„Das kann nicht euer Ernst sein, da ertrinken jeden Tag unschuldige Menschen – und ihr wollt auf eine Kreuzfahrt? Im verdammten Mittelmeer? Echt jetzt? Ohne mich! Sagt, dass das nicht wahr ist!“
Zwecklos, zu erklären, dass das Mittelmeer größer war als nur jene Strecke, die als Fluchtroute unrühmliche Bekanntheit erlangt hatte. Mittelmeer stand neuerdings für sinnloses Leid ohne Grenzen.
„Willst du vielleicht die ganze Zeit beten, dass euch keine Boote mit Geflüchteten vor den Bug kommen, höchstens nachts, damit ihr weiter schön alles ignorieren könnt, was euch nicht in den Kram passt, und nicht sehen müsst, wie ein Haufen Neger absäuft? Weil das Schiff nämlich vermutlich gar nicht stoppen und helfen darf, weil es sonst in Teufels Küche kommt, gibt ja Beispiele genug? Und damit meine ich nicht, dass die euch die Restaurants leerfressen könnten! Aktion Seebrücke, unterlassene Hilfeleistung, nur um ein paar Stichworte zu nennen? Mama, ich hätte ein bisschen mehr politisches Bewusstsein von dir erwartet. Oder wenigstens Konsequenz.“
Ruhig bleiben. Wenn sich die Tochter politisch unkorrekt ausdrückte, wollte sie provozieren. Kannte man inzwischen.
„Aber nee, lieber all-inclusive jeden Tag am Pool liegen, auf dem Deck Tennis spielen und abends angeschickert aus einer der Bars in die Kabine stelzen. Und immer schön das Image und die Cellulite pflegen. Wir haben’s ja. Nötig! Ich nenne das gemeingefährliche Dummheit.
Mama, ich bitte dich, wenn du dich schon nicht engagieren willst, dann unterstütz diese Ignoranz nicht auch noch.“
Ein vernichtender Blick vor dem theatralischen Abgang.
„DENKT DOCH MAL NACH! Ein einziges Mal!“
Es hatte sich längst schon abgezeichnet, dass das rebellische Kind bald eigene Wege gehen würde. Sie hatten ein letztes Mal gemeinsam verreisen wollen und hätten ihr gern etwas Besonderes geboten. Ganz so dicke hatten sie es nicht, finanziell gesehen, und sie liebten das Meer im Süden. Alle drei. Eigentlich.
Sie verzichteten.
—
300 Wörter
Quelle: Pixabay, Bearbeitung: ichmeinerselbst
Für die abc.etüden, Woche 39/40.2018: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Anna-Lena und lauten: Kreuzfahrt, gemeingefährlich, stelzen.
Das ist die Sache mit dem ersten Gedanken. Ich habe ihn einfach nicht mehr aus dem Kopf bekommen: Wie kann man dort jetzt Urlaub machen, wo andere sterben? Und was sagt das über uns (als Gesellschaft/jeden Einzelnen) aus, diese Tatsache zu ignorieren? So einseitig wie diese Sicht auch sein mag, diese Etüde musste geschrieben werden. Ich habe keine Antworten.
Stark!
Und gut!
Liebe Morgengrüße vom Lu
LikeGefällt 4 Personen
Danke schön, lieber Lu!
Herzliche Grüße auch in die Kesselstadt
Christiane
LikeGefällt 1 Person
Dankeschön ⭐
LikeGefällt 1 Person
😀👍🌹
LikeGefällt 1 Person
Ach mensch. Eine ärgerliche Geschichte, aber toll umgesetzt, liebe Christiane!
LikeGefällt 1 Person
Ja, es ist eine Zwickmühle. Da sie jung ist, ist sie kompromisslos. Zu Recht? Zu Unrecht? Ich frage nur …
Liebe Grüße
Christiane
LikeGefällt 4 Personen
Vielleicht brauchen wir manchmal mehr solcher Menschen – aber ich verstehe die Zwickmühle ….
LikeGefällt 4 Personen
Ich verstehe sie auch. Und eigentlich gibt es keine angenehmen Auswege, die mir eingefallen wären.
