Die Vorführung | abc.etüden

Nachdem er bemerkte, wie viele Leute zusammenliefen, um ihm zuzusehen, fühlte er sich plötzlich wie der allerletzte Trottel. Ebenso gut hätte er gleich ankündigen können, eine Jungfrau zersägen zu wollen. Einige wenige gab es, die achtungsvoll das aufgebaute Equipment beäugten, um dann nach hinten zu verschwinden – sicherer Abstand zum Geschehen, besserer Blick von der Schräge aus, weil man dort höher stand.

Sollten sie doch, es war ihm egal. Das Einzige, was ihn wirklich brennend interessierte, war, ob SIE gekommen war, wie sie es ihm versprochen hatte, sie, um derentwillen er sich zum Affen machte, sie, um derentwillen er wochenlang immer wieder heimlich geübt hatte. Ja, da stand sie, ganz vorn in der ersten Reihe, strahlte in seine Richtung und warf ihm eine Kusshand zu.

Er startete die Musik, atmete noch einmal tief durch – jetzt bloß nicht zittern –, schritt nach vorn, verbeugte sich würdevoll vor seinem Publikum, und während vom Band der immer lauter werdende Trommelwirbel erklang, ergriff er den Säbel und köpfte die vorbereitete Champagnerflasche mit einem einzigen gekonnten Schlag. Deren Kopf prallte mit großer Wucht ein paar Meter entfernt gegen die Garagenwand; das kümmerte aber keinen, denn alle Augen waren nur auf ihn gerichtet: wie er die herausschießende Fontäne abwartete, dann vollkommen beherrscht eine der bereit stehenden Champagnerschalen füllte, aus der Tasche seiner Weste den Ring herausfischte, ihn hineingleiten ließ und mit ein paar Schritten die Distanz zu IHR überbrückte, bevor er vor ihr auf die Knie fiel, den Kopf senkte und ihr den Champagner wortlos wie einen Pokal entgegenstreckte. Jäh durchzuckte ihn die Frage, wie er jemals wieder aufstehen sollte, denn seine Beine fühlten sich an wie Pudding und sein Herz raste, aber dann hörte er sie aufschluchzen und „Oh Jan – ja, ich will!“ rufen und wusste, alles war gut und würde es immer sein.

 

2018_23_2_zwei lz | 365tageasatzadayVisuals: ludwigzeidler.de

 

Für die abc.etüden, Woche 23.2018: 3 Worte, maximal 10 Sätze. Die Worte stammen in dieser Woche von Gerda Kazakou und lauten: Schräge, brennend, köpfen.

Nein, ich bin weder kitschig noch habe ich eine theatralische Ader, wie kommt ihr denn bloß darauf??? Aber mich hat zugegebenerweise dies hier (Link zu YouTube) inspiriert …  😉
Ich wusste, dass ich zu „köpfen“ nichts Tagespolitisches schreiben will, und als ich darüber nachdachte, was ich denn dann köpfen wollen würde, landete ich bei Champagner. Und warum nicht bisschen übertreiben, getreu dem guten alten Motto: Bringe deine Protagonisten in Schwierigkeiten?
Seht mir bitte die Bandwurmsätze nach, ich finde, sie lesen sich nicht zu fürchterlich.

 

38 Kommentare zu “Die Vorführung | abc.etüden

  1. So muss das heutzutage wohl … Ich habe damals meinem Freund beim Bügeln vorgeschlagen, dass wir doch auch heiraten könnten. Er hat NEIN gesagt. Erst ein Jahr später überlegte er es sich anders. Mein Vater hat meiner Mutter die Erbkrankheiten seiner Familie erklärt und gefragt: „Traust du dich trotzdem?“ Jede Eheanbahnungsgeschichte ist anders (und im Rückblick irgendwie romantisch, wenn auch nicht immer inszeniert).

    Gefällt 4 Personen

    • Neee, liebe Elke, so muss das heutzutage bestimmt nicht, ich habe bloß herumgesponnen, was alles sein könnte …
      Wahr ist, dass (nur zurzeit?) viele Leute ihr Leben inszenieren oder inszenieren wollen, und dem leistet eine derartige Geschichte natürlich Vorschub.
      Und, ehrlich gesagt, ich hatte Lust zum Schreiben, ich hatte von Anfang an dieses „Champagner köpfen“ im Sinn und wollte dem einen Rahmen geben …
      Liebe Grüße
      Christiane

      Gefällt 2 Personen

      • Liebe Christiane, ich habe mich eher aus Anlass deines sehr anregenden Textes auf einschlägige Events aus dem Bekanntenkreis meiner Tochter bezogen. Wir amüsieren uns immer, was für Mühe (meist längst zusammenlebende) Möchte-vielleicht-gern-Eheleute sich seit ein paar Jahren mit ihren Anträgen geben. Inszenierungen wie aus Hollywood. Aber gut – wenn sie’s mögen, warum nicht!?

