Beschlagnahmefreies Gedicht
Ich bin klein.
Mein Herz ist rein.
Soll niemand drin wohnen als nach Belieben auszufüllen allein.
Lieb Vaterland, magst ruhig sein,
fest steht, daß Ponds Creme das beste für die Haut ist.
Hipp.
Wer seine Obrigkeit läßt walten,
der bleibet immer wohlbehalten.
Hipp, hipp.
Wenn ich nur meinen Adolf hab,
bis an mein schwarz-weiß-rotes Grab.
Hurra.
Ein Veilchen stund an Baches Ranft,
so preußisch-blau, so lind und sanft;
da kam ein kleines Schaf daher,
jetzt steht da gar kein Veilchen mehr,
Hurra.
Ein Richter steht im Walde,
so still und stumm.
Er war republikanisch bis zuletzt,
drum haben sie ihn in den Wald versetzt,
und da steht nun der Richter,
auf seinem linken Bein,
ganz allein.
Lieb Vaterland (siehe oben).
Siehst du die Brigg dort auf den Wellen?
»Rechts müßt ihr steuern!« hallt der Schrei.
Die Republik kann nicht zerschellen,
Frau Wirtin hatte auch ein Ei.
Die Zeiten werden schön und schöner.
Ich denk an Männer, kühn und barsch:
An Noske, Geßler und auch Groener.
Lieb Vaterland (siehe oben).
(Kurt Tucholsky/Theobald Tiger: Beschlagnahmefreies Gedicht, aus: Die Weltbühne, 29.03.1932, Nr. 13, S. 492, Online-Quelle)
Am Abend
Weisst du denn – wenn auf Baum und Strauch
Das Astwerk zittert und sich sträubt,
Und wenn der leicht gewellte Rauch
An einer Wetterwand zerstäubt –
Ein scheuer Vogel ohne Laut
An dir vorbei die Flügel schlägt,
Und Wolke sich an Wolke baut –
Wohin dein wilder Wunsch dich trägt?
Weisst du denn, wenn nun alle Welt
Sich eng an Hof und Heimstatt schmiegt,
Und deine Sehnsucht dich befällt, –
Wo deine eigne Heimat liegt?
(Hedwig Lachmann, Am Abend, aus: Gesammelte Gedichte. Potsdam 1919, S. 7-8, Online-Quelle)
Und einmal steht das Herz am Wege still
Häuser und Mauern, welche die Menschen überdauern,
Bäume und Hecken, die sich über viele Menschenalter strecken,
Dunkel und Sternenheer, in unendlich geduldiger Wiederkehr,
Kamen mir auf den Hügelwegen in der Sommernacht entgegen.
Nach der Farbe von meinen Haaren, bin ich noch der wie vor Jahren,
Nach meiner Sprache Klang und an meinem Gang
Kennen mich die Gelände und im Hohlweg die Felsenwände.
Viele Wünsche sind vergangen, die wie Sterne unerreichbar hangen,
Und einmal steht das Herz am Wege still,
Weil es endlich nichts mehr wünschen will.
(Max Dauthendey, Und einmal steht das Herz am Wege still, aus: Weltspuk, in: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 349)
Quelle: ichmeinerselbst
Kommt gut in die neue Woche!
… von Sommer und Heimat und wunschlosem Unglück Hurra!“ Welch eine geballte Poesie-Faust am frühen Morgen, Christiane! Die muss ich nun erst mal verdauen. Guten Morgen und eine feine Woche wünschend! Gerda
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Ja, ich fand den Bogen dieses Mal schwierig. Aber der Tucholsky musste rein, als ich gestern las, dass die sprachlichen Brandstifter in München für sich „politischen Anstand“ auf Plakaten einforderten. Ohne Worte.
Liebe Grüße
Christiane
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Ich las es auch: “Ja zum politischen Anstand, nein zu ausgehetzt“ und da diese Bayern sich im Waidwerk auskennen, denken sie wohl an den Jäger im Anstand, das Gewehr im Anschlag und die Hunde zur Fuchshetze hechelnd bereit.
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Oder so.
Ohne Worte eigentlich, wie gesagt. Dort sind im Herbst Wahlen, viel von dem Kanonendonner dürfte auf diese Rechnung gehen, aber mir wird bei markigen Sprüchen so übel …
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mir auch, liebe Christiane… hatten wie doch genug…
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Ja, eben. 🙁
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Großartig der Tucholsky und das königliche Kusspaar, ein Gesamtkunstwerk ….
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Zu dem Tucholsky siehe meinen Kommentar an Gerda. Das Paar: Ja, süüüüß irgendwie, nicht? In puncto Street-Art hat Hamburg einiges zu bieten, auch wenn ich da immer meist zufällig drüberstolpere …
Liebe Grüße
Christiane
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Das Tucholsky Gedicht ist super! Danke dafür! Passt unverändert in unsere heutige Zeit.
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Dachte ich mir auch, lieber Werner.
Schön, dass du es magst.
Liebe Grüße
Christiane
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Da deute ich keinen Favoriten aus. Alle drei sind wirklich gut, besonders gut, und der Tucholsky sowieso über jeden Zweifel erhaben!
Lachmann, meiner Meinung nach ein schlesicher Name. Ich glaube aber nicht, daß Hedwig Lachmann die Frau ist, die so wundervolle gesalzene Butter machte *g*, das war die, die ich kannte 🙂 und ich glaube nicht, daß sie dichtete
Liebe Grüße von Bruni
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Hedwig Lachmann ist eine vergessene Dichterin. Sie ist an der Spanischen Grippe nach dem Ersten Weltkrieg gestorben und hinterlässt ein kleines Werk aus eigenen Arbeiten und Übersetzungen. Man findet Sachen von ihr online, auch Wikipedia hat einen Artikel über sie. Ich kenne nicht viel von ihr, und vieles ist mir für die Montagsgedichte zu lang, aber sie hat Tiefe.
Liebe Grüße
Christiane
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ich werde mal nach ihr suchen. sie interessiert mich
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Das freut mich, ich habe eine Biografie über sie.
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und wie ist die? Keine gewöhnliche Frau und doch vergessen, wie so viele
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Ich habe diese: Annegret Walz: Ich will gar nicht auf der logischen Höhe meiner Zeit stehen. Interessant, würde ich sagen, aber schon auch ziemlich akademisch. Es ist zu lange her, als dass ich sie weiterempfehlen würde. Wikipedia listet ein paar Biographien, auch diese, vielleicht findest du da was.
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mal sehen. Im Moment ertrinke ich in Büchern, aber so ertrinke ich ja sehr gerne *g*
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Kann ich gut verstehen! Das ist ein angenehmes Ertrinken …
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🙂 , oh ja, es raschelt dabei so schön, liebe Christiane
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😁
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mein Liebling davon ist auf jeden Fall „Am Abend“ 🙂 Sehr schön und heimlich
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Hedwig Lachmann ist keine bekannte Dichterin (mehr). Zu Unrecht. Freut mich, dass es dir gefällt!
Liebe Grüße
Christiane
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