Ich habe eine Freundin, die ist gerade von einem Badeurlaub von Malta zurück. Ich habe mich wirklich spontan gefragt, ob ich jetzt dort Urlaub machen wollen würde, so kam ich drauf.
LikeGefällt 4 Personen
Das Problem ist ja wirklich, dass manch einer dazu neigt, alles über einen Kamm zu scheren. Sei es die Mittelmeerproblematik, sei es was ganz anderes. Natürlich ist es scheiße, dass Menschen ertrinken, aber deswegen sollte man doch nicht auf das Meer per se verzichten müssen, weil man sonst gedankenlos ist. Aber vermutlich hätte ich wie die Mutter am Ende nachgegeben und die Reise abgesagt. 😮
Liebe Grüße!
Gabriela
LikeGefällt 2 Personen
In Bausch und Bogen alles zu verdammen ist leicht und selten gut.
Es ist nicht so einfach und nicht so eindeutig. Es ist eine Gewissensentscheidung, und ich habe großen Respekt für beide Seiten – sofern sie überhaupt nachdenken 😉
Liebe Grüße
Christiane
LikeGefällt 2 Personen
Klasse! Wie du aktuelles mit den Worten verwebst.
Gut, dass es solche rebellischen Kinder gibt.
LikeGefällt 5 Personen
Wir leben in einer Demokratie, das heißt, viele Meinungen sind ausdrücklich erwünscht. Ja, gut, dass es die gibt, die nicht schweigen.
Aber leicht, leicht ist das trotzdem nicht.
LikeGefällt 1 Person
Die braucht es immer wieder, die nicht schweigen und Wege voran gehen. Ganz aktuell denke ich an den Hambacher Forst.
Beim Lesen deines Textes habe ich an einen Text gedacht, den ich zu Beginn der Ferien geschrieben habe. Ich hoffe, ich darf hier den kleinen Link hier hinpflanzen https://findesatz.blog/2018/07/02/2-juli-5/
LikeGefällt 3 Personen
Selbstverständlich darfst du verlinken. Ich habe dabei gesehen, dass mir der Text entgangen war … 😦
Wie ich übrigens erst vor ein paar Tagen über den Blog von Agnes Podczeck gelernt habe, heißt es nicht „Hambacher Forst“, sondern „Hambacher Wald“, und es ist wichtig, dass das ein „Wald“ ist und kein „Forst“. Agnes hatte bei sich diesen tollen Artikel verlinkt.
LikeGefällt 2 Personen
Danke für die guten Links! Worte beeinflussen ja auch unser Denken, insofern finde ich diese Beiträge sehr wichtig. Erstaunlich, dass immer wieder in der Presse von Forst geredet wird, hier sind die Zeitungen voll, der Hambacher Wald ist nicht weit weg.
LikeGefällt 1 Person
Ich kannte es auch als „Hambacher Forst“, deshalb bin ich darauf aufmerksam geworden. Recht hast du, Worte beeinflussen unser Denken enorm …
LikeGefällt 1 Person
Es fehlen einem die Worte, weil man sich ohnmächtig fühlt. Aber gerade deswegen: AUFSTEHEN!
LikeLike
Wie ich sagte, lieber Werner, ich habe keine Antworten, keine allgemeingültigen, höchstens so was wie: Denken hilft, wovon ich wirklich überzeugt bin … 😉
Liebe Grüße
Christiane
LikeGefällt 2 Personen
Eine Zwickmühle, ja.
Andererseits dachte ich gerade: warum nicht gerade jetzt massenhafte Kreuzfahrten in jener Gegend; Seenotrettung ist ja Seeleute-Pflicht, nur müssten die Kapitäne irgendwie von der Menschenrechtslage in Libyen ernsthaft und konsequenzenreich Kenntnis zu nehmen. Wenn dann das erste Kreuzfahrtschiff mit Touristen und Flüchtlingen zusammen ziellos auf dem Meer treibt, dann, vielleicht dann … Und es wäre auch eine Möglichkeit, dass sich die Menschen an Bord kennen und verstehen lernen. Ist vielleicht romantisch und naiv gedacht, aber … Ich glaube, ich dichte da gerade meine erste eigene abc.etüde zusammen. Mal sehen, ob das was wird 😉
LikeGefällt 4 Personen
Ich wüsste da gern mal die Rechtslage. Ich dachte auch, dass die halten müssten, aber wenn sie ihre aufgesammelten Passagiere nirgendwo absetzen dürfen, was sagen dann die Reedereien? Das ist doch nicht geschäftsfördernd, wenn ein Schiff festgehalten wird, und macht schlechte Presse. Also denke ich, dass Kreuzfahrer eher dort verkehren, wo es unwahrscheinlich ist, auf Boote zu treffen, und dass es interne Anweisungen an die Kapitäne gibt, so lange wie möglich wegzusehen. Zynisch? Auf jeden Fall realistisch.
