Letzte Chance | abc.etüden

„Du willst nicht ernsthaft behaupten, dass du in einem Chor singst, der sich ‚Pissnelken‘ nennt?“

Ach, Hubert, denke ich, als ich ihn nachdenklich betrachte, ich glaube, das wird nichts mehr mit uns. Du bist zwar Arzt und siehst noch gut aus für dein Alter, aber du hörst mir nicht zu: Fis-Nelken habe ich gesagt, und ich ließe maximal noch mit mir streiten, ob es Fis-Dur oder fis-Moll ist.
Macht es Sinn, dass ich dir von uns drei Weibern erzähle, dass wir uns vor 25 Jahren in unserer Heilpraktiker-Ausbildung in einem Phytologie-Kurs kennenlernten und schnell feststellten, dass unser gemeinsames Hobby Gesang ist und wir schon immer in einem Trio schräge Sachen singen wollten? Dass wir uns krümelig gelacht haben, als wir von dem ‚Gemeinen Weidenröschen‘ auf den ‚Gemeinen Löwenzahn‘, dann auf ‚Pissnelken‘ und davon schließlich auf Fis-Nelken gekommen sind, als wir einen ausgefallenen Namen mit was Blumigem gesucht haben?
Ach, Hubert: Ich fürchte, es bringt nichts.

„Wir singen ja auch schräge Lieder“, habe ich dir geantwortet, und unvorsichtigerweise den Kreisler mit dem Taubenvergiften im Park erwähnt, den kennen halt viele, ich wollte dir den Einstieg leichtmachen. Konnte ich ahnen, dass du inzwischen PETA-Mitglied bist und daher meinst, solche Lieder politisch unkorrekt finden zu müssen, obwohl ich sicher bin, dass auf dem Balkon deiner Stadtvilla auch keine Kacktauben brüten dürfen? Und jetzt sitze ich hier, verdrehe innerlich die Augen und überlege mir, ob ich deinen Kaffee aus besten äthiopischen Hochlandbohnen umstoßen muss, damit du endlich zu schwafeln aufhörst und ich versuchen kann, den Mann von damals wiederzuentdecken, den ich mal geliebt habe.
Ach, Hubert, ich habe lange gezweifelt und mich auf unser erstes Treffen nach so langer Zeit gefreut, aber wenn ich ganz ehrlich bin: Sorry, es war kein Fehler zu gehen.

 

2017_47.17_eins_lz | 365tageasatzadayVisuals: ludwigzeidler.de

 

Für die abc.etüden, Woche 47.17: 3 Worte, maximal 10 Sätze. Die Worte stammen in dieser Woche von Bettina (wortgerinnsel.wordpress.com) und lauten: Pissnelke, krümelig, verdrehen.

Vergesst es sofort wieder, meine Damen und Herren, der Name Fis-Nelken ist belegt. Und neben den Tauben des Herrn Kreisler wäre nachfolgendes Lied („In jeder Frau steckt ein Stück Hefe“) eines, welches die Damen ganz bestimmt sängen, wie man mir sagte … wer auch immer diese (großartigen!) Damen hier sind. Das Original stammt übrigens von Thea Eichholz, auf ihrer Website gibt es nicht nur die Akkorde, sondern auch die Noten im Download.

 

 

28 Kommentare zu “Letzte Chance | abc.etüden

  1. Das Video ist der Kracher, und ja, in den Männern auch… Und die FIS-Nelken-Geschichte sowieso. Tatsächlich, wenn auch in Variantion, erinnert mich deine Geschichte an mein letztes Jahrgangstreffen, als ein paar Gesichter auftauchten die man schon eine 2stellige Jahreszahl lang nicht mehr gesehen hat und viel Negatives erstmal ausblendete. Das ist echt original so. Während der erneuten Unterhaltung steigt der verdrängte Teil der Erinnerung Tsunami artig empor und man will nur noch flüchten. Und das nächste Mal geht man wieder hin. Tja, so isses eben.
    LG aus dem Regenland.

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    • Da unterscheiden wir uns. Mein letztes Jahrgangstreffen war das 20-jährige Abi. Kann auch das 25-Jährige gewesen sein. Alle angeschaut, festgestellt, sie sehen alle ganz anders aus (na ja), aber die Strukturen sind immer noch die gleichen. Die, die früher zusammengehangen haben, tun es immer noch, die, die früher außen vor waren, sind es immer noch. Wir waren ziemlich vollständig und sind in der Welt echt weit verstreut – aber geändert hatte sich gefühlt nicht viel. Ich bin nicht wieder hin.
      Grüße aus dem Nassland ins Regenland
      Christiane

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  2. Offensichtlich ist sie rechtzeitig gegangen …
    So wichtig ich Sensibilität beim Umgang mit Worten finde, so peinlich kann es werden wen Maß und Augenzwinkern dabei über Bord gehen.
    Schöner Text.
    Natalie

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    • Schlimm ist, wenn die Sensibilität, die Empathie fehlt. Ich habe durchaus Sympathien für Leute, die ihre Meinungen mit Herz und Eifer vertreten. Wenn das aber nur dazu dient, sich und der Welt zu beweisen, was für ein toller Hecht man doch ist, dann bin ich meist schneller weg, als man „puff“ sagen kann. Es sei denn, ich fände es witzig, warum auch immer.
      Danke dir!
      Liebe Grüße an den anderen Stadtrand
      Christiane

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  3. Ach, wie ist sie schön, Deine FisNelkenEtüde, liebe Christiane

    Einer von denen, die zum Lachen in den Keller gehen, ohweh, und er mag keine schrägen Vögel, ähm, keine schrägen Lieder und schräge Liedsängerinnen werden ihm ein Gräuel sein.
    Keiner fürs Leben…, das sag ich Dir
    Aber die Etüde ist allererste Sahne!
    Ach ja, und das Lied von der Hefe ist zuckersüß 🙂 .
    Den Kreisler und seine Lieder mochte ich immer.

    Liebe Gutenachtgrüße von Bruni

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  4. sehr schön beobachtet, das Auseinanderdriften zweier Menschen…..manchmal braucht man so einen „Reality-Check“.um festzustellen, dass die Entscheidung, die man mal getroffen hat ,die richtige war.
    Die „Fis-Nelken“ die schräge Lieder singen, würde ich gerne mal hören – ich malg scrhäge Lieder! Und für die Kreisler-Liebhaber unter den Nordlichtern hier ein Tipp: mein Freund Michael Rayher wohnt in Bremen und tritt immer wieder mal mit seinem Kreisler Repertoire auf!
    http://michaelrayher.de
    liebe Grüße
    Carmen

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