Von Weihnachten zu Weihnachten

 

Weihnachten

Markt und Straßen stehn verlassen,
Still erleuchtet jedes Haus,
Sinnend geh’ ich durch die Gassen,
Alles sieht so festlich aus.

An den Fenstern haben Frauen
Buntes Spielzeug fromm geschmückt,
Tausend Kindlein stehn und schauen,
Sind so wunderstill beglückt.

Und ich wandre aus den Mauern
Bis hinaus in’s freie Feld,
Hehres Glänzen, heil’ges Schauern!
Wie so weit und still die Welt!

Sterne hoch die Kreise schlingen,
Aus des Schneees Einsamkeit
Steigt’s wie wunderbares Singen –
O du gnadenreiche Zeit!

(Joseph von Eichendorff, Weihnachten, Erstdruck 1837, aus: Gedichte/6. Geistliche Gedichte, Online-quelle)

 

Weihnachten

Nun ist das Fest der Weihenacht,
das Fest, das alle glücklich macht,
wo sich mit reichen Festgeschenken
Mann, Weib und Greis und Kind bedenken,
wo aller Hader wird vergessen
beim Christbaum und beim Karpfenessen; —
und Groß und Klein und Arm und Reich, —
an diesem Tag ist alles gleich.
So steht’s in vielerlei Varianten
in deutschen Blättern. Alten Tanten
und Wickelkindern rollt die Zähre
ins Taschentuch ob dieser Mähre.
Papa liest’s der Familie vor,
und alle lauschen und sind Ohr…
Ich sah, wie so ein Zeitungsblatt
ein armer Kerl gelesen hat.
Er hob es auf aus einer Pfütze,
dass es ihm hinterm Zaune nütze.

(Erich Mühsam, Weihnachten, Erstdruck in: Der Krater. Berlin (Morgen) 1909, Online-Quelle bei der Erich-Mühsam-Gesellschaft)

 

Einsiedlers heiliger Abend

Ich hab’ in den Weihnachtstagen –
Ich weiß auch, warum –
Mir selbst einen Christbaum geschlagen,
Der ist ganz verkrüppelt und krumm.

Ich bohrte ein Loch in die Diele
Und steckte ihn da hinein
Und stellte rings um ihn viele
Flaschen Burgunderwein.

Und zierte, um Baumschmuck und Lichter
Zu sparen, ihn abends noch spät
Mit Löffeln, Gabeln und Trichter
Und anderem blanken Gerät.

Ich kochte zur heiligen Stunde
Mir Erbsensuppe mit Speck
Und gab meinem fröhlichen Hunde
Gulasch und litt seinen Dreck.

Und sang aus burgundernder Kehle
Das Pfannenflickerlied.
Und pries mit bewundernder Seele
Alles das, was ich mied.

Es glimmte petroleumbetrunken
Später der Lampendocht.
Ich saß in Gedanken versunken.
Da hat’s an der Türe gepocht,

Und pochte wieder und wieder.
Es konnte das Christkind sein.
Und klang’s nicht wie Weihnachtslieder?
Ich aber rief nicht: „Herein!“

Ich zog mich aus und ging leise
Zu Bett, ohne Angst, ohne Spott,
Und dankte auf krumme Weise
Lallend dem lieben Gott.

(Joachim Ringelnatz, Einsiedlers Heiliger Abend, aus: Allerdings, 1928, Online-Quelle)

 

Weihnachtsbeleuchtung in Moskau | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Ich habe neulich den Satz gehört (nein, nicht in der Werbung), der alles für mich auf den Punkt brachte: Ohne Liebe ist es nur ein Fest.
Friedliche und fröhliche, stille, entspannte, harmonische Tage wünsche ich euch also. Nicht gleich abwehren, bitte! Eine Sehnsucht zu haben, in der man sich wiederfindet, ist wichtig.
Also: von Herzen. Mit Liebe.

