Vom Trauern und Advent

 

Letzte Bitte

Lege deine Hand auf meine Augen,
daß mein Blut wie Meeresnächte dunkelt:
fern im Nachen lauscht der Tod.

Lege deine Hand auf meine Augen,
bis mein Blut wie Himmelsnächte funkelt:
silbern rauscht das schwarze Boot.

(Richard Dehmel, Letzte Bitte, aus: Erlösung, Berlin 1898, 2. Auflage, S. 310, Online-Quelle)

 

Das Ende wird so wie der Anfang sein

Das Ende wird so wie der Anfang sein:
Wir werden gehn, wie wir gekommen.
Wie man im Traum durch fremde Wege schreitet,
Auf nackter Heide, endlos hingeweitet.
Ein Fünkchen flackert, geisternd hergeschwommen,
Gelb, tanzend, quirlend, leis und heiß erglommen –
Wie du auch zweifelst, du vertraust dem Schein.

Du gehst mit ihm, dir ist nicht mehr so schwer.
Dir ist, als ob dich große Flügel decken,
Als ob du stiegst und fühltest nicht das Steigen,
Als ob du schwiegst und redetest im Schweigen,
Als ob dich, nachtbeklemmt, Gesichte schrecken,
Als ob dich früh am Morgen Lerchen wecken –
Doch, was du siehst, ist nicht die Erde mehr.

(Gustav Schüler, Das Ende wird so wie der Anfang sein, vermutlich aus: Meine grüne Erde, 1904/1925, Online-Quelle)

 

Die hohen Tannen atmen heiser

Die hohen Tannen atmen heiser
im Winterschnee, und bauschiger
schmiegt sich sein Glanz um alle Reiser.
Die weißen Wege werden leiser,
die trauten Stuben lauschiger.

Da singt die Uhr, die Kinder zittern:
Im grünen Ofen kracht ein Scheit
und stürzt in lichten Lohgewittern, –
und draußen wächst im Flockenflittern
der weiße Tag zur Ewigkeit.

(Rainer Maria Rilke, Die hohen Tannen atmen heiser, aus: Erste Gedichte/Gaben an verschiedene Freunde, Insel 1913, Online-Quelle)

 

Gefrorenes Gänseblümchen | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Für alle, die jetzt denken, nanu, was ist denn das, denen sei gesagt, dass heute jemand Geburtstag hätte, um den ich trauere. Es ist nicht mehr diese wilde, alles zerreißende Trauer, aber er bleibt unvergessen – und ich habe kein Gedicht, von dem ich absolut sicher wüsste, dass es ihm gefallen hat, und ich mag in diesem Rahmen keine Schnipsel der „Big Bang Theory“ verlinken  😉

Kommt gut in die neue Woche!

 

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20 Kommentare zu “Vom Trauern und Advent

  1. Der Schmerz wird nie aufhören beim Verlust von Menschen, die uns etwas bedeutet haben, möge Deine Auswahl Trost für Dich sein, alle drei sind berührend schön.
    Sei mitfühlend gegrüßt, Karin

    Gefällt 6 Personen

  2. Liebe Christiane, das Gedicht von Schüler mag ich sehr und das von Rilke auch, die letzte Bitte stößt bei mir auf Widerstand, die Vorstellung, dass eine Hand auf meinen sterbenden Augen liegen würde ist es, ich hätte lieber eine Hand, die meine hält, aber die Menschen sind eben verschieden!
    Trauer kehrt immer wieder, wenigstns aus meiner Erfahrung, aber auch sie ändert sich über die Jahre, wird leiser, ist weniger schmerzhaft.
    Gute Besserung und ganz liebe Grüße an dich,
    Ulli

    Gefällt 3 Personen

    • Ich vermute, dass Dehmel die Vorstellung, dem Toten die Augen zu schließen, mochte, daher die Hand über den Augen.
      Und ja, ich stimme dir zu, was du über Trauer sagst.
      Liebe Grüße und danke
      Christiane

      Gefällt 2 Personen

    • steckt mich bloß nicht an. Ich huste auch ohne sonderliche Erkältung sch scon genug…

      Herr Rilke ist´s der mich heute betört, liebe Christiane. Eben hatte ich noch zufällig die Traueranzeige von 2009 in der Hand. Damals war mein Kummer riesig und ich konnte nicht fassen, was ich las. Ich habe es nun schon lange überwunden und kann bestätigen, was Ulli sagt.

      Nochmal gute Besserung, liebe Christiane und liebe Abendgrüße von Bruni

      Gefällt 2 Personen

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