Frühlingsgefühle | abc.etüden

Der Frühling kam, wie er immer kam: mit Macht, mit Möwengekreisch, mit frischem Wind und Bäumen, die sich wie über Nacht in ein weiches Grün kleideten. Und mit ihm kamen die Osterferien und die Touristen. Ersteres war Max Hansen ziemlich schnuppe, letztere nicht, schließlich kauften sie seine Bilder. Von irgendwas musste man ja abbeißen.

Als er am Morgen aus dem Fenster sah, seufzte er. Nieselregen mit der Option auf mehr, nach den Wolken zu schließen. Ausgerechnet heute, wo er zum ersten Mal Susanne wieder treffen würde! Flanieren auf der Strandpromenade konnte er damit wohl knicken, sie zu sich einzuladen hatte er sich nicht getraut. Das könnte missverstanden werden, und dann wäre der ganze Tag verdorben.

Als sie in seinem Lieblingscafé einfielen, weil es draußen wie erwartet vor sich hin pladderte, fremdelten beide zuerst. Sie widmete sich genüsslich ihrem Schokoladenkuchen und leckte sich hin und wieder die Finger ab. Er sah ihr gebannt dabei zu.
Wie viel Sinnlichkeit sie ausstrahlte! Wie lange hatte er nicht mehr so an sie gedacht?
Sie bemerkte seine Blicke und lächelte heiter. Das brach das Eis. Sein nervöser Magen beruhigte sich.

„Ach, Sanne, ich war so ein Esel damals“, platzte es aus ihm heraus, während sie entspannt über Gott und die Welt plauderten. „Was würde ich darum geben, wenn ich wiedergutmachen könnte, was passiert ist.“
„Kannst du nicht“, antwortete sie. „Was vorbei ist, ist vorbei. Ich bin auch nicht stolz auf mich. Wir haben unsere Ehe damals gründlich an die Wand gefahren.“
„Es tut mir so leid. Glaubst du mir wenigstens das, trotz all meiner Fehler?“
Sie lehnte sich zurück und musterte ihn aufmerksam.
„Weißt du eigentlich, Max Hansen, dass du immer mein Traummann warst? Seit wir uns kennengelernt haben, was übrigens morgen vor fünfundzwanzig Jahren war?“
Ihre Augen strahlten. Sein Herz machte einen kleinen unverhofften Sprung.
„Du hast mir auch gefehlt. Ehrlich gesagt habe ich jede Frau mit dir verglichen. Und mich irgendwann damit abgefunden, dass du weg warst, dass Marie tot und mein Leben kaputt war.“
„Und seitdem sitzt du rum und hast keine Freude mehr.“ Das war eine Feststellung, keine Frage.
„Außer beim Malen.“
Sie nickte. „Zum Glück für dich. Kannst du dir überhaupt noch vorstellen, aus deinem Schneckenhaus auch wieder rauszuwollen?“
Er wusste nicht, ob er den Satz so verstehen durfte, wie er möglicherweise gemeint war, entschied sich jedoch für die Wahrheit. „Ich weiß nicht, ob das noch geht“, gab er zu. „Ich wollte seitdem nie, weißt du? Also nie so wirklich.“
„Aber damit fängt es an. Mit der Sehnsucht. Der Angst davor, dass man sich irrt und am Ende wieder bloß Scherben stehen. Und irgendwann der Entscheidung, das Risiko einzugehen.“

Er zögerte zu lange. Sie erhob sich abrupt.
„Max, ich will heute noch in die Therme. Sehen wir uns morgen wieder? Gleiche Zeit, gleicher Ort?“
Er nickte verdattert und dann rauschte sie auch schon davon. Obwohl er ihr hinterherstarrte, drehte sie sich nicht um.
Es dauerte, bis Max auffiel, dass er bis über beide Ohren grinste.
Frühlingsgefühle. Eindeutig.

 

Extraetüden 14.19 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Für die abc.etüden, Ausgabe Extraetüden, Woche 14.2019: 5 Begriffe (aus 6), maximal 500 Wörter. Ich habe alle Wörter verwendet, weil es mir gerade passte: Nieselregen, weich, irren, Café, verdorben, beißen.

Mir ist gerade so. Und ja, das ist mein Wassermaler, der seine Ex-Frau über Weihnachten doch nicht wieder getroffen hatte, ich weiß allerdings nicht, wieso. Immerhin haben sie ein paarmal telefoniert. Wer die vorhergehenden Teile noch nicht kennt: hier, hier und hier.