Ich freue mich, von dir zu lesen, auch gerne was ganz anderes. 😀
Liebe Grüße
Christiane
LikeGefällt 1 Person
Gut so. Feine Geschichte. | Man denke auch an die Zeitgenossen, die eine Minderung des Reisepreises verlangen, wenn während ihres Urlaubs ein toter Flüchtling an „ihren“ Strand gespült wurde; es mindere ihre Erholung.
LikeGefällt 4 Personen
Ja, das würde meine Erholung auch mindern, in der Tat. | Bernd, das ist so zynisch, dass es mir die Sprache verschlägt. Im Ernst, das gibt’s?
LikeGefällt 1 Person
Ob es das tatsächlich schon gegeben hat, weiß ich nicht. Vor vielen Jahren verlangte ein Urlauber Schadenersatz wegen entgangener Urlaubsfreude, weil behinderte Menschen in seinem Hotel (oder so) untergebracht waren, was für erhebliche Schlagzeilen sorgte. Ich glaube nicht, dass diese Art Mensch über die Jahre „besser“ geworden ist. Also, es könnte sein. Liebe Grüße, Bernd
LikeGefällt 2 Personen
Ja, stimmt, daran erinnere ich mich auch, nicht aber an den Ausgang.
Ich stimme dir zu, es wäre die logische Weiterentwicklung.
Liebe Grüße
Christiane
LikeGefällt 2 Personen
So weit ich mich erinnere, lehnen Gerichte solche Ansprüche regelmäßig ab.
LikeGefällt 2 Personen
Tröstlich. Dennoch!
Danke.
LikeGefällt 2 Personen
Das gab es wirklich???
Ich schäme mich
LikeGefällt 3 Personen
Das gab es bezüglich des Anblicks Behinderter im Urlaub. Zu Flüchtlingen ist es mir nicht bekannt. Es hätte sein können; sicherlich ist die Hemmschwelle bei Flüchtlingen kleiner als bei Behinderten. Ich schäme mich für viele deutsche Urlauber, die ich im Ausland tatsächlich erleben musste. Liebe Grüße, Bernd
LikeGefällt 4 Personen
Das glaube ich dir gerne.
Gründe gibt es genug …
LikeGefällt 2 Personen
Kann man sich nicht für jede Nation schämen? Ich glaube nicht, dass besoffene Deutsche so anders sind als besoffene Engländer oder besoffene Russen. Aber vermutlich meinst du das nicht.
LikeGefällt 1 Person
Ich meine überhebliche, hochnäsiges, andere abwertendes Verhalten.
LikeGefällt 2 Personen
Wie schade, dass/wenn sich dabei die Deutschen besonders hervortun. Ich versuche, dem aus dem Weg zu gehen, aber es gelingt halt nicht immer.
LikeGefällt 1 Person
Sehr gut beschriebenes Teenager-Verhalten ! Das Thema ist halt so eine Sache ……
LikeGefällt 1 Person
Da gibt es keine einfachen Antworten. Ist mir klar, sollte auch nicht so rüberkommen.
LikeGefällt 1 Person
Tut es auch nicht. Ich selbst stehe auf Kriegsfuss mit dem Thema ….
LikeGefällt 3 Personen
Wer nicht.
LikeGefällt 1 Person
Na, es gibt viele Leute, die da sehr kategorischen Meinungen vertreten ….
LikeGefällt 1 Person
Sich entscheiden zu können, ist manchmal echt von Vorteil 😉
Wenn das keine Dumpfhirne sind und sie das Für und Wider abgewogen haben und für sich eine Entscheidung getroffen haben, dann dürfen sie die auch kategorisch vertreten. Für sich. Wenn sie mir ihren Punkt aufzwingen wollen, können sie mir gestohlen bleiben.
