Vom Frühling und der Eitelkeit

 

Es ist alles eitel

Du siehst, wohin du siehst, nur Eitelkeit auf Erden.
Was dieser heute baut, reißt jener morgen ein;
Wo jetzund Städte stehn, wird eine Wiese sein,
Auf der ein Schäferskind wird spielen mit den Herden;

Was jetzund prächtig blüht, soll bald zertreten werden;
Was jetzt so pocht und trotzt, ist morgen Asch und Bein;
Nichts ist, das ewig sei, kein Erz, kein Marmorstein.
Jetzt lacht das Glück uns an, bald donnern die Beschwerden.

Der hohen Taten Ruhm muß wie ein Traum vergehn.
Soll denn das Spiel der Zeit, der leichte Mensch, bestehn?
Ach, was ist alles dies