Vom Vorfrühling im März …

 

Vorfrühling

In dieser Märznacht
trat ich spät aus meinem Haus.
Die Straßen waren aufgewühlt von Lenzgeruch
und grünem Saatregen.
Winde schlugen an. Durch die verstörte Häusersenkung
gieng ich weit hinaus
Bis zu dem unbedeckten Wall und spürte:
meinem Herzen schwoll ein neuer Takt entgegen.

In jedem Lufthauch
war ein junges Werden ausgespannt.
Ich lauschte,
wie die starken Wirbel mir im Blute rollten.
Schon dehnte sich bereitet Acker.
In den Horizonten eingebrannt
War schon die Bläue hoher Morgenstunden,
die ins Weite führen sollten.

Die Schleusen knirschten.
Abenteuer brach aus allen Fernen.
Überm Kanal, den junge Ausfahrtwinde wellten,
wuchsen helle Bahnen,
In deren Licht ich trieb.
Schicksal stand wartend in umwehten Sternen.
In meinem Herzen lag ein Stürmen
wie von aufgerollten Fahnen.

(Ernst Stadler, Vorfrühling, aus: Der Aufbruch, 1914. Stadler (Wikipedia) fiel bereits 1914 im Ersten Weltkrieg. Online-Quelle)

 

Regen

Der Regen geht als eine alte Frau
mit stiller Trauer durch das Land.
Ihr Haar ist feucht, ihr Mantel grau,
und manchmal hebt sie ihre Hand

und klopft verzagt an Fensterscheiben,
wo die Gardinen heimlich flüstern.
Das Mädchen muß im Hause bleiben
und ist doch grade heut so lebenslüstern!

Da packt der Wind die Alte bei den Haaren,
und ihre Tränen werden wilde Kleckse.
Verwegen läßt sie ihre Röcke fahren
und tanzt gespensterhaft wie eine Hexe!

(Wolfgang Borchert, Regen, aus: Laterne, Nacht und Sterne. Gedichte um Hamburg, 1946, Online-Quelle)

 

Früh sang ich drei Liebeslieder

Früh sang ich drei Liebeslieder
über den schmelzenden Schnee
in die weiche Luft.

Mittags war ich so hungrig;
fast fielen mir die Träume in die Erbsen.
Ich stopfte.

Jetzt scheint der Mond.
Aus meinem Herzen
schreien dreihundert Kater.

(Georg Stolzenberg, Früh sang ich drei Liebeslieder, aus: Neues Leben, mehr Informationen zum Dichter hier und hier, Online-Quelle)

 

Gras | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay

 

Natürlich ist das letzte Gedicht nur wegen der 300 Kater hier hereingeraten, was dachtet ihr denn?  😉

Kommt gut in die neue Woche!

 

34 Kommentare zu “Vom Vorfrühling im März …

    • Moin Gabriela, das freut mich, dass du einen Favoriten gefunden hast. Ich will den „Regen“ tatsächlich später auch noch auf der „Regensucherin“ veröffentlichen.
      Eine gute neue Woche auch dir!
      Liebe Grüße
      Christiane

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    • Den Borchert hatte ich schon letzte Woche entdeckt und zur weiteren Verwendung vorgemerkt 😉
      Dann genieß deinen Tag und mach nur schöne Dinge!
      Liebe Grüße
      Christiane

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    • Das geht mir ähnlich. Denk ich an Borchert, denk ich an „Draußen vor der Tür“. Und dann kommt erst mal eine lange Zeit nichts. Daher waren die Gedichte auch für mich eine Entdeckung.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  1. Schön sind deine Texte wieder. Das Wetter mutet eher spätwinterlich an, gar ncht karnevalsmäßig oder frühlingshaft. Trotzdem nähern wir uns dem Frühling mit Riesenschritten.

    Liebe Grüße und eine gute Woche,
    Anna-Lena

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    • Ich will REGEN, verdammt. Schönen, sanften Frühlingsregen, „Wachsregen“ hätte meine Mutter gesagt. Ich finde das (und unsere Temperaturen) gerade sehr (vor-) frühlingshaft.
      Auch dir eine gute Woche
      Christiane, der Karneval völlig egal ist

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  2. Heute hat der Frühling hier was Stürmisches an sich ,ist blauhimmelig, graudunkelwolkig, windstill und windtobend, alles innerhalb von wenigen Minuten wechselnd ….ist noch in der Pubertät -:)))

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  3. Und genau diese 300 Kater sind es, die mich lächeln ließen!
    Liebe Christiane, zum Borchert habe ich schon etwas auf deinem Regenblog geschrieben, hier bleibt mir nur all dem nachzuspüren, was ich gerne mache, allein, es stürmt, das Land riecht nach Regen und Aufbruch.
    Herzliche Grüße
    Ulli

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  4. die 300 Kater sind immerhin weniger unheilverheißend als die aufgerolllten Fahnen des expressionistischen Heißsporns. Wenngleich, wenn ich es recht bedenke: dreihundert auf einen Haufen…. das kommt lautmäßig schon fast der Schlacht an der Sommes gleich.

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    • Der Heißsporn musste als Reserveoffizier in den Krieg und ist schon im Oktober 1914 gefallen. Sein Eintrag bei Wikipedia liest sich ausgesprochen gar nicht nationalistisch.
      300 Kater möchte ich nicht hören, vor allem nicht zusammen 😀😺
      Liebe Grüße
      Christiane

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      • Ich bin noch mal zu diesem Gedicht von Stadler zurückgekehrt, dass so stark und lebens-überschwänglich klingt. Frühling = Aufbruch. Dass er fallen würde in dem unsäglichen Krieg, der im Sommer ausbrach – wie so viele seiner expressionistischen Freunde, junge Dichter, Musiker, und Maler -, ist es nicht in diesen Zeilen schon vorgeprägt? Auf andere Weise als in Heyms „Krieg“. („aufgestanden ist er, welcher lange schlief…“, 1911 geschrieben), aber ebenso deutlich, eine Art Sehnsucht nach Erneuerung in der Stagation des Kaiserreichs, egal was es kostet? Er hat als „aufgerollte Fahnen“ und „Abenteuer“ gedeutet, was sich als „wehende Fahnen und mörderische Schlacht“ wenig später manifestieren würde.
        Solche Aufbruchs-Stimmungen haben den ersten Weltkrieg angefeuert, sie haben auch den faschistischen Krieg genährt (Fahnenaufmärsche, „Flamme empor“-Liedgut).Ob Stadler, Heym und all die anderen Begeisterten, die dann fielen, oder später die Jugendbewegten, die später unter die Hakenkreuz-Fahnen eilten, „ausgesprochen nationalistisch“ waren oder nicht, spielt eine geringe Rolle.

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        • Ja, stimmt, vorgeprägt. Solche Aufbruchsstimmungen befeuern alles. Diese Begeisterung für etwas Neues, für den Aufbruch in etwas, das man naturgemäß noch nicht abschätzen kann, ist das nicht furchtbar menschlich? Ja, man könnte sagen, Krieg ist immer furchtbar, und heute kann man sagen, dass wir es nach zwei Weltkriegen besser wissen sollten, als leichtfertig mit dem Feuer zu spielen …
          Ich verstehe den Aufbruch, das Drängen. Kriegsbegeisterung verstehe ich nicht.

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