THE END | abc.etüden

Nachts, wenn er die Augen schloss, war das ultraviolette Rauschen in seinem Kopf inzwischen so stark, dass er nicht mehr schlafen konnte. Aber er machte sich davon nicht abhängig, er fand, Schlaf wurde sowieso überbewertet. Stattdessen vertiefte er sich lieber exzessiv in Konzentrations- und Meditationsübungen, um seinen Geist zu klären und von den Schlacken des Alltags zu befreien. Dass sein Herz schließlich zu stolpern begann, hätte ihn ernsthaft irritiert, wenn er in dem Pulsieren nicht Morsezeichen erkannt hätte: dit-dit-dah-dit  dit-dah-dit  dah-dit-dit-dit und so weiter, was in sehr langsamen, sich wiederholenden Sequenzen FRB 121102 ergab.

Noch ein Beweis mehr dafür, dass er auserwählt war.

Die breite Öffentlichkeit war des Geredes über 3 Milliarden Lichtjahre entfernte Strahlungsquellen, Schwarze Löcher, Supernovaüberreste und andere abstrakte astronomische Theorien allerdings schon längst wieder überdrüssig geworden und beschäftigte sich stattdessen mit dem nächsten Supermond.

Er hingegen lief Tag für Tag mit seinem stotternden Herzen durch die Stadt, ein menschlicher Funkturm im Dauereinsatz. Als sich sein körperlicher Zustand verschlechterte, brach er auf der Straße zusammen und wurde in ein Krankenhaus geschafft. Da er sich den empfohlenen Maßnahmen gegenüber völlig uneinsichtig zeigte, ordneten die Ärzte zunächst Zwangsernährung, später Zwangseinweisung an und sprachen von einer schwerwiegenden Persönlichkeitsstörung.

Das riesige Raumschiff tauchte in die Erdatmosphäre ein und stand, von allen irdischen Systemen unbemerkt, über der Stadt, aber es war bereits zu spät für ihn.

 

2018_03_3_lz | 365tageasatzadayVisuals: ludwigzeidler.de

 

Für die abc.etüden, Woche 03.2018: 3 Worte, maximal 10 Sätze. Die Worte stammen in dieser Woche von Ludwig Zeidler und lauten: FRB 121102, ultraviolett, Supernovaüberrest.

Okay, ich bin spät, ich weiß, aber ich musste es einfach zu Ende bringen, es hat mir keine Ruhe gelassen … Ja, der Arme.

Es gibt zwei Vorläufer, hier (1) und hier (2). Wer alle drei nicht kennt, sollte mit der ersten anfangen, sie steigern sich.

 

23 Kommentare zu “THE END | abc.etüden

  1. Du bist ja unerhört fleißig und machst das Ganze rund. Aber WAS BIN ICH? Gehe ich recht in der Annahme, dass ich nicht ebenfalls mehrere Episoden pro Wortspende abliefern muss?

    Noch mal zu Deinem Text: Musste eben stark an „Stadt aus Glas“ denken, kann es aber nicht erklären, warum. Vielleicht weil Quinn am Ende auch auf so seltsame Art verschwindet – und natürlich weil ich Paul Auster sehr mag.

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    • Liebe Christa, du MUSST gar nichts, du DÜRFTEST aber. Du kannst selbstverständlich auch Wochen auslassen, wenn dir schlicht nichts einfällt, weil … da gibt es viele Gründe. Ich für mich habe festgestellt, dass die zweite Etüde zu vorgegebenen drei Wörtern mich oft mehr überrascht und mehr Kreatives freisetzt, als die erste, die sich im Hirn eigentlich schon langsam bildet, wenn ich die Wörter zum ersten Mal lese.
      Dies hier wiederum ist noch etwas anderes: eine Fortsetzungsgeschichte, so was habe ich bisher äußerst selten geschrieben, und noch nie drei in einer Woche.
      Liebe Grüße
      Christiane

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      • Mich lockt mein Ehrgeiz auch, meine Geschichte fortzusetze, mit den jeweils neuen Wortspenden. Andererseits bin ich eine „Anfängerin“, womit ich meine, dass ich auch sehr gerne Geschichtenanfänge schreibe und es dem Leser überlasse, sich den Rest auszudenken. Das scheinen viele Leute aber nicht zu mögen. – Mal sehen, wie es sich anlässt.
        Herzliche Grüße
        Christa

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        • Das ist das Schöne an dem Etüden-Begriff: Fingerübungen, einfach rumprobieren, vielleicht sogar die eigenen Ansprüche mal senken oder über Bord kicken … muss ja nicht auf Dauer sein. Solange du Spaß hast, ist eigentlich (fast) alles erlaubt.
          Liebe Grüße zurück
          Christiane

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  2. Och, wie traurig! Ich hoffte doch, dass das Raumschiff, als es dann so wundersamerweise „eintauchte in die Erdatmosphäre“, über dem Krankenhaus Anker werfen würde, jedenfalls.

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  3. Eine supernovaultraviolettgute Geschichte, voller Spannung, wie es mit dem Auserwählten nun weitergehen wird, aber sein armes menschliches Herz hielt den Morsezeichen nicht stand.
    Es bescherte ihm einen totalen körperlichen Zusammenbruch und nun verpasst er das riesige Raumschiff, das ich fast über der Stadt liegen sehe, keiner steigt aus, keiner steigt ein …

    Liebe Samstsagabendgrüße von Bruni

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    • Sag, könntest du beschreiben, was du gruselig fandest? Es interessiert mich wirklich. Was hat dich gepackt, wo fandest du es unheimlich, kannst du da den Finger drauf legen?
      Liebe Grüße und danke 😉
      Christiane

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      • „Denn er … WUSSTE. Er war einer von ihnen.“ Oder „Nachts, wenn er die Augen schloss, sah er das angereicherte Blut ultraviolett leuchtend durch das Netz seiner Adern pulsieren und fühlte, wie es ihn für die höheren Frequenzen empfänglicher machte.“ Und nicht zuletzt „ein menschlicher Funkturm im Dauereinsatz“. Das hat für mich eine düstere Atmosphäre geschaffen (im angenehmen Sinn natürlich).
        Und jetzt auf zur nächsten Etüde!
        Liebe Grüße,
        Viola.

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        • Du machst mich stolz. Das sind nämlich Sätze und Formulierungen, an denen ich wirklich sorgfältig gefeilt habe. Und deine Reaktion beweist, dass sie so ankommen, wie ich es wollte. Vielen Dank für die Auskunft! 🙂
          Liebe Grüße
          Christiane

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