Mit dem Begreifen, was das bedeutete, was er fühlte, kam die Scham. So war man nicht. Krank. Pervers. Er gab sich selbst das Versprechen, ES nie auszuleben. Nie. Er hatte schließlich hohe Ansprüche an sich, auch moralische. Und wenn auch alles um ihn herum verderbt war, er würde standhalten.
An manchen Tagen rettete ihn nur Komasaufen. Er sprach niemals darüber, mit wem denn? Zum Glück gab es das Internet, aber war das wirklich Glück? Nein, musste er sich eingestehen. Das war wie Pizza-Werbung für Leute auf Diät.
Dann hatte er den Ruf verspürt. Sein Leben änderte sich. Lange Jahre war er mehr als froh, alle Energien in diese Richtung konzentrieren zu können. Er dankte Gott täglich inbrünstig, dass er ihm half, seine übermenschliche Last zu tragen.
Alle Freunde waren der Meinung, er hätte sein Schäfchen im Trockenen: Das Kirchenamt sei eine fette Pfründe, und solange man nicht versuchte, sich eine mondäne Hütte hinzustellen wie jener Scheinheilige, habe man ein gutes Auskommen, oder nicht? Allerdings gab es da einen Schönheitsfehler … obwohl von angenehmem Äußeren, blieb er ledig. Nun ja, leben und leben lassen war die einhellige Meinung in seiner Gemeinde, schließlich mochte man ihn.
Irgendwann geschah das, wovor er sich immer gefürchtet hatte: Ein bestimmtes Menschenkind trat in sein Leben. Die Versuchung war so massiv, dass ein einziger Blick reichte, ihn in Flammen zu setzen und tagelang zu verstören. Als er spürte, dass sein ehernes NEIN zu wanken begann, war das der Moment, wo er ernsthaft anfing, über Selbstmord nachzudenken.
Die Rettung nahte in Form eines Freundes, der eines alkoholreichen Abends wortlos einen Flyer des Präventionsnetzwerks „Kein Täter werden“ auf seinem Wohnzimmertisch hinterließ. Der Flyer sprach von Verantwortung, von Therapie, von Schweigepflicht und nannte eine Telefonnummer.
Am nächsten Tag schon nahm er allen verbliebenen Mut zusammen und rief an.
Quelle: Pixabay (hier und hier), Bearbeitung von mir
Von allen Tabus in unserer nur scheinbar tabulosen Zeit ist das, eine Sexualität zu haben, die sich auf Kinder richtet, mit Sicherheit eines der schlimmsten, da es sofort Hass und Aggression auslöst. Ich bin selbst nicht frei davon.
Ich bin allerdings auch ein Verfechter der Ansicht, dass man sich nicht bewusst dafür entscheidet, wen man begehrt. Verantwortung setzt für mich in dem Moment ein, wo man beschließt, diese Veranlagung auszuleben – oder eben nicht, wie in meiner Etüde.
Die Etüde spielt mit dem gängigen Vorurteil, dass viele Priester/Pfarrer mit ihrem Kirchenamt nur pädophile Neigungen verdecken, um sie darunter ungestört auszuleben. Klar, die gibt es. Wir wissen aber auch, dass es überall egoistische, machtbesessene Vollpfosten beiderlei Geschlechts gibt, deren emotionaler Horizont bei ihrem eigenen Unterleib aufhört und denen alle anderen ziemlich egal sind. Diese Leute müssen aufgespürt und gestoppt werden, für unser aller Wohlergehen als Gesellschaft, und man muss sich nicht nur ausreichend(!) um die Opfer kümmern, sondern auch (überall) um die Strukturen, die den Missbrauch vereinfachen und verharmlosen – und darum, mögliche Täter gar nicht erst zu Tätern werden zu lassen.
Wen man nämlich meist nicht sieht, sind die, die verzweifelt darum ringen, kein Täter zu werden, weil sie wissen/fühlen, was Missbrauch bedeutet, und das keinem antun wollen, schon gar nicht einem Kind. Ein quälendes Leben, das häufig in absolutem Schweigen stattfindet. An diese Menschen (und an „Aussteiger“) wendet sich das erwähnte Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“ (Link zur Homepage).
Für die abc.etüden, Woche 43/44.2018: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Bernd und lauten: Pfründe, mondän, lassen.
Diese Etüde zu diesen Worten musste jetzt noch raus, sonst wäre ich geplatzt. Sorry, ich bin heute und morgen wenig online, nehmt es mir bitte nicht übel, wenn meine Kommentare auf sich warten lassen.
Wahnsinnstext. Und sehr mutig. Ich finde es sehr gut, dass es für „solche Menschen“ jetzt professionelle Hilfsangebote gibt, und dass Du hier darauf hinweist. Verurteilen ist so leicht…..
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Danke dir. Ja, eben, es ist so ein unglaublich emotionales Thema.
Wie immer gibt es mehr Bewerber als freie Plätze, klar, oder?