 

 

 

50 Kommentare zu “Von Weihnachten zu Weihnachten

  1. Ohne Liebe ist es nur ein Fest. Toller Satz mit tiefgreifender Wahrheit. Auch dir wünsche ich eine Stille aber fröhliche, besinnliche und festliche Weihnacht. Alles Liebe, Robert 🎄🎄✨✨❄️❄️🎁

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  2. Guten Morgen liebe Christiane, deine Gedichte erinnern mich an die Kindheit, denn an Heilig Abend musste jedes Kind bei uns Gedichte frei vortragen, die dann Live mitgeschnitten wurden, um sie hinterher an die Großeltern zu senden. Heute freue ich mich über deine Lyrik, damals waren wir froh, wenn alles fehlerfrei geklappt hatte 😉 Danke, für deine vielen schönen Beiträge und natürlich wünsche ich dir ein fröhliches, friedliches und geliebtes Weihnachtsfest ❤

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    • Oh je, lieber Arno, das ist ja echt die verschärfte Nummer, wenn die eigenen Fehler auch noch mitgeschnitten werden! Ja, „Markt und Straßen“ dürfte dabei gewesen sein, oder? Heute würde man einfach Skype anwerfen …
      Schöne Weihnachten auch dir, ich freue mich schon darauf, bei dir wieder deine klugen Texte zu lesen und deine tollen Fotos zu bestaunen!
      Alles Liebe
      Christiane 🎄🌠🎁

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  3. Mir selbst zuliebe das Fest der Liebe zu gestalten, wie ich es mag, keinem Zwang unterlegen, der Sehnsucht, der Stille, der Fülle an Erinnerungen Raum zu geben, so werde ich heute und bis zum Jahreswechsel die Tage gestalten und mir mehr denn je bewußt werden, wie auch wunderbar dieses Leben für mich ist und sein kann.
    Dir liebe Christiane liebevolle Grüße zum Heiligabend und den Feiertagen und einen Krauler an den Fellträger von Karin mit Capucchio.

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    • Nichts zu müssen, aber alles zu dürfen hat viele Vorteile, liebe Karin. Ich hoffe, dass du es dir (euch) richtig schick und gemütlich machen kannst, dass dein kleines Biest nicht auf den Weihnachtsbaum klettert oder den Weihnachtsbraten plündert und dergleichen mehr … Streichel ihn gern auch von mir. 😺
      Liebe Grüße von Herzen
      Christiane 🎄🌠🎁

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  4. Liebe Christiane – ein schöner Satz – so lasset uns also diesen (Und hoffentlich such viele andere Tage) in Liebe verbringen.
    Dir wünsche ich wundervolle, liebesvolle Tage und noch ein Dank für deine wundervollen Beiträge und natürlich Organisation der Etüden.
    Ganz liebe Grüße. Sabine

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  5. Eigentlich wünscht man das ja immer: friedliche und fröhliche Tage, entspannt ist auch gut, kann aber auch mal gespannt heißen. Sei es drum, das alles wünsche ich dir ebenso, liebe Christiane. Wir verbringen den heutigen Tag wie in den letzten Jahren, ein Glüchweinständerling mit Musik, dann gehts nach Hause und am Abend bekommen wir noch Besuch eines oder mehrerer langjähriger Freunde, mal sehen wer kommt. Dann schwelgt man in Erinnerungen… (und gluckert die Reste weg…)
    Dein erstes Gedicht (ich kannte mal wieder keines. oder besser: ich erinnere mich nicht / es ist verdrängt) erinnert mich allerdings nicht nur an Weihnachten, es ist ein ähnliches Gefühl, wenn ich an dunklen Winterabenden durch die Straßen laufe oder noch Sternlein schauen gehe. „Wie so weit und still die Welt“. Das hat was mit zur Ruhe kommen zu tun, und das muss man auch zulassen (können), gerade in unserer immer erreichbaren Zeit.
    In diesem Sinne, auch dir gute Tage und liebe Grüße, auch über die Feiertage hinaus.
    🙂

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    • Deshalb ja die Wahl des ersten Gedichtes, meine Auffassung von der Bedeutung dieses Festes übersteigt das rein Christliche, um es mal so zu sagen. Fein, dass du dich gerade darauf gestürzt hast. Die beiden anderen Gedichte: Man muss/sollte die Verfasser kennen, aus Gründen. Die Gedichte passten mir schön in den Kram, um nicht voll in den Weihnachtskitsch zu treten, in den man sonst so leicht und gern verfällt, auch ich.
      Dein Weihnachtsprogramm klingt leicht, möge es so sein.
      Ich werde jedenfalls nur dann erreichbar sein, wenn ich es möchte, ich habe schon damit angefangen und freue mich auf die nächsten Tage.
      Habs gut!
      Christiane