 

 

58 Kommentare zu “Frühlingsgefühle | abc.etüden

  1. Geschichten, die oft so passieren, denke ich. Verpasste Lieben aus der Schulzeit oder Studentenzeit.
    Ich glaube nicht, dass sie als Paar zusammenkommen. Sie ist mir zu nüchtern und er leidet lieber und quält sich mit seinen Fantasien.

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    • Danke schön, Werner, sehr interessant von einem Mann! Und du glaubst nicht, dass er diese „Nüchternheit“ als Chance ansehen könnte, aus dem Leiden auszusteigen?
      Ich weiß nicht, ob du die Vorgeschichten gelesen hast: Die waren mal verheiratet und hatten eine Tochter, die bei einem Unfall gestorben ist, darüber ist die Ehe zerbrochen.
      Liebe Grüße
      Christiane

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      • Nein, Christiane, die Vorgeschichte habe ich noch nicht gelesen. Von der Situation heraus glaube ich, dass wenn Kinder vor einem gegangen sind, man sich immer Vorwürfe macht und das mit sich rumschleppt, egal, ob zutreffend oder nicht. Und zur „Löschung“ dieser vermeintlichen Mitschuld will und muss er leiden. Für den Rest seines Lebens. Und deswegen wird es nur beim Träumen bleiben. Er will sich nicht – wie man früher sagte – an seiner Tochter Verdiendingen.

        So sehe ich das.

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          • Versündigen? (Autokorrektur!) 😩
            Aber egal, ich verstehe es eigentlich nicht, glaube ich. Denkst du, er hat das Gefühl, er würde ihr Andenken entweihen, wenn er mit ihrer Mutter noch einmal eine Beziehung eingehen würde? Irgendwie ist mir das nicht klar.

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          • Mutter?? Ich dachte, dass sie eine Jugendliebe gewesenen wäre, die ihm einer damals weggeschnappt hatte und er jemand anderen geheiratet hat.
            Nein, wenn sie seine Ex ist, dann passt das nicht von mir.

            (Vielleicht sollte man vorher doch die voran gegangen Texte lesen, bevor man seine Klappe aufreisst.)

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          • Ich sag jetzt nix, ich sag jetzt nix – außer: He, es stand doch in dem Kommentar an dich als Kurzfassung?! 😉
            Okay, wenn dir die Zusammenhänge nicht klar waren, dann verstehe ich die Sache mit dem Versündigen. Ja, das könnte sein. 🙂

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  2. Vielleicht ist ja hier die Chance, hätte sie sich sonst schon gleich für den nächsten Tag wieder mit ihm verabredet?
    Ob du eine Fortsetzung schreibst? Mich würde das ungemein freuen!
    liebe Grüße
    Ulli

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    • Ich finde SIE eigentlich ziemlich straight, liebe Ulli, das Problem ist eher ER.
      Mir ist mein Wassermaler ans Herz gewachsen, ich weiß nicht, ob ich die Geschichte je auserzählt finden werde, also, von daher, eher ja … aber nicht mehr in dieser Woche, ich bin eh froh, dass ich sie in der Länge untergebracht habe!
      Liebe Grüße und danke!
      Christiane

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  3. Schön!

    Der Angst davor, dass man sich irrt und am Ende wieder bloß Scherben stehen. Und irgendwann der Entscheidung, das Risiko einzugehen.

    Ja, so ist es. Merkwürdig sind wir Menschen, merkwürdig 🙂

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  4. Ich weiß, ehrlich gesagt, nicht, wie sich das Ganze entwickeln kann. Wie denn auch: kann ich wissen, wie schwer die Vergangenheit wiegt? Sie sagt: was vergangen ist, ist vergangen. Das ist ein extrem kühler Satz, wenn ich bedenke, WAS da vergangen ist (Tod der Tochter, Scheitern der Ehe wissen wir, anderes wissen wir nicht). Wenn sie, wie es scheint, all das ohne sichtbare Blessuren überwunden hat, wenn sie ihn zudem mit weisen Sprüchen traktiert, abhaut und am nächsten Tag ein erneutes Wiedersehen vereinbart, dann … ja was? Und er, dem nur auffällt, dass sie so attraktiv wie eh und je ist, dem der Frühling in den Kopf steigt und der insofern bereit scheint, aus seinem Winter hervorzukriechen…
    Also ich weiß nicht. Vielleicht rührt sich ja Zartheit unter der intakten Schale der Frau, vielleicht rührt sich Kraft in der zerrütteten Gestalt des Mannes – dann könnte es eine Entwicklung geben. Bisher sieht es mir nicht danach aus. Vielleicht ein enttäuschender Fick am Wochenende und mehr Bitterheit.