Liebe Grüße
Christiane
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Verantwortung übernehmen – das erfordert immer Mut und in solchen Situationen umso mehr! Danke für deine Etüde – ich finde sie auch mutig, aber auch verantwortungsvoll! Respekt! Ich finde es mehr als gut, dass diese Etüde geschrieben wurde! Und dir ein schönes Wochenende!
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Ich stoße auf dieses Thema immer wieder mal, zuletzt mit jemandem, der mit Tätern arbeitet.
Ich finde es auch kein leichtes Thema und ich habe lange für die Etüde gebraucht – und ich frage mich, ob ich es nicht überfrachtet habe. Wie (fast) immer.
Ohne Verantwortung zu übernehmen, ohne etwas zu tun, ist alles nur Gelaber. Speziell hierbei. Heftige Kiste.
Auch dir ein schönes Wochenende!
Liebe Grüße
Christiane 🙂
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In meinen Augen ist es nicht überfrachtet. Und ich finde es ist ein wichtiges Thema, über das nicht geschwiegen werden darf. Auch nicht von potentiellen Tätern!
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Letzteres ist leichter gesagt als getan …
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Kein Gelaber. Man kann nicht für alles Unheil der Welt Verantwortung übernehmen, indem man handelt. Ich findees ausgezeichnet, dass du diesen einfühlsamen und wichtigen Text geschrieben hast. Denn es ist tatsächlich ein brandheißes schwierigies Thema, kaum auszuhalten. Und du hast es gerade richtig dosiert, finde ich. Liebe Grüße dir!
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Oh. Nein, nicht für alles Unheil der Welt, natürlich nicht. Ich war auf meine Etüde bezogen, also auf das, was der Einzelne in seiner konkreten Situation tun kann.
Danke dir. Kaum auszuhalten, das ist auch mein Empfinden.
Liebe Grüße, danke für die Rückmeldung
Christiane
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Du weist in eine Richtung, die genau das von anderen fordert: statt nach Vourteilen, nach Lösungen zu suchen.
Schwierig in einer Gesellschaft, die es gewöhnt ist, Sündenböcke zu brauchen um sich aus der eigenen Verantwortung zu nehmen. Alle Kinder müssen stark gemacht werden und unterwiesen im Bewusstsein: niemand darf mich anfassen oder mich zwingen ihn zu küssen. Und das beginnt, indem man Kinder nicht zwingt, Berührungen und Küsse zu erdulden, die sie ablehnen. Nun gib schon dem Onkel Ernst einen Kuss, sei artig, sagt Mutti zu Klein-Michael. Sei schon lieb! Und Klein-Michael? Was tut er, wenn er Mamas Liebe will…was tut er wohl…?
Jeder trägt mit an dieser Verantwortung. Das macht es Tätern schwerer…ihre Opfer zu suchen- weil es keine Opfer sein wollen.
Deinen Links folge ich, danke Bernd für die Worte und Dir für einen klugen Etüdentext, der ein Entkommen aus der Ausweglosigkeit aufzeigt…
Viele Grüße, einen Mutpunkt von ❤️für Dich und Dank !
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So weit ich weiß, geschieht in der Hinsicht schon viel mehr als zu der Zeit, in der ich Kind war. Das ist gut und darf nicht aufhören.
Danke für den Mutpunkt, den hänge ich mir über den PC und schau ihn an, wenn ich ihn brauche …
Liebe Grüße
Christiane
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Großartig finde ich es, ein so heikles und schwieriges Thema aufzugreifen ! Und ebenso großartig das Netzwerk. Schließlich kann doch niemand etwas für seine/ihre sexuelle Orientierung und es ist höchst respektgebietend dagegen anzukämpfen
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Eben. Wenn ich nicht relativ zufällig darüber gestolpert wäre, wüsste ich es auch nicht. Es unterstützt die Betroffenen dabei, sich nicht aufzugeben und ihre Würde zu behalten.
Leidvolle Geschichten sind das, auf allen Seiten.
Liebe Grüße
Christiane
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Du hast es sehr gut auf den Punkt gebracht: Was wir fühlen, können wir nicht immer beeinflussen. Verantwortung übernehmen ist ganz schön schwer, und jeder, der es tut hat höchsten Respekt verdient, finde ich.
Danke für deinen Mut, dieses heiße Eisen anzufassen.
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Höchsten Respekt, das empfinde ich auch. Ich denke, wenn man mit so was geschlagen ist, dann ist es eine Herausforderung, damit umzugehen. Und bei jedem Scheitern neu aufzustehen …
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Ich bin spät dran. Es gibt nichts mehr hinzuzufügen. Danke. Liebe Grüße, Bernd
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Ich danke dir. Deine Etüden bringen mich immer wieder zum Nachdenken.
Liebe Grüße
Christiane
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Ein höchst schwieriges Thema, liebe Christiane, und hier den rechten Ton zu treffen ebenso. Du hast es geschafft.
Eine Veranlagung, die verletzt (wenn nicht körperlich, dann auf jeden Fall seelisch), um zu empfinden, ist für uns kaum möglich.