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  6. Liebe Christiane,
    ich danke Dir für Deine schöne Wortwebeseite, die mich immer so inspirierend und anregend durchs Jahr begleitet.
    Dir und dem Fellträger wünsche behagliche, besinnliche, genüßliche und herzerfüllte Weihnachtsfesttage.
    Gruß & Umarmung von
    Ulrike ❄ 💫 🎄 ⛄ 🎄 💫 ❄

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    • Liebe Ulrike, bei mir läuten gerade „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“ die hoffentlich behaglichen Weihnachtstage ein, der Fellträger schnarcht beim Schlafen, ich bin in Kakao-mit-Rum-Stimmung … Es darf so weitergehen.
      Alles Liebe auch dir und für deine Arbeit an deiner zauberhaften Bücherseite, wo ich so gern zu Gast bin.
      Alles Liebe
      Christiane 🎄🌠🎁😺

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    • Weihnachtliche Grüße auch dir, liebe Nicole! Hab ein paar zauberhafte Tage und lass es dir an Körper, Geist und Seele gut ergehen!
      Liebe Grüße
      Christiane 🎄🌠🎁😺

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  7. Eine tolle Auswahl an Weihnachtsgedichten, liebe Christiane
    Markt unf Straßen stehn verlassen, werde ich nie vergessen.
    Ich sprach es mit Herzblut vor vielen Senioren bei einer Weihnachtsfeier der AWO. Ich war klein und niedlich und alle waren sehr gerührt. Nach dem großen Erfolg sollte ich im Jahr drauf wieder auf die Bühne und das einstudierte Gedicht klappte gut. Aber dann nicht mehr. Ich rannte weinend weg und habe so etwas nie wieder versucht… Da muß ich ca. 8 Jahre alt gewesen sein.
    Ringelnatz haut mich mal wieder vom Hocker, so gut finde ich ihn. Grandios, seine Schreibe, liebe Christiane

    Deine abschließenden Worte haben mich sehr gerührt.
    Die Sehnsucht ist wichtig und ohne Sehnsucht ist so vieles falsch und ohne Liebe sowieso….

    Sei ganz lieb gegrüßt von Bruni
    http://wortbehagen.de/index.php/gedichte/2015/dezember/weihnachtszeit
    und frohe und entspannte Weihnachten Dir

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    • Und das ist doch die Frage, liebe Bruni: Was ist wichtig? Das kann keiner für einen entscheiden, letzten Endes nicht …
      Ringelnatz hat mich von den drei Gedichten auch ganz besonders berührt. Freut mich, dass es dir auch so ging.
      Frohe Weihnachten, lass es dir gut gehen
      Christiane 🎄🌠🎁😺

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  8. Das erste Weihnachtsgedicht von Joseph von Eichendorff habe ich als Kind mit Hilfe meiner Oma noch auswendig gelernt und am Heiligabend vor meinen Eltern umd dem erleuchteten Weihnachtsbaum aufgesagt. Danke für diese schöne Kindheitserinnerung, die du mir so beschert hast, liebe Christiane. Ich wünsche dir und deiner Familie frohe und besinnliche Weihnachtsfeiertage.

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    • Jupp, das Gedicht gehört auch in den Kanon derer, die ich mal auswendig lernen „durfte“. Erfreulicherweise haben meine Eltern das Kinderdressieren unter dem Weihnachtsbaum nicht besonders konsequent durchgezogen.
      Auch dir ein schönes Weihnachtsfest!
      Liebe Grüße
      Christiane 🎄🌠🎁😺

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      • Moment mal, als „Kinderdressieren“ habe ich das Lernen und Aufsagen des Gedichts damals nicht empfunden. Mir hat das Spaß gemacht. Meine Oma hat m ich grfagt, ob ich Lust dazu hätte, ein Gedicht auswendig zu lernen und es war meine Entscheidung, das zu tun. Es war kein Zwang dahinter. Das möchte ich an dieser Stelle betonen, sonst kommt das vollkommen falsch herüber.

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        • Das ist toll, so soll es sein!
          Wenn du dich auf meinem Blog umgeschaut hast, weißt du, dass ich Gedichte liebe. Daran liegt es also nicht; ich allerdings habe jegliches „Aufsagen-Müssen“ (die Betonung liegt auf Müssen) immer als Zwang empfunden. Schön, dass/wenn es bei dir anders war.

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