        Gefällt 1 Person

        • Ach, echt? 😉
          Wobei du recht hast, ich habe mir auch überlegt, ob meine beiden nicht eh längst zusammenleben und er daher etwas cooler sein könnte. Auf der anderen Seite: eben. Wenns Spaß macht, warum denn nicht? 😉

          Gefällt 1 Person

        • Stimmt, auf das Ei bin ich nicht gekommen, es wäre echt das Naheliegendste gewesen … 🙂
          Deine Etüde ist mir durchgerutscht, ich komme gerade von dir und bitte dich überaus heftig um Verzeihung, es war keine böse Absicht.
          Liebe Grüße
          Christiane

          Like

  2. toll, dein vor Angst schwitzender Prinz, die ganze Szenerie und die glückliche Auflösung. Natürlich frage ich mich, was geschehen wäre wenn … Hätte sie sich zu dem zusammengebrochenen Helden hinuntergebeugt und ihn gnädig aufgerichtet? Und was wäre dann aus seiner Männlichkeit geworden? (Nicht auszudenken!)
    Sabrieren – wieder was gelernt.

    Gefällt 3 Personen

  3. Da hat jemand doch dem Frosch auf Ludwig Zeidlers Grafik geglaubt, dass er ein verwunschener Prinz ist.

    Rührselig und einfach schön!

    In meinem Jahrgang war es auch noch üblich, bei dem Vater um die Hand seiner Tochter anzuhalten. Da ging einem schon der Stift, also habe ich es spät am Abend nach dem Nachhause-bringen der Zukünftigen erstmal bei der Mutter versucht. Der Vater lag schon im Bett, musste dann geweckt werden und stand verschlafen im Schlafanzug vor mir, als ich mich dann endlich traute.

    Gefällt 3 Personen

    • Lieber Werner, ja, das sind die Momente, die man nie im Leben vergisst. 🙂
      Was ist so schlimm daran, wenn ein Mann glaubt, dass er ein verwunschener Prinz ist und sich seiner Angebeteten gegenüber „prinzig“ benimmt? Zumindest für diesen Zweck?
      Schön, dass es dir gefällt.
      Liebe Grüße
      Christiane

      Gefällt 1 Person

  4. Eine angenehm friedliche Variante des Köpfens, bei der nur eine Champagnerflasche zu Schaden kommt 😄. Herrlich romantisch .

    Gefällt 4 Personen

  5. Ich finde die Schachtelsätze gar nicht besonders schachtelig und flüssig zu lesen.
    Aha, „sabrieren“ wohl von „sabre“, aus Zeiten als Fremdwörter noch aus dem französischen kamen ….

    Gefällt 2 Personen

  6. Hach……den Mann hätte ich auch genommen und er hat sich nicht zum Affen gemacht, sondern Mut bewiesen….., es steht noch eine Flasche Sekt im Kühlschrank, Champagner kann ich mir nicht leisten, ob ich die jetzt mal entkorke, habe so ein blaues Kunststoffdrehdings, das mir die nötige Kraft dazu verleiht…..? Prost auf Deine Etüde🍾🍾und diesen Sommersonnentag

    Gefällt 3 Personen

  7. Fein! – Aber was kann tagespolitischer sein als das Köpfen einer Champagnerflasche?! Titanic. Das Schiff hat ein Leck, neigt sich zur Seite, die Kapelle spielt weiter und weiter und auf dem Oberdeck köpfen die Großkopferten die Champagnerflaschen. Earth 2018.

    Verzeih mir, dass ich die schöne Geschichte so konterkariere.
    Liebe Grüße, Bernd

    Gefällt 2 Personen

    • DU bist entschuldigt.
      Abgesehen davon, hast du natürlich recht, so gesehen.
      Danke für Herbie, der passt wirklich zu den möglichsten und unmöglichsten Gelegenheiten.
      Liebe Grüße
      Christiane

      Gefällt 1 Person

  8. Ein schöner Heiratsantrag von einem mutigen und sehr romantischen, sehr verliebten jungen Mann, den die Liebste total gerührt und voller Freude annimmt.
    Sie passen doch gut zusammen, die beiden 🙂
    Sabrieren war mir noch nie begegnet, aber das Video hat mir dann die Augen geöffnet. Ich glaube aber, ich werde nie sabrieren, sondern weiterhin etwas ängstlich öffnen und hoffen, daß der Korken mich nicht doch mal schmerzhaft trifft 🙂
    Lieber zelebrieren statt zu sabrieren *g*
    Liebe Gutenabendgrüße von Bruni

    Gefällt 1 Person

  9. Schöne romantische Geschichte. Ich, die ich immer schreckliche Wendungen fürchte, hatte schon den geköpften Korken als Querschläger vor meinem geistigen Auge. Aber deine Geschichte hat ein Happy End. So ein Glück aber auch!
    Liebe Grüße, Veronika

    Gefällt 1 Person

    • „Köpfen“ ist ein Wort, das viele negative Assoziationen hervorruft – meine erste war es auch. Daher hab ich über alles bisschen Zuckerwatte gekippt.
      Liebe Grüße
      Christiane 😉

      Gefällt 1 Person

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.