Kann sie überhaupt von jemandem ganz genau erkannt werden und gleichzeitig doch unterdrückt, weil er weiß, SO wie er fühlt, darf und möchte er nicht fühlen?
Liebe Grüße von Bruni
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Bruni, andere Baustelle, aber ähnliches Muster: Wie viele Leute haben ihre Homosexualität unterdrückt? Was wussten die über ihre Veranlagung?
Liebe Grüße am Abend
Christiane
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Ein Fall aus meiner nächsten Umgebung, liebe Christiane:
Er merkte nur, daß ihn keine fülligen, sondern nur knabenhafte Frauen interessierten und einen ersten Schritt machte er nie.
Bis eine Freundin von mir kam, aktiv und fordernd, und sie entsprach in etwa dem Bild, daß er träumte.
Sie heirateten, bekamen eine süße rothaarige Tochter. Er war der stolzeste Vater, den Du Dir denken kannst. Die Geburt erlebte ich durch seine Erzählung ganz genau mit. Da uns viele Kilometer trennten, rief er mich an.
Ca. 5 Jahre vergingen, er verdiente wenig Geld, die Freundin mußte die Familie ernähren und die Mutter meiner Freundin hütete die Kleine… Er fühlte sich überflüssig.
Da begann er, an vielen Abenden zu verschwinden, immer wieder, immer mehr und er lernte einen Mann kennen und sehr lieben. Er verließ die kleine Familie.
Er hatte die Liebe seines Lebens gefunden und so blieb es, bis seine Liebe viel zu früh sterben mußte und der Exmann meiner Freundin keinen Boden mehr unter seinen Füßen hatte…
Das Leben meiner Freundin ging weiter. Vor einem Jahr wurde sie Oma.
Ob er von seiner Veranlagung wußte und sie unterdrückte, weiß ich nicht. Ich vermutete immer, daß sie geweckt wurde von einem, der ein Lebenslicht für ihn wurde.
Es ist nicht der einzige Fall in meiner engern Umgebung, aber der andere ist viel klarer.
Liebe Grüße von Bruni
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Mutig. Auch eine Geschichte, die man erzählen könnte, und von denen es viele gibt.
Was ich aber meine bzw. gemeint habe: Kann man ernsthaft glauben, Kinder sexuell zu begehren (ich rede mal gar nicht vom Benutzen), könnte „richtig“ sein? Ich glaube nicht daran, ich dachte immer, da würde automatisch dieser „Schutzimpuls“ einsetzen.
Liebe Grüße, einen schönen Sonntag dir, ich war gestern ziemlich offline
Christiane
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Kinder sexuell zu begehren ist falsch, unrichtig und von der Schöpfung (für mich die Natur) so nicht gedacht, behaupte ich einfach. Der Mensch ist ein biologisches Wesen und auf Fortpflanzung bedacht.
Ist es also eine Fehlschaltung im menschlichen Gehirn?
Vor Jahren habe ich mal ein wissenschaftliches Experiment mitz Raten gesehen. Zu viele waren in einem Käfig eingesperrt und sie vermehrten sich nicht mehr, wurden aber homosexuell.
Ich fand es hochinteressant und gut zu verstehen.
Aber das Begehren eines Kindes übersteigt meine gesamte Vorstellungskraft und ich kann es nur – als totaler Laie – nach meinem Gefühl und als überaus krasse Störung im Gehirn *begreifent*. Eine Fehlentwicklung, bzw. der fehlende Schutzimpuls…
Auch Dir noch einen feinen und entspannten Sonntag
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Ich weiß es nicht, liebe Bruni, und ich fürchte, dass sich das Problem mit der Diagnose „Fehlschaltung“ nicht lösen lässt 😦
Liebe Grüße zurück
Christiane
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Aber wie kommt es dazu???
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Gibt viele Theorien, aber ich glaube, keine allgemeingültige.
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Gratuliere dir zu diesem Text, liebe Christiane. Er packt eines der derart viel diskutierten Themen auf eine sensible Weise an und warnt auch vor Vorverurteilungen, zu denen wir ja immer sehr schnell bereit sind.
Erstaunlich, was diese kleinen Etüden so in Bewegung setzen können und so danke ich dir auch hier noch einmal für deine viele Mühe, die du mit der Etüden-Organisation immer wieder auf dich nimmst.
Herzlich
Anna-Lena
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Es ist nicht immer so, aber für eine Etüde müssen manchmal verschiedene Faktoren zusammenkommen. Einer davon war auf jeden Fall Bernd, der in seinen Etüden ja auch gern derartige Themen aufgreift. Außerdem kannte ich die Webseite. Außerdem habe ich durch mein Umfeld Bezug zu diesem Thema. Und dann habe ich weitergedacht … und dann kam das dabei raus.
Ich danke dir, dass du immer dabei bist!
Liebe Grüße, einen schönen Sonntag dir, ich war gestern ziemlich offline
Christiane
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