Schöpfung | abc.etüden

Die Muse ist keine sanfte Geliebte. Jedenfalls ihre nicht, sie springt sie nächtens an und bezwingt sie, verbeißt sich in sie, bis sie gequält zum Stift greift, wie von Sinnen Sätze aufs Papier schleudert, die Idee verfolgt und vorantreibt und sich dem Rausch mit seiner inneren Logik hingibt. Im Licht des Morgens starrt sie dann auf das Ergebnis: Manchmal erkennt sie es, manchmal nicht. Nur der Einfluss der Wilden macht daraus Kunst, ihren Kuss versucht sie zu locken, bis sie in den durchwachten Stunden über sich hinauswächst und später nicht mehr so recht weiß, woher das stammt, was da steht.
Kurzfristig verschmolzen. Mit wem? War ich das? Keine Antwort.

Hinterher ist sie erschöpft, wieder allein, zutiefst müde. Aber sie ist gut, diese Mattigkeit, sie fühlt sich richtig an. Sie hat das Ihre großzügig verschwendet und ist selbst zum Gefäß geworden. Hat aufs Neue Himmel und Erde erschaffen und ihnen ihre Namen gegeben. Und dann ruht sie.

 

2018_37+38_1_250 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung: ich

 

Für die abc.etüden, Woche 37/38.2018: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von mir und lauten: Kunst, müde, verschwenden.

Na, die ist mal kurz, alles, was recht ist. Ich habe zur Sicherheit nachgezählt, ob ich über 10 Sätze hinaus bin – geübt ist geübt – ja, bin ich. Ach, diese Freude, Zweiwortsätze schreiben zu dürfen. Aber irgendwie … sehr interessantes Ergebnis des Experiments, das da oben.

 

46 Kommentare zu “Schöpfung | abc.etüden

    • Neee. Okay, am ehesten beim Fotografieren, da kann es mir passieren, dass ich die Zeit komplett vergesse, dass ich mich wie in einem Rausch fühle. Beim Schreiben bin ich viel kontrollierter.
      Aber ich denke, ein bisschen davon ist in jedem Schöpfungsakt.
      Liebe Grüße
      Christiane

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    • Beim Schreiben oder beim Malen?
      Beim Malen kann ich mir das sehr gut vorstellen. Und nach dem, was du über deine „Schwanenwege“ erzählt hast, dabei auch.
      Fehlt es dir?
      Liebe Grüße
      Christiane

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      • beim Malen.
        Beim Schreiben eigentlich nicht, obgleich vielleicht doch, als ich in einem Zug die Schwanenwege geschrieben habe, Ich erinnere mich nicht wirklich, wie ich das gemacht habe.
        Nein, es fehlt mir nicht, ich könnte es körperlich nicht mehr aushalten. Auch mag ich es jetzt meist, langsam und besonnen zu arbeiten. Der Furor hält jetzt bestenfalls ne halbe Stunde.

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    • Ja, das dachte ich, als die Idee plötzlich vor meinem geistigen Auge auftauchte und lockend erste Satzteile um sich warf. Ganz anders als sonst. Und DAS hätte ich mit der 10-Satz-Vorgabe nicht gekonnt, an der Stelle hat sie mich eingeengt. Versucht, mich präzise (und damit relativ dicht) auszudrücken, habe ich schon immer, aber so ist es besser.
      Freut mich, dass er dir gefällt!
      Liebe Grüße
      Christiane

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        • Phhh. Dann würde ich mir eine verschwurbelte Formulierung wie „3 Begriffe in 10 Sätzen in 300 Wörtern“ einfallen lassen. 😉
          Nee, das ist die Sache mit dem Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Ich habe erwartet, zufrieden zu sein, aber wusste nicht, wie es sich anfühlen würde.

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  1. Was für eine wunderschöne Etüde!
    Dabei wollte ich doch noch gar keine lesen, damit ich nicht womöglich beeinflusst bin …
    Ich freu mich drauf, die meine für morgen zu schreiben. Idee ist noch keine da. Aber das geht dann oft ganz schnell.
    Liebe Grüße, Veronika

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  2. Früher kam mich die Muse auch häufiger besuchen, aber sie konnte sich nicht mit Herrn Depression anfreunden. Vielleicht kommt sie ja wieder, wenn sich das ändert. Ich finde, dieser Text ohne Satzlimit liest sich sehr lebendig.

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    • Es ist Prosa, also kein Sachtext. Und er flog mich so an. Warum also nicht? Vielleicht beim nächsten Mal wieder eine Geschichte, ich versuche schon, den nächsten Faden aufzufangen …
      Danke für dein Lob!
      Liebe Grüße
      Christiane

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  3. Daran erinnere ich mich gerne, wenn ich plötzlich nicht mehr aufhören konnte zu schreiben, leider ist es ja noch immer nicht wieder so …
    liebe Christiane, eine tolle Etüde, die bestimmt nicht nur bei mir Erinnerungen weckt!
    herzliche Grüße, Ulli

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    • Man kann nicht immer und zu jeder Zeit authentisch (= wahrhaftig) über alles schreiben. Ich denke, dass ein gewisser Abstand dazugehört. Aber wenn du diesen Zustand einmal erfahren hast, dann wirst du den Weg dahin auch wiederfinden können, wenn du ihn suchst, ich glaube nicht, dass das verloren geht.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  4. Ganz toll beschrieben unsere Geburtswehen, liebe Christiane! Trance und Rausch, Glücksgefühle, Staunen, schlaflose Nächte, manchmal auch Unverständnis oder Unverstehen, des selbst verfassten. Kennen wir doch wohl alle so, genau so!

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  5. Toll, liebe Christiane!
    Prosa wie aus einem Guß, aus einem, der aus der Tiefe der Seele geboren ist
    Grandios. Ich las so schnell ich konnte, wollte es mir ganz schnell einverleiben, was ich da fand
    Ganz herzlich, Bruni

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  6. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 39.40.18 | Wortspende von visitenkartemyblog | Irgendwas ist immer

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