„Oh Gott, ich werde alt!“
War heute etwa Drama angesagt? Anna legte das Lesezeichen in ihren Thriller und sah neugierig zu ihrer Freundin hinüber. Nicole ließ sich in dem Stuhl auf dem Elbanleger nieder und balancierte dabei routiniert das kleine Tablett mit Latte macchiato und Zitronenkuchen. Nach krank oder gar altersschwach sah das eigentlich nicht aus. Beruhigend.
„Ja, Tach auch, schön, dass es dir gut geht“, antwortete sie also amüsiert. „Willst du mir nicht vielleicht erst mal erzählen, was los ist?“
„Unser Sohn hat uns heute am Mittagstisch mitgeteilt, dass er offiziell mit einem Mädchen aus seiner Klasse geht! Anna, er ist zwölf!“
„Immerhin, er hat es euch gesagt. Ist sie denn nett?“
Falsche Antwort.
„Aaaach, und ich erinnere mich doch noch, die Geburt, weißt du nicht mehr, wie du uns ins Krankenhaus gefahren hast und sie mich gleich dortbehalten haben? Als er laufen gelernt hat … Kindergarten … der erste Schultag … der Fußballverein … Und plötzlich spricht er von ›Freundin‹?! Anna, wo sind die Jahre geblieben?“
Okay, Hüpfen vor Freude war wohl nicht angesagt. Bei nüchterner Betrachtung schien dagegen wahrscheinlich, dass Alexander Leon demnächst kräftig in die Pubertät einsteigen würde. Auf ihrer imaginären To-do-Liste vermerkte sie: Hilfe-bei-Pubertät-Bücher raussuchen. Sollte sie Öl ins Feuer schütten und Nicole auf die Sache mit den Bienchen und Blümchen und die Möglichkeit, in absehbarer Zeit Oma zu werden, hinweisen? Lieber nicht, beschloss sie. Ein Schock pro Tag langte.
„Erinnerst du dich, wie wir drauf waren, als wir so alt waren?“, fragte sie grinsend zurück. Das Leben rundete sich, es geschah einfach. Alle rückten ein Feld vor, nicht nur Nicole und ihr Sohn, sie auch. Nur anders.
„Ich hatte in dem Alter jedenfalls noch keine Jungs im Kopf“, begehrte Nicole auf. Dann lächelte sie mit. „Ach, Mensch, Anna. Mein Baby wird groß. Komisches Gefühl.“
Quelle: Pixabay (hier), Bearbeitung von mir
Für die abc.etüden, Wochen 08/09.2019: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Sabine und ihrem Blog wortgeflumselkritzelkram und lauten: Lesezeichen, altersschwach, hüpfen.
Ich hab das tatsächlich so gehört, dieses „Oh Gott, ich werde alt“, weil der Sohn die erste Freundin hat. Am Nebentisch. Ja, ja …
Klingt nach Leistungsdruck. Wie furchtbar! Wie bescheuert. Aber klar, Kids können auch so drauf sein …
Liebe Grüße
Christiane
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Als ich zwölf war, war meine Mutter 34, also nur ein Jahr älter als meine Tochter in diesem Jahr wird. Und im Krankenhaus halten sie mich für eine „junge Patientin“. In diesem Sinne: „alt“ ist immer relativ, nicht wahr?
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„Alt“ ist immer relativ! Die Original-Sprecherin habe ich auf maximal 40, 45 geschätzt, deshalb hat es mich ja auch so amüsiert. Fühlte sich so an, als ob das echt das erste Mal war, dass ihr durch den Kopf ging, dass die Generation nach ihr irgendwann „groß“ wird.
Klar bist du eine junge Patientin, was denn sonst? Wie geht es dir heute?
Liebe Grüße
Christiane
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Danke, subjektiv geht es mir gut, objektiv gibt es nichts Neues zu berichten. Erstgespräch in der Lungenklinik am 8. März.
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Frauentag! Es möge nützen … 😉
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Den Satz hab ich auch schon gebracht – vielleicht ist es so ein typischer Mutterspruch, wenn Kids aufeinmal Dinge tun, mit denen man noch nicht gerechnet hat. Und ja – an Kindern spürt man, dass die Zeit vergeht – meine Tochter erzählte letztens eher so nebenbei, dass sie ja nächstes Jahr schon 18 wird. Da musste ich schon kräftig schlucken….
Davon abgesehen: ein schöner Text, aus dem Leben raus – gefällt mir.
Liebe Grüße
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Ja, 18, erwachsen. Oder so. Die junge Generation rückt nach und man selbst auf einen anderen Platz. Freiwillig? (Das ist übrigens Stoff für Bücher, die klassischen Vater-Sohn-Konflikte.)
Mit dem Altern ändert sich das Zeitempfinden, ich finde das total interessant …
Nachdenkliche Grüße
Christiane
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Herrlich, wie es menschelt in deiner Etüde. 😀
„Alle rückten ein Feld vor…“ hat dabei etwas Tröstliches, finde ich.
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Ja, das Spiel des Lebens schreitet voran, genau. Schön, dass du es tröstlich findest, bei manchen sind die Gefühle reichlich gemischt …
Liebe Grüße
Christiane
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Liebe Christiane, ja, alle rücken ein Feld vor, so ist das im Leben – aber als Mutter/Vater ist es eben auch mit dem Loslassen verbunden und mit der schnell vergangenen Zeit –
Ich erinnere mich noch gut, zunächst hieß es erst einmal Mutter zu sein/zu werden, da tauchten viele Fragen auf und als ich dann Mutter geworden war, hieß es auch schon bald wieder „loszulassen“ – das alles sind tiefe Prozesse, die nicht mal eben so nebenbei zu wuppen sind.
