Von Sommer und Sehnsucht

 

Brief in die Sommerfrische

Ich habe so Sehnsucht nach Dir.
Weil alles so gut steht
Auf unserem Gemüsebeet.
Und Du bist in England. Nicht hier
Bei mir.
Frau heißt auf Englisch „wife“;
Muß man, um das zu lernen,
Sich so weit und so lange entfernen?
Bei uns ist alles Gemüse reif.
Meinst du, daß ich das allein
Esse? Kommt gar nicht in Frage.
Und so vergehen die Tage.
Könnte doch zu zweit so billig sein.

Bis August und noch September vergeht,
Ist alles verfault auf dem Beet.
Aber Englisch ist wichtiger als Gemüse,
Das es schließlich auch in Büchsen gibt.
Und ich gönne dir das alles sehr. Grüße
Dich!
Dein Mann (einsam in Dich verliebt).

(Joachim Ringelnatz, Brief in die Sommerfrische, aus: Gedichte, Gedichte von Einstmals und Heute, 1934, Online-Quelle)

 

In seinem Garten wandelt er allein

In seinem Garten wandelt er allein;
In alle Bäume gräbt er immer wieder
Gedankenschwer den einz’gen Namen ein,
Und in dem Namen klagen seine Lieder.

Sanft blaut der Himmel, milde Rosen webt
Die Sommerzeit durch mächt’ge Blättermassen.
Er schaut sie nicht; die Zeit, in der er lebt,
Ist alt, verblüht, von allen längst verlassen.

(Theodor Storm, In seinem Garten wandelt er allein, Online-Quelle)

 

Lesebuch

Wunderlichstes Buch der Bücher
Ist das Buch der Liebe;
Aufmerksam hab ich’s gelesen:
Wenig Blätter Freuden,
Ganze Hefte Leiden;
Einen Abschnitt macht die Trennung.
Wiedersehn! ein klein Kapitel,
Fragmentarisch. Bände Kummers
Mit Erklärungen verlängert,
Endlos, ohne Maß.
O Nisami! – doch am Ende
Hast den rechten Weg gefunden;
Unauflösliches, wer löst es?
Liebende, sich wieder findend.

(Johann Wolfgang von Goethe, Lesebuch, aus: West-Östlicher Divan/Buch der Liebe, Online-Quelle)

 

Im Biergarten | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Kommt gut in die neue Woche, ob ihr in der Sommerfrische (was für ein schönes Wort!) seid oder nicht!

 

34 Kommentare zu “Von Sommer und Sehnsucht

  1. Eine wahre Sommerfrische, die auch an nicht sommerlichen Tagen das Herz und die Sinne erfreut.

    Mit sonnigen Grüßen in eine hoffentlich sommerliche Woche,
    Anna-Lena

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  2. Bei so einem Brief hätte ich mich sofort in den Zug gesetzt zum Gemüseverputzen🤗Dir vom nächtlich erfrischten Dach einen herzlichen Gruss……Was für eine Sommerfrische bisher und die Rosen beginnen die zweite Blüte und mein Wildfang kommt gar nicht mehr rein ob des Gesumme und Gebrumms da draussen. Karin

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    • Meiner lebt auch weitgehend draußen, es sei denn, es ist ihm zu unruhig, zu heiß, er hat Hunger oder denkt, ich bedarf seiner Unterstützung beim Arbeiten wie jetzt gerade. Nun schnurrt es auf meinem Schoß und ich darf nur mit einer Hand tippen, weil auf dem anderen Arm ein Kopf ruht …
      Herzliche Grüße auf dein Dach
      Christiane

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  3. So ein schöner Liebesbrief vom verliebten Ehemann.

    Guten Morgen aus dem Zug. Wünsche eine schöne sommerliche Woche.
    HG
    Petra

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    • Ja, ich kannte den gar nicht und war/bin auch total begeistert.
      Dann dir einen guten Tag IN den Zug – und auch dir eine gelingende Woche!
      Liebe Grüße
      Christiane

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  4. Aus Zeiten als man in die Sommerfrische fuhr. In Österreich fuhren die sehr betuchten etwa nach Bad Aussee, die nicht ganz so betuchten auf den Semmering, der Kaiser nach Bad Ischl in seine scheußlich dekorierte Villa. Und das alles obwohl es damals noch nicht annähernd so heiß war wie heutzutage. Sommerfrische war ein unerläßlicher Zustand in der Literaturszene des 19. Jahrhunderts

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  5. Ringelnatz ist es heute, eindeutig und mehr als liebenswert. Ein spöder Dichtersmann, der seine Liebe über das Gemüse kundtut 🙂 Wie wunderfein ist denn das? Ich hatte noch nie von seinem Brief in die Sommerfrische gehört

    Ganz herzlich, Bruni, zurück aus der sommerlichen Frische am Bodensee

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