Vom Herbst und dem Gefühl

 

Die Welt ist allezeit schön

Im Frühling prangt die schöne Welt
In einem fast Smaragden Schein.

Im Sommer gläntzt das reife Feld,
Und scheint dem Golde gleich zu seyn.

Im Herbste sieht man, als Opalen,
Der Bäume bunte Blätter strahlen.

Im Winter schmückt ein Schein, wie Diamant
Und reines Silber, Fluth und Land.

Ja kurtz, wenn wir die Welt aufmercksam sehn,
Ist sie zu allen Zeit schön.

(Barthold Hinrich Brockes, Die Welt ist allezeit schön, 1727, Online-Quelle)

 

Angst packt mich an

Angst packt mich an.
Denn ich ahne, es nahen Tage
Voll großer Klage.
Komm du, komm her zu mir! –
Wenn die Blätter im Herbst ersterben,
Und sich die Flüsse trüber färben,
Und sich die Wolken ineinander schieben
Dann komm, du, komm!
Schütze mich –
Stütze mich –
Faß meine Hand an.
Hilf mir lieben!

(Erich Mühsam, Angst packt mich an, aus: Die Wüste. 1898 – 1903. Online-Quelle)

 

Herbst

Die Blätter fallen, fallen wie von weit,
als welkten in den Himmeln ferne Gärten;
sie fallen mit verneinender Gebärde.

Und in den Nächten fällt die schwere Erde
aus allen Sternen in die Einsamkeit.

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.

Und doch ist Einer welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

(Rainer Maria Rilke, Herbst, aus: Das Buch der Bilder, 1906, Online-Quelle)

 

Herbstbaum | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Wie immer: Kommt gut in die neue Woche (und in den Oktober)!

 

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26 Kommentare zu “Vom Herbst und dem Gefühl

  1. Guten Morgen, liebe Christiane, wahrlich, die Welt ist immer schön, wer Augen zum sehen hat und eine Seele zum spüren. Und doch setzt meist im November die Klage ein, mit den leeren Bäumen und den vernebelten Tagen weht Wehmut und Melancholie in die Herzen und Stuben, gut, wenn man sich an Hände erinnert, die halten und tragen!
    Ich wünsche dir eine gute Woche, herzliche Grüße, Ulli

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  2. So schön der Herbst auch sein kann, die Vergänglichkeit und die Angst, die damit oft einhergeht, sind spürbar. Genießen wir einen hoffentlich goldenen Oktober, damit für die dunklen Tage Sonnenstrahlen einfangen können …

    Liebe Grüße zum Oktoberbeginn,
    Anna-Lena

    Gefällt 2 Personen

    • Nach dem Sommer sollten unsere Erinnerungskammern überfüllt sein, er war so lang, zumindest hier im Norden! Ich freue mich auf ein paar unaufgeregte, trübe, regnerische Tage, die den Boden tränken. Hoffentlich wird es nicht so schnell sehr kalt, wie es im Frühling heiß geworden ist.
      Liebe Grüße zum Oktober auch dir
      Christiane

      Gefällt 3 Personen

      • ‚ Ich freue mich auf ein paar unaufgeregte, trübe, regnerische Tage, die den Boden tränken.‘

        So geht es mir auch! Als ich vorhin von Berlin kam und auf der Autobahn im Stau stand, habe ich mich an dicken grauen Wolken regelrecht satt gesehen. Mittlerweile hat es ein paar Tropfen geregnet und die Luft riecht ganz satt und erdig.

        Der Oktober wird uns sicher noch verwöhnen, das glaube ich fest.

        Liebe Grüße zu dir!

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  3. dieses Mühsam-Gedicht rührt ich sehr an, besonders da ich ja ein wenig seine Biographie kenne. Aber nicht nur deshalb. „Fass meine Hand an. Hilf mir lieben“. Rilkes Gedicht sowieso, auch wenn es schon fast allzu bekannt ist.

    Gefällt 2 Personen

    • Das ging mir mit Mühsam auch so, das ging mir durch und durch. Und Rilke: Ich will sehr bekannte mit eher unbekannten Gedichten mischen, damit die sehr bekannten auch bekannt bleiben. Hauptsächlich habe ich es aber genommen, weil ich es sehr mag.
      Liebe Grüße
      Christiane

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      • Ja ja ja ja ja! Unbedingt. Und wie gut, dass es Gedichte gibt, derer man nie müde wird.
        Ich denke, dass es unterschiedliche Stadien des „Kennens“ gibt. „Ach ja, schon mal gelesen, kann ich überspringen“, was für viele und bei vielen Dingen wohl „kennen“ bedeutet, gehört für mich (zumindest bei Gedichten, ich kann mich davon auch nicht immer freisprechen) nur am Rand dazu …

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  4. Eine gute Mischung, liebe Christiane!
    Brockes, der Norddeutsche, der keine Not kannte
    und dann Herr Mühsam, der mir unbekannt war, aber wie sehr rühren seine Angst-Zeilen an, wie nah kommen sie mir.
    Und dann über allen, ich kann mir nicht helfen, es ist einfach so, Rilke mit der schier unendlichen Schönheit seiner Sprache…
    Wundervoll!
    Danke, liebe Christiane, für diese Mischung

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    • Mit Mühsam entgeht dir was, liebe Bruni, auf den solltest du nicht verzichten, gerade mit Blick auf sein Leben.
      Und Rilke, ja, Rilke. Hin und wieder werfe ich eines meiner Lieblingsgedichte in die Montagsgedichte und kümmere mich nicht darum, dass ich sie schon ein-, zweimal oder öfter dabeihatte, denn ich denke, dass andere sie so mögen wie ich.
      (Hab den Tippfehler verbessert und deinen zweiten Kommentar gelöscht.)
      Liebe Grüße
      Christiane

      Gefällt 2 Personen

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