Ich habe mich immer auch auf ein Leben wieder ohne Kinder gefreut, als es dann soweit gewesen ist, fiel ich erst einmal in ein Loch.
Das Älterwerden schwingt mit hinein, aber erst einmal ist das aus meiner Sicht peripher.
Übrigens hörte ich letztens meinen Enkel (5 Jahre alt) seine Schwester (im April dann 7 Jahre) fragen, ob sie in … verknallt sei. Da musste ich dann doch schmunzeln!
Herzliche Grüße
Ulli
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Es ist einfach eine Reaktion auf Veränderungen, dieses Loch, man muss sich dran gewöhnen. Tiefe Prozesse, wie du schon sagst. Der Kopf weiß (vielleicht), dass es normal und „kein Beinbruch“ ist, aber der Rest muss mit- und nachziehen. Das geht manchmal einfach nicht so schnell. Und dann muss man den neuen Weg ja vielleicht auch erst mal entdecken.
(Ja, klar, Kindergartenlieben. Die berühmte Sandkastenliebe. Trotzdem was anderes, wenn der junge Mensch an der Schwelle zu Pubertät und Renitenz und und und steht. Verknallt war ich in der ersten Klasse auch. Glaube ich – keine Ahnung, was aus ihm geworden ist. Hach ja.)
Liebe Grüße
Christiane 😉
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„Und alle rücken ein Feld vor“ passt so toll zu Deinem Leitbild für diese 2 Wochen!
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Mhm. Fiel mir erst danach auf, als ich bedauert habe, dass ich für die andere Etüde das Hüpfkästchenbild schon verbraten hatte.
Danke, lieber Werner!
Liebe Grüße
Christiane
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Mir fällt gerade ein: zu meiner Jugendzeit hiess es noch „Trau keinem über 30!“, und dann gab es noch weitergehende Sprüche, die ich hier lieber nicht wiederholen möchte.
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Klar, man konnte sich ja auch nicht vorstellen, älter als 30 zu sein, bzw. jemanden „ernst“ zu nehmen, der älter war. Klar, es gab diese Leute, Eltern und Lehrer gehörten dazu, aber … das war doch eine andere Welt, zu der man selbst nicht gehörte … 😉
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So wie deiner Protagonistin geht es mir auch oft, wenn ich (keine Kinder) mit Freundinnen rede, die Kinder haben. Oft denke ich dann aber selber an den Tag zurück, an dem ich auf die Nachricht aus dem Krankenhaus gewartet habe, dass die Geburt gut gelaufen ist 🙂
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Klar. Keine Kinder zu haben bedeutet ja nicht, dass man nicht lieben und mitfühlen und mitleiden kann. 😀
Liebe Grüße
Christiane
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Köstlich, das stelle ich mir lebhaft vor!
Neulich bat mir ein junges Mädchen in der S-Bahn einen Sitzplatz an! Meine Gefühle muss ich dir sicher nicht beschreiben, oder?
Gern gelesen 🙂 !
Liebe Grüße zu dir!
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Diese fatale Mischung zwischen Entsetzen und Erheiterung über das Entsetzen?! Ich kann es mir vorstellen … 🙂
Ach je.
Liebe Grüße
Christiane, grinsend
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Das war ein bisschen wie den Finger in die Wunde legen, doch letztendlich siegte die Erheiterung über das Entsetzen 🙂 .
Liebe Grüße zum Märzbeginn,
Anna-Lena
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Wenigstens was! 🙂
Liebe Grüße zurück
Christiane
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*lach*, 12??? na ja, klingt früh, aber es ist ein Schrittchen und Mama muß mitgehen. An das Mitgehen muß sie sich erst noch gewöhnen und sie tut es auch, nur nicht sofort und auf der Stelle. Sie braucht die Zeit, um den Kloß hinunterzuschlucken, zum Erkennen, daß ihr kleiner Prinz älter geworden ist und schon lange nicht mehr in den kleinen Windelchen liegt 🙂
Am Ende Deiner Etüde kam es so wundervoll heraus!
Eine sehr feine Geschichte, liebe Christiane
Liebe Grüße von einer Mama, die sich irgendwann über gar nichts mehr wunderte *g*
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Ich fürchte, das steht DIESER Mutter in meiner Etüde auch noch ins Haus, liebe Bruni *lach*
Freut mich, dass es dir gefällt.
Liebe Grüße
Christiane
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Die Straße mit Kindern steckt voller Überraschungen 🙂
Liebe Grüße an Dich
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Glaube ich dir sofort! 😁😺
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*grins*, oh ja, frag Karin
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Bei Gelegenheit … 😉
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In dem Alter hatte ich nur Pferde im Kopf. Aber zwei Jahres später… Matthias… ach ja. Ich glaube meine Eltern haben von all dem meist nichts mitbekommen. Zuviel Arbeit. Zu müde. Da habe ich mich lieber mit meiner besten Freundin ausgetauscht.
Schöne Geschichte, liebe Christiane!
Liebe Grüße
Nicole
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Ach, danke, wie lieb von dir, was aus der Sicht „der Betroffenen“ zu sagen. 🙂
Ich erinnere mich auch noch daran, dass man mit 12 schon höchst ernsthaft verliebt sein kann …
Liebe Grüße
Christiane
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Mit 12 war ich in mein Pony Django verliebt! ❤ Aber das erste Mal verliebt war ich im Kindergarten, in Stefan. Bis er mir eklig schmeckende Bonbons geschenkt hat… Liebe geht nun mal bei mir durch den Magen! 😀
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Die Pferdephase musste ich mangels Pferd auslassen, sonst – wer weiß? 😁 Ach, lange her.
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