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    • Darf ich bitte mal einwerfen, dass sich ihr „Was vorbei ist, ist vorbei“ auf seinen Satz bezieht, dass er „alles“ wiedergutmachen möchte?
      Und wer sagt eigentlich, dass sie es heil überstanden hat? Heiler als er, das scheint so, das ist wahr, und ich habe bisher nicht viel von ihr erzählt.
      Und „zerrüttet“ ist ein gutes Wort. Danke dir für deine Analyse, ich bin sehr begeistert, wie und dass du das so siehst. Du hilfst mir sehr in meinen Überlegungen.
      Liebe Grüße
      Christiane

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      • „alles“ will er wiedergutmachen, für sie ist es vorbei. Was dieses „alles“ für die Protagonisten jeweils bedeutet, wissen wir nicht. Vermutlich nicht dasselbe. Ob sie heil geblieben ist? Ich bin da sehr vorsichtig und schreibe: „Wenn sie, wie es scheint, all das ohne sichtbare Blessuren überwunden hat“ – mit Betonung auf „sichtbar“. Das ist nämlich für mich der Knackpunkt: wie sind ihre Mechanismen der Schmerzverarbeitung? Ist ihre Abwehr flexibel oder starr? Wenn sie starr ist, wird sie heftige Erschütterungen durch Retraumatisierung nicht zulassen können, denn dann würde sie riskieren zu zerbrechen, und er hat nicht die Kraft, das aufzufangen. Ihr bisheriges Verhalten gibt mir nicht genügend Hinweise, welcher Art ihre Verarbeitung ist.
        Ich freue mich, wenn du mit meinen Gedanken was anfangen kannst, um deine Charaktere weiter zu entwickeln. 🙂

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        • Es geht nicht darum, so zu tun, als wäre „nichts passiert“, das zuallererst und zur Sicherheit.
          Ich bin bezüglich Beschreibungen der Vergangenheit nicht in Details gegangen, weil ich sie selbst nicht wusste und auch jetzt noch nicht wirklich weiß. Aber ganz sicher haben die beiden nicht die gleichen Mechanismen: Während er gefühlt immer noch auf das große, bodenlose Loch starrt, ist sie weitergegangen – wie gesagt, ich weiß (noch) nicht, wie. Was ich weiß, ist, dass der Tod des Mädchens über 10 Jahre her ist. Da geht was, auch was „Gesundes“ (und wo ist da die Grenze, herrje), davon bin ich überzeugt.
          Ach, toll, so viel, das ich sacken lassen kann und muss! Solch ein kritisches und kundiges Feedback habe ich mir jedenfalls gewünscht, immer gern her damit! 🙂

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      • Liebe Christiane, freu! Ja, sicher „geht was“, ich kenne Menschen, denen Gleiches passiert ist. Manchmal tragen die Eheleute den Verlust gemeinsam durch, manchmal scheitern sie daran. Deine sind, was ihre Ehe betrifft, gescheitert, aber sie haben sich nicht bis aufs Messer bekämpft, wie ich es auch kenne. Und so ist die Zukunft im Prinzip offen.

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        • Nein, sie haben sich nicht bis aufs Messer bekämpft, denn keiner war „schuld“, keiner hatte sich was vorzuwerfen. Es war ein Unfall. Und sie haben einander geliebt, sind „nur“ mit der Trauer, dem Schmerz, dem Verlust nicht als Paar fertiggeworden. Ich denke, wenn er etwas wiedergutmachen möchte, dann das. Er denkt, dass er an der Scheidung schuld ist, weil er nach dem Unfall versagt hat – was er hat, zumindest insofern, als er versucht hat, stärker zu sein, als er war (er erzählt davon in Wassermaler II).
          Ich weiß nicht, wie und ob ich ihn da wieder herausbekomme. Mal sehen …

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  5. Wie wäre es mit einem Bild von ihr als Wassernixe, in das sie und er abtauchen können?
    Ich als Optimist gebe den beiden eine Chance, aber sie werden noch viele Etüdenumwege machen, bis sie wieder einen gemeinsamen Weg beschreiten .

