Vom Winter und dem Kummer

 

Das Dunkel geht nicht aus den Dingen heraus

Ein früher Abend schleicht im Haus herum,
Er löscht die Farbe deiner Wangen aus
Und hängt dir seine Blässe um.

Maibäume stehen im Regen gebückt,
Die Berge dampfend voll Wolken wehen,
Deine Brust ist dumpf wie der Abend bedrückt.

Das Dunkel geht nicht aus den Dingen heraus,
Dein Gesicht allein leuchtet weiß hinaus
Und sieht starr wie die Maske des Kummers aus.

(Max Dauthendey, Das Dunkel geht nicht aus den Dingen heraus, aus: Lusamgärtlein, in: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 263)

 

Nicht alle Schmerzen sind heilbar

Nicht alle Schmerzen sind heilbar, denn manche schleichen
Sich tiefer und tiefer ins Herz hinein,
Und während Tage und Jahre verstreichen,
Werden sie Stein.

Du sprichst und lachst, wie wenn nichts wäre,
Sie scheinen zerronnen wie Schaum.
Doch du spürst ihre lastende Schwere
Bis in den Traum.

Der Frühling kommt wieder mit Wärme und Helle,
Die Welt wird ein Blütenmeer.
Aber in meinem Herzen ist eine Stelle,
Da blüht nichts mehr.

(Ricarda Huch, Nicht alle Schmerzen sind heilbar, aus: Herbstfeuer. Gedichte, Insel Verlag zu Leipzig 1944, Quelle)

 

Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchen meine Sinne sich vertiefen;
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.

Aus ihnen kommt mir Wissen, daß ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.
Und manchmal bin ich wie der Baum,
der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.

(Rainer Maria Rilke, Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden, 1899, in: Das Buch vom mönchischen Leben, aus: Das Stundenbuch, Online-Quelle)

 

Steinlöwe | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Ja, ich weiß, dass es noch nicht Mai ist. Kommt dennoch gut in die neue Woche!

 

35 Kommentare zu “Vom Winter und dem Kummer

  1. Liebe Christiane!
    Die von dir ausgesuchten Gedichte passen doch immer wieder wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Auch wenn hier und da ein paar Sonnenstrahlen zu sehen sind, ist es doch einfach nur viel zu dunkel derzeit.

    Liebste Grüße!
    Gabriela

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  2. Traurig-schöne Gedichte.
    Ich bewundere dein Gespür immer wieder.
    Gedicht Nummer zwei ist gerade wie für mich geschrieben…
    Dir auch einen guten Wochenstart.
    Liebe Grüße,
    Berta

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    • Jein. Meine Etüden haben oft irgendwas Autobiografisches, und wenn es nur ein Detail ist. Ist normal, ich zumindest finde, dass man sich immer irgendwie einbringt.
      In meinem Fall hat das Schreiben einen Erdrutsch an Erinnerungen ausgelöst, der mir gerade zu schaffen macht.
      Da gibt es nichts, was man tun kann. Danke für deine Nachfrage.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  3. Dunkelzeit … ja, eigentlich ist damit die Winterzeit gemeint, aber es kann sie auch während der schönsten Sommertage geben! Daran musste ich bei dem zweiten Gedicht denken, es gibt einen Ort in mir, der scheint für immer dunkel oder um es mit Max Dauthendey zu sagen: Das Dunkel geht nicht aus den Dingen heraus.
    Liebe Christiane, du hast wieder drei mich tief berührende Gedichte ein- und vorgestellt, Herzensdank und Gruß an dich,
    Ulli

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    • Wie soll ich sagen: Ich denke, es gibt innere und äußere Dunkelzeiten, liebe Ulli, und das eine muss mit dem anderen nicht notwendigerweise was zu tun haben. Mir scheint es, als ob der Rilke etwas Übergreifendes anböte, etwas, was größer ist als das … aber ich hoffe dennoch.
      Liebe Grüße
      Christiane

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    • Ich muss mich mal mehr um sie kümmern, ich kenne wenig mehr von ihr als das eine Gedicht, Asche auf mein Haupt …
      Ja, mir geht es dieser Tage auch sehr nahe.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  4. Ricarda Huch spricht mir aus der Seele. Auch meine Seele hat diese versteinerten Stellen. Wieder einmal eine schöne Zusammenstellung.
    Einen guten Wochenstart,
    Viola.

