Für das Leben | abc.etüden

 

Liebster,
meine weise Freundin hat mir geraten, dass ich dir einen Brief schreiben soll. Einen, in dem ich Dank sage.

Ich danke dir also für all das, was in unserer Liebe besonders war: für das Wir, die überschäumende Verrücktheit, die geistigen Höhenflüge, die unendliche Anziehung und das seidige Leuchten. Dafür, dass du in mir das gesehen hast, was noch keiner außer mir gesehen hat, dass du mich für das geliebt hast, wofür mich noch keiner geliebt hat, auch ich nicht, und dass du scheinbar keine Grenzen akzeptiert hast. Dafür, dass ich dich erkennen durfte. Mit dir zusammen hatte ich das Gefühl, dass alles möglich ist. Wir waren trotz allem auf Augenhöhe, zumindest eine Zeit lang.

Ja, wir haben das Ding an die Wand gefahren. Mich hat das fast zerrissen. Es ist sehr großzügig von dir, dafür die Verantwortung zu übernehmen, und sehr bequem für mich. Wahr ist, dass wir Unterschiedliches gewollt und gekonnt haben. Dass wir fehlerbehaftete Individuen sind, die sich durch ihre eigenen Dschungel schlugen und dabei auch beim anderen Wunden hinterließen. Ich trage noch daran, aber es war nie böse Absicht, denke ich, sondern eher, wie sagt man, Kollateralschaden.

Unsere Wege haben sich getrennt, du hast einen anderen Weg eingeschlagen als ich. Mich hätte deiner zerstört, ich weiß es so sicher, wie ich nur etwas weiß.
Dir nur Gutes für dein neues Leben. Sei glücklich. Pass auf dich auf.

***

Sie stöhnte. Wann hatte sie zuletzt so viel mit der Hand geschrieben? Na, egal. Das Blatt in die Salatschüssel aus Porzellan gelegt ging sie nach draußen auf die Terrasse und hielt ein Streichholz daran. Sie hatte Tränen in den Augen, als der Brief aufflammte und zu Asche verbrannte.
Mit einer Handbewegung wischte sie die Salatschüssel vom Tisch, die auf dem Steinboden in fünf Scherben zerbrach.
Sie nickte beifällig.
Vorbei.

 

Etüden 2019 04+05 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 04/5.2019: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Myriade und lauten: Salatschüssel, seidig, übernehmen.

Mich hat meine Etüde von letzter Woche („Die Doku“) nicht losgelassen, ich musste unbedingt nach einem Abschluss, einer Wendung suchen, der/die für mich passte. Beim Schreiben habe ich dann wieder mal festgestellt, dass ich so gar nicht der Typ für Bösartigkeit und schmutzige Wäsche bin. Nicht mal in den Etüden. (Manchmal finde ich das schade, aber wirklich nur sehr selten.)
Ich bin auch in der Realität so, ich empfinde das künstliche Hineinsteigern in tatsächliche oder gefühlte Kränkungen als Zeitverschwendung und Energie für die falschen Kanäle – nicht zu verwechseln mit einer sachlichen Bestandsaufnahme.
Also musste es anders gehen. Tatsächlich fühlt sich mein schreibendes Ich/die Protagonistin jetzt besser.

Ja, das ist unbedingt die Salatschüssel aus der letzten Etüde. Nein, nicht die aus dem Bild, die ist zu hübsch.

Bin gespannt, was ihr sagt.

 

59 Kommentare zu “Für das Leben | abc.etüden

    • Warum, liebe Elke, soll sie noch mal eine Brücke bauen wollen, wo doch alle vorherigen scheiterten?
      Sie akzeptiert das Band in seiner Form, aber sie will keinen Kontakt mehr. Das ist eine Entscheidung, die man treffen kann, auch wenn sie nicht leicht fällt. Und, wie ich schon eben an Lu Finbar schrieb, ist das Verbrennen so was wie ein energetisches Zur-Post-Geben.
      Sie wünscht ihm alles Gute. Das kommt schon an. Der Rest ist sein Ding.
      Liebe Grüße
      Christiane

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      • Offenbar geben solche Rituale (anders als mir) vielen Menschen etwas, obwohl ich nicht nachvollziehen kann, was eigentlich. Ich konnte auch die Tipps meiner Trauerberaterin, die in ähnliche Richtungen gingen, nicht umsetzen. Die Geschichte finde ich aber sehr gelungen, nicht missverstehen! Nur mein Verhalten wäre ein anderes: Entweder ich schreibe einen Brief – dann schicke ich ihn wahlweise ab oder bewahre ihn auf, oder ich schreibe eben keinen Brief und setze so einen Schlusspunkt. Schwamm drüber, fertig, kein weiteres Wort. Aber auch keine zerdepperte Salatschüssel. Menschen sind verschieden und reagieren unterschiedlich, und das ist gut so.

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        • Ja, das ist gut so, das denke ich auch, warum sollen es immer alle gleich machen und gleich gut finden.
          Wobei meine Erfahrung ist, dass jede/r unterschiedlich mit Verlust umgeht, und ich eine Trauerberaterin, die mir geraten hätte, mich von meiner verstorbenen Mutter auf diese Weise zu verabschieden, vermutlich in den Wind geschossen hätte, und zwar hochkant. Das war etwas, das ich durchheulen musste.
          Danke dir für deine Erfahrungen, wie immer.
          Liebe Grüße
          Christiane

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        • Man sollte Boshaftigkeit oder das Fehlen davon ja nicht mit dem Fehlen von Humor verwechseln. Von einem „engelhaften“ Dasein bin ich weit entfernt. 😎😉
          Die Frage ist, was ist konstruktiv für einen selbst und was nicht. Dass dieser Weg, den ich hier in der Etüde gehe, für alle passt, würde ich eh nicht behaupten.

