Vom Herbstanfang und der Zeit

 

Ende

Verträumt und müde wie ein Schmetterling im September taumelt der Sommer das Gelände entlang. Altweiberfäden wirren sich um seine zerrissenen Flügel und die Blumen, die noch blühen, haben keinen Honig mehr.

Am Hochwald drüben, hinter dem die Sonne glutet, lauert die Nacht, gleich einer großen Spinne, und wie ein engmaschiges Netz hängt sie die Dämmerung vor das verflackernde Abendrot, nach dem der Schmetterling seinen Flug nimmt.

(Cäsar Flaischlen, Ende, in: Lieder und Tagebuchblätter, aus: Von Alltag und Sonne, 1897, Online-Quelle)

 

Herbsthauch

Herz, nun so alt und noch immer nicht klug,
Hoffst du von Tagen zu Tagen,
Was dir der blühende Frühling nicht trug,
Werde der Herbst dir noch tragen!

Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
Immer zu schmeicheln, zu kosen.
Rosen entfaltet am Morgen sein Hauch,
Abends verstreut er die Rosen.

Läßt doch der spielende Wind nicht vom Strauch,
Bis er ihn völlig gelichtet.
Alles, o Herz, ist ein Wind und ein Hauch,
Was wir geliebt und gedichtet.

(Friedrich Rückert, Herbsthauch, in: Viertes Buch. Haus und Jahr, aus: Lyrische Gedichte, 1898, Online-Quelle)

 

Dienstag abends kamen wir mit der Post (aus Hamburg: Mozart ‚Zauberflöte‘, Kunsthalle) wieder in Worpswede an. Schöne, stille Sternennacht, festlich und gut zur Heimkehr. Da entschloß ich mich, in Worpswede zu bleiben. Jetzt schon fühle ich wie mit jedem Tage die Einsamkeit wächst, wie dieses Land, verlassen von Farben und Schatten, immer größer wird, immer breiter und immer mehr Hintergrund für bewegte Bäume im Sturm. Ich will in diesem Sturm bleiben und alle Schauer fühlen dieses großen Ergriffenseins. Ich will Herbst haben. Ich will mich mit Winter bedecken und will mit keiner Farbe mich verraten. Ich will einschneien um eines kommenden Frühlings willen, damit, was in mir keimt, nicht zu früh aus den Furchen steige.

(Rainer Maria Rilke, Tagebücher, 27.09.1900, Online-Quelle)

 

Sonnenuntergang | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Kommt gut in die erste Herbstwoche!

 

41 Kommentare zu “Vom Herbstanfang und der Zeit

    • Rückerts Gedicht ist spätestens 1838 erschienen, da war er 50, er starb 1866. Ich würde das höchstens als „altersweise“ bezeichnen. Aber egal, ich mochte es einfach.
      Und Rilkes Optimismus … ach, Rilke. Rilke berührt mein Herz.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  1. Liebe Christiane, Die Zeilen von Rilke gehen mir ganz nah, manchmal würde auch ich gerne einschneien um eines kommenden Frühlings willen, damit, was in mir keimt, nicht zu früh aus den Furchen steige … bei Rückert werde ich ein bisschen wehmütig, ja, alles nur ein Hauch im großen Lebensrad! Und Flaischlen hats romantisch, wo die Sonne glutet … wunderbar!
    Hab Dank, wie jeden Montag, mit dir und deinen Gedichten gehe ich immer wieder gerne in die neue Woche, die hoffentlich auch für dich eine gute wird.
    Herzliche Grüße, Ulli

    Gefällt 2 Personen

  2. Fast hätte ich Deine Montagsgedichte überlesen, liebe Christiane. Ich habe gelesen, gelesen und sehr überlegt,
    und letztendlich hat es hier dann doch mal wieder Herr Rilke gepackt, mein Herz zu berühren.
    Liebe poetisch berührte Grüße von Bruni

    Gefällt 1 Person

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