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    • Ich habe darüber nachgedacht, ob das nicht eine Folge des Alterns ist, Kollateralschaden sozusagen, sprich, ob es nicht unausweichlich ist, dass es uns so ergeht, irgendwann in unserem Leben.
      Wenn ich die Kommentare heute so lese, dann sind es erstaunlich viele, die sagen, dass sie das kennen.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  5. Es sind die einfachen Sätze, die treffen: „Das Dunkel geht nicht aus den Dingen heraus“ (Max Dauthendey). Nun bin ich eigentl. kein großer Freund vom Zitieren anderer Autoren, für mich klingt das immer ein wenig nach Schmücken mit fremden Federn, andererseits begegnet einem dabei schon mal ein schöner unbekannter Satz von einem unbekannten Autor.
    Sehr schön. Danke dafür.

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    • Ich danke dir.
      Okay, ich verstehe das mit den fremden Federn, wenn man nichts anderes tut, als Zitate abzusondern, aber es ist doch nun mal so, dass andere manchmal Dinge treffender und schöner sagen als man selbst. Da fällt mir kein Stein aus der Krone, wenn ich das zitiere (und sage, woher es kommt).

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  6. Ich schleiche um Rilkes Dunkelstunden, liebe Dauthendeys wundervolle Zeile vom Dunkel das nicht aus den Dingen geht und bleibe bei Ricarda Huch hängen, die mir aus dem Herzen spricht und mich tief berührt, Zeile, für Zeile…

    Liebe Abendgrüße von Bruni an Dich und danke für die so sehr eindruckvollen Gedichte vom Montag

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    • Ich bin durch Rilkes Dunkelstunden geschlichen, liebe Bruni, aber sonst sind wir wieder mal ziemlich auf einer Wellenlänge, besonders bei Ricarda Huch …
      Danke dafür!
      Liebe Grüße
      Christiane

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  7. Sie geriet zu Unrecht ziemlich in Vergessenheit, liebe Christiane. Schön, daß wir so oft ähnlich aussuchen.
    Wie geht es denn dem Fellträger, dem wolligen?

    Liebe fröstelige Grüße von Bruni

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    • Sie ist wie alle in Vergessenheit geraten, da man sie nicht mehr öffentlich zitieren durfte. Das Urheberrecht, liebe Bruni, das auch hier zugeschlagen hat.
      Der Fellträger beklagt das Wetter, die mangelhafte Fütterungspolitik seiner Dosenöffnerin und die Welt an sich, kommt aber ansonsten seinen Aufgaben als Wärmekatze und Betreuer beim katzenunterstützten Arbeiten am Laptop geduldig nach.
      Fröstelige Grüße zurück! 🙂

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      • Da hat er doch einen ausfüllenden Job 🙂
        und wie hätte er gerne das Füttern? *g*

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  8. Drei starke Gedichte. Ricarda Huch kenne ich vor allem von ihrem Gedicht „Mein Herz, mein Löwe“, das ihr Wesen vielleicht am allertiefsten ausspricht. Es ist ein Gedicht, das einen anspringt und nicht mehr loslässt. Ich schaute eben nach, um mir den genauen Wortlaut in Erinnerung zu bringen, und fand dabei eine kleine Besprechung, die es biographisch-historisch einbettet. Lesenswert.

    Mein Herz, mein Löwe, hält seine Beute fest … Ricarda Huch und ihr Mut zum Hass – gegen eine scheinheilige Vergessenskultur.

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    • Ich kenne andere seiner Blogs (ich habe den Link in deinem Kommentar von der Suchmaschine befreit) und finde ihn ebenfalls sehr lesenswert.
      Dafür kenne ich wenig von Ricarda Huch, hättest du da Lesetipps zum Einsteigen für mich?
      Liebe Grüße
      Christiane

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      • Nein, leider niht. Ich habe vorhin selbst recherchiert. Esgibt sehr viele ihrer Werke – historische Romane, Erzählungen, Gedichte – als Photokopie alter Ausgaben im Netz. ich las vorhin eine der 1922-Erzählungen und fand sie trotz einiger für uns Heutige empfindlicher Längen köstlich. .

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      • Stimmt, ich habe sie inzwischen im Projekt Gutenberg entdeckt. Aber da ich den ganzen Tag vor der Kiste hänge, lese ich zur Entspannung gern gedruckt. Mal schauen.
        Danke dir! 😀

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