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  1. Ich gehe davon aus, dass der Übergang zwischen „ihr“ und dir fließend ist.
    Ich finde diese Etüde atemberaubend. Ich glaube, ich habe tatsächlich die Luft beim Lesen angehalten.
    So viel Ehrlichkeit ist wie ein Geschenk. Sie strahlt und sie glänzt. Und sie ist schön – mit allen ihren vielleicht weniger schönen Seiten.
    Mir geht diese Etüde unter die Haut. Danke dafür, liebe Christiane.

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    • Natürlich ist viel von mir auch in dieser Etüde, darüber hatten wir es ja schon, und ich habe im Nachsatz bereits erwähnt, dass ich auch so handeln würde.
      Weißt du, man kann vielleicht nicht beeinflussen, was einem zustößt, aber man kann daran arbeiten, wie man reagiert.
      Ich danke dir für das „atemberaubend“ und freue mich, dass sie dir unter die Haut geht.
      Liebe Grüße
      Christiane 😀😺

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  2. Briefe schreiben, die dann später dem Feuer zum Opfer fallen, empfinde ich als äusserst befreiend, noch dazu die Salatschüssel zu zerdeppern kommt einem Punktsetzen gleich.
    Dem anderen Gutes zu wünschen und nicht zu grollen ist Größe, die von der Erkenntnis genährt wurde: das wäre nicht gut gegangen, egal wie schön es auch einst gewesen ist.
    Liebe Christiane, du hast eine Etüde geschrieben, die mich an so vieles erinnert, gleichzeitig schaue ich auf mein dünnes Heftchen, das ich vor ein paar Tagen auf den Tisch gelegt habe, hier hinein sollen Briefe geschrieben werde, die ich nicht abschicken werde, ob ich sie am Ende alle verbrenne, lasse ich noch offen.
    Liebe Grüße
    Ulli

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  3. Ich finde auch, dass das ein guter und würdiger Weg und unterstützendes Ritual des Loslassens ist. Natürlich ist das kein Zaubermittel und sie wird auch weiter trauern, wütend sein, sich hilflos fühlen. Dennoch, mir persönlich geben solche Symbole und Rituale einiges.

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    • Ja, eben, ist auch ein Prozess, und wie ich finde, ein langer. Aber irgendwann ist es endgültig durchsortiert, das Päckchen, das man mit seinem (Nicht-mehr-) Gegenüber trägt. Das Gute ins Töpfchen, das Schlechte ins Kröpfchen. Dann kann losgelassen werden und die Trauer verzehrt nicht mehr.

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  4. Ein großartiger Brief, vom Inhalt und vom Aufbau und mit der zerbrochenen Schüssel als Endpunkt. Wenn man mit etwas wirklich, wirklich abgeschlossen hat, dann finde ich das perfekt. Für den anderen Beteiligten wäre natürlich so ein Brief auch ein möglicher Denk- und Handlungsanstoß …….. oder auch nicht, wer weiß das. Jedenfalls kann man auch nicht immer nur an andere denken.
    Ich habe noch eine Etüde in der Schleife, die mit der zerbrochenen Schüssel nicht endet sondern beginnt ….

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    • Wie du schreibst: Man darf auf sich selbst aufpassen. Vor allem in so einem Fall (bedenke den Hintergrund), wo man sonst Gefahr läuft, sich selbst dranzugeben. Das ist eine Frage von „Erkenne dich selbst“, erkenne deine eigenen Grenzen, und das nicht als Ausrede gemeint.
      Ich bin gespannt auf die Etüde der zerbrochenen Schüssel. Wurde sie zerdeppert? 😉
      Liebe Grüße
      Christiane

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  5. Nun hatte ich den Vorteil, nicht nur deine gelungene Geschichte (der Knall der Salatschüssel auf dem Boden halllt noch nach) zu lesen, sondern auch die Kommentare, die selbst eine gute Geschichte ergeben. Das Aufschreiben und Verbrennen kann Teil eines therapeutischen Settings und manchmal ganz wirkungsvolll sein.
    Beachtenswert finde ich bei deiner Geschichte, dass du nicht nur an die entlastende Wirkung für die Schreibende denkst, sondern darauf vertraust, dass ihre Message beim Addressaten ankommt. Die Handlung ist also nicht nur therapeutisch im Sinne der inneren Ablösung, sondern spirituell begründet. Die im Grobstofflichen stattfindende Handlung (schreiben, verbrennen, zertrümmern) soll feinstoffliche Wirkungen erzeugen. Mir ist das eine vertraute Denkweise.

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    • Vielen Dank! Das unterschreibe ich voll und ganz. Bei dir und bei Ulli, liebe Gerda, war ich mir sicher, dass ihr die spirituelle Seite sehen würdet (wenn vielleicht auch nicht ansprechen).
      Mir war/ist der spirituelle Part wichtig.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  6. Eine gute Etüde, liebe Christiane, mit einem Ende, nachvollziehbar, wenn die Gefühle sich geklärt haben, sich sicher sind und einen endgültigen Schlußstrich ziehen können.
    Dann passt auch das Zertrümmern der Schüssel und Verbrennen des beschriebenen Papiers. Ein Prozess, der zu Ende ging in allerletzter Konsequenz.

    Verbrennen tue ich persönlich Geschiebenes nie, aber ich bin ein Weltmeister im Löschen *schmunzel*

    Liebe Grüße und einen schönen gemütlichen Sonntag für Dich

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  7. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 06.07.19 | Wortspende von Petra Schuseil | Irgendwas ist immer

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