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    • Ich grübele, liebe Karin, du hast bestimmt auch die ganzen gewichtigen Einwände gelesen, die Gerda hatte? Ich stimme dir insofern zu, dass es nicht leicht wird, aber ob es ÜBERHAUPT was wird, weiß ich noch nicht. Aber ich vermute, das wird was für das Sommerpausenintermezzo oder zumindest eventuelle Extraetüden, ich brauche mehr Wörter … 😉

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    • Wenn nur noch einer da wäre, dann träfe das zu: es gibt kein Zurück, aber hier haben beide eine Zukunft vor sich – weiter getrennt, einen Neuanfang wagen, sich dem zu stellen, was sie einst verband und doch trennte und wie sie das gestalten wollen, das ist der Fantasie unserer Etüdenschreiberin vorbehalten.

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    • Ich glaube, ein Kind zu verlieren ist das Schlimmste, was einem Paar passieren kann. Daher frage ich nach, ob ihr/du glaubst, dass man trotzdem wieder zusammen kommen kann.
      Liebe Grüße und danke!
      Christiane 😀

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      • Warum nicht? Vielleicht sehe ich das zu blauäugig, aber ist es nicht gerade der Verlust, der einen auch verbinden kann? Man weiß, was der andere empfindet. Außerdem ist ein Schicksalsschlag nicht alles, was eine gemeinsame Geschichte ausmacht. Ich glaube zu Gefühlen wie Verbundenheit kann man immer wieder zurück.

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        • Ja, das glaube ich auch, aber kann sie noch tragen, wenn man weiß, dass man schon mal schmerzhaft gescheitert war? Ich bin nicht überzeugt. Sicher ist dabei sehr viel individuell … 🤔

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  6. Wie schön, eine Fortsetzung!
    Ich hatte beim Lesen das Gefühl, dass die beiden durchaus wieder zueinander finden könnten – aber nicht sofort, nicht in ein paar Wochen. In ein paar Monaten könnte es anders sein… Wer weiß?

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    • Sie haben eine gemeinsame Geschichte. Sie haben Höhen und große Tiefen miteinander erlebt. Sie sind sowieso miteinander verbunden, egal, ob sie sich wieder annähern oder nicht.
      Ich hatte beim Schreiben auch das Gefühl, dass da noch was gehen könnte. Okay, ich habe sie loslaufen lassen, mal sehen, wie sie sich entscheiden 😀
      Danke dir fürs Mitüberlegen!
      Liebe Grüße
      Christiane

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  7. Sie wird nun sehr vorsichtig sein. Die scheinbare Kühle ist Vorsicht/Distanz, nichts anderes.
    Zuerst dachte ich, aufgrund Deines Textes, es könnte aufs Neues etwas werden, und nachdem ich Gerdas Einwände und Deine Erklärungen gelesen hatte, liebe Christiane, denke ich es nun wieder:
    Es könnte sich eine neue Basis für die beiden ergeben, die sich ja mal sehr liebten und sich gar nicht spinnefeind sind.
    Sie treffen sich wieder und wieder und es wird viele annähernde Gespräche geben. Darüber kommen sie entweder wieder zusammen oder es wird eine lose *Freundschaft* bleiben. Und das wäre doch auch schon viel.

    Liebe Grüße in die Nacht von Bruni

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  8. Sie hätten eine Chance auf (irgend-)ein Wir, wenn es ihnen gelänge, die verpasste Zeit der gemeinsamen Trauer nachzuholen. Gemeinsam sich erinnern, gemeinsam weinen, einander vergeben. Dann wäre die Zeit reif, sich neu kennen- und vielleicht lieben zu lernen. Liebe Grüße, Bernd

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    • Ich habe mich unterdessen mit einer systemischen Therapeutin darüber unterhalten, die hat mir ziemlich exakt das Gleiche gesagt. Du trägst zu der Diskussion also genau das bei, was bisher noch gefehlt hat. Vielen Dank!
      Liebe Grüße
      Christiane 😁😺

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      • Das tut gut. | In Gedanken gebe ich den Dank an Brigitte Lämmle, Georg Pieper und Mathias Jung weiter. | Danke! | Liebe Grüße, Bernd

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  9. Hallo Christiane, du weißt ja dass ich romantisch und immer hoffnungsvoll bin. Deshalb sehe ich es auch so:
    wortgeflumselkritzelkram zu 4. April 2019 um 7:49
    Ich glaube an die Liebe und die Kraft der Versöhnung….. also ja😊

    Liebe Grüße
    Herbert

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    • Freut mich sehr, von dir zu lesen, lieber Herbert, schön, dass du wieder mal vorbeischaust. Du hast ja bestimmt auch die ganzen weiterführenden Überlegungen in den Kommentaren gelesen. Ich weiß noch nicht, wie (und wann) ich weiterschreibe.
      Liebe Grüße
      Christiane

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