LikeGefällt 1 Person
Super, Christiane, du packst gleich zwei heiße Eisen an, die bei mir seit langen große Bauchschmerzen verursachen, das eine ist das Mittelmeer (ich könnte da momentan keinen Urlaub machen, meine Gedanken würden Karussel fahren), das andere sind Kreuzfahrten an sich und deren Folgen für Luft, Meer, Umwelt etc. und generell diese neue Form des Massentourismus, die ja mittlerweile erschwinglich für viele geworden ist.
Ich verstehe auch die jungen Leute, die da unvoreingenommener sind und Spaß haben wollen.
Zumindest bringst du uns alle zum Nachdenken.
Liebe Grüße
Anna-Lena
LikeGefällt 3 Personen
Verstehen kann ich viel, aber verstehen heißt nicht gutheißen. Ich glaube allerdings, die Einstellung zu dem Thema lässt sich nicht am Alter festmachen.
Und ja, es ist ein mieses Dilemma, aber soll man deswegen nicht darüber sprechen? Ich sage halt, dass es jeder für sich allein entscheiden muss.
Freut mich, dass du diese Büchse der Pandora magst, die ich da mit deinen Begriffen geöffnet habe.
Liebe Grüße
Christiane
LikeGefällt 2 Personen
Ich finde es sogar wichtig, darüber zu sprechen. Wir haben im Freundeskreis schon oft Diskussionen gehabt, denn die Mehrheit ist ‚kreuzfahrtbesessen‘ und da kommt man nur mit gegenseitiger Toleranz weiter. Jeder ist für sich verantwortlich und somit auch für seine Entscheidungen.
Danke fürs Öffnen der Büchse, das war sehr in meinem Sinn.
Liebe Grüße zurück zu dir!
LikeGefällt 1 Person
Ja, sehe ich genauso. Leben und leben lassen, reden und zuhören. Anders geht es nicht.
Gern geschehen! 😀
LikeGefällt 1 Person
Pingback: abc.etüden 39.40 / Reisen für eine bessere Welt – Agnes Podczeck
Pingback: abc.etüden 39.40 / Reisen für eine bessere Welt (2) – Agnes Podczeck
Ein klasse Text. Wie gut verstehe ich die Aufregung der Tochter und bin zufrieden damit, daß sie sich dann wohl etwas anderes ausdachten.
Die Worte der Tochter sind krass, aber manchmal weckt Krasses das Müdegewordene auf…
Liebe Grüße von Bruni
LikeGefällt 1 Person
Ja, deshalb habe ich sie so reagieren lassen.
Guten Morgen, liebe Bruni ☺️
Liebe Grüße
Christiane
LikeGefällt 1 Person
Pingback: abc.etüden 39.40 / Reisen für eine bessere Welt (3) – Agnes Podczeck
Pingback: abc.etüden 39.40 / Reisen für eine bessere Welt (4) – Agnes Podczeck
Nun ja, überall sterben Menschen. Im Urlaub, im Alltag, überall, täglich, stündlich, immer schon. Die meisten von uns waren in irgendeiner Form irgendwann persönlich davon betroffen. Was ist die Alternative? Keinen Urlaub machen? Sich nicht erholen? Stellvertretend trauern, ohne Unterlass, überall? Wenn eine Situation eintritt, in der ICH JETZT KONKRET helfen kann, hoffe ich, dass ich das (auch weiterhin) tue. Ansonsten versuche ich, mich nicht vom allgegenwärtigen Weltleid in einen allgemeinen Weltschmerz hineinziehen zu lassen. Das vergrößert nur den Schmerz und lindert das Leid kein bisschen.
LikeGefällt 1 Person
Noch ein Aspekt, danke dafür.
Ich denke, alles, was dazu führt, die Situation nicht zu ignorieren, ist okay. Aber sich im allgemeinen Weltschmerz inklusive Drama zu suhlen, sei es auch aus den edelsten Motiven, hilft sicher auch nicht.
Liebe Grüße
Christiane
LikeGefällt 1 Person
Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 41.42.18 | Wortspende von Gerda Kazakou | Irgendwas ist immer