine Tochter Wendelgard dem jüngsten Grafen Eberhard zur Frau gibt. (Quelle)
Die Geschichte findet sich zum ersten Mal 1508 in einer Weltchronik des Passauer Dompfarrers und Kustos Johannes Staindl, allerdings ohne Turnier und Verrat durch das Töchterlein. Problematisch sind dabei mehrere Dinge:
Alt-Eberstein wurde erst um 1050-1100 erbaut. „Fraglich ist allerdings, ob es im 10. Jahrhundert überhaupt schon Ebersteiner gab. Im Jahr 1085 werden sie zum ersten Mal in einer Urkunde erwähnt. Das heißt zu dieser Zeit muss die Burg Alteberstein bereits seit einiger Zeit existiert haben, da sich das Geschlecht nach ihr benannte. Bis in die Zeit Ottos I. geht die Burg aber mit Sicherheit nicht zurück. Zu dieser Zeit baute sich der Adel noch keine Namen gebenden Stammsitze. […] Einen Aufstand gegen Kaiser Otto im Jahr 938 gab es tatsächlich. Der Straßburger Bischof Ruthard unterstützte die Aufrührer und wurde vom Kaiser vorübergehend inhaftiert. Von einer Eroberung von Straßburg hören wir allerdings nichts und auf welcher Seite die späteren Ebersteiner standen, ist völlig unbekannt.“ (Quelle)
„Die Quellen des Passauer Autors liegen im Dunkeln, aber seine Erzählung wurde bald von anderen aufgegriffen und ausgeweitet, zuerst von dem Humanisten Dr. Caspar Baldung (gestorben 1540). Dass der Kaiser die Ebersteiner mit einer Einladung zum Turnier nach Speyer von ihrer Burg weglockt und die Kaisertochter einem der drei Grafen beim Tanzen den Plan ihres Vaters verrät, sind Zutaten Baldungs.“ (Quelle)
Was aber hatte Baldung davon? Nun, das ist einfach: Caspar Baldung hatte einen Bruder, den Maler Hans Baldung, jener wiederum arbeitete für den Straßburger Domherrn von Eberstein. Jener und dessen Nachfahren waren begeistert, denn die Ebersteins hatten ihre Bedeutung als Adelsgeschlecht längst verloren und konnten auf diese Weise ihre Vergangenheit kräftig aufpolieren. Eine klassische Win-Win-Situation. 😉
Was ja auch funktioniert hat, quod erat demonstrandum. (Hier jetzt endlich den gesamten Quellen-Artikel auf literaturdesign.de lesen.)
Quelle: Wikimedia
Nichtsdestotrotz: Trotz mangelnder historischer Genauigkeit/Wahrheit: die Sage ist/war bekannt. Als 1844 Jakob Götzenberger die Baden-Badener Trinkhalle mit Motiven aus Szenen aus Mythen und Sagen der Region ausmalte, gehörte dazu auch die Sage von Burg Alt-Eberstein.
Ob es einen Grund oder Anlass dafür gab, dass knapp 30 Jahre zuvor Ludwig Uhland die Sage von Alt-Eberstein aufgegriffen hat, entzieht sich meiner Kenntnis, wenn ihr irgendwas darüber wisst, freue ich mich auf eure Kommentare. Aber nicht nur dann 😉
Kommt gut in die neue Woche!
Guten Morgen, liebe Christiane,
ich habe den Aufruf nicht vergessen und hier mein Beitrag dazu:
https://11sternschnuppe11.wordpress.com/2017/10/02/die-zwei-raben/
https://11sternschnuppe11.wordpress.com/2017/10/02/rabenballade-fuer-christianes-balladenprojekt/
mit frühmorgendlichem Gekrächze bei irrem Sonnenaufgangshimmel, Karin
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Fontane, oh! Wie schön, liebe Karin, vielen Dank!
Liebe Grüße aus dem pitschepatschenassen Hamburg mit erbostem Fellträger
Christiane
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Ich las zuerst: wird Euer Schösslein gefährdet sein, und dachte: Hoi! Was hat die denn vor!😂
Aber wer weiss was er im letzten Satz meint! Gute Woche wünsche ich! Katrin
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Vermutlich genau das, was du hineingelesen hast, denn es ist der „bräutliche Reigen“, also wird er sich wohl später zu seiner ganz privaten Schlosseroberung bei der Jungfrau aufmachen …
Liebe Grüße, auch dir eine gute neue Woche!
Christiane
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dazu etwas Tanzmusik, wenn Du magst, sonst bitte entfernen:
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FAUN?!? 😉
Vielen Dank, Karin, du überraschst mich … 😉
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http://wp.me/p5ifjF-34C
Liebe Grüße
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Wunderbar, vielen Dank. Zeitlos und gut.
Alles Liebe für dich
Christiane
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🙂
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Ich empfinde die Nachwahl genau wie du und freue mich sehr über deinen wunderbaren Beitrag. So etwas tut wirklich gut liebe Christiane!
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Denk ich an den Wahlk(r)ampf und an das, was jetzt folgt, lieber Arno, bin ich bedrückt. Ich habe keine Patentlösung, ich mag den Lautbrüllern nicht folgen, egal von welcher Seite, und das Geunke der Rufer in der Wüste macht mir oft Angst – sie könnten Recht haben. Meinem Gefühl und meinen Beobachtungen nach wandeln sich die Verhältnisse seit vielen Jahren zum Schlechteren, im Kleinen wie im Großen. Da ich aber grundsätzlich Idealist bin und eigentlich Gutes für alle Menschen möchte (ja, klingt sehr versponnen, ich weiß), werde ich immer unglücklicher, eben weil es nicht geht, die Augen immer zu verschließen …
Ach und wehe.
Also halte ich wenigstens die Fackel des kleinen Glücks hoch, solange ich kann.
Liebe Grüße
Christiane
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Das ist nicht versponnen und bis Ende Oktober dürfen wir alle die Ohren auf Durchzug stellen, denn es handelt sich nur um Lautmalerei und nicht um die Realitäten. Ich bin mit der Wahl erst einmal fertig, denn jetzt muss geliefert werden 😉
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Mir ist heut so balladig , da muss ein Wilhelm Busch her und irgendwie passt das auch zur Wahlpolitik -:))
https://11sternschnuppe11.wordpress.com/2017/10/02/der-geigenseppel/
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Ein Schelm, wer Böses dabei denkt … 😉
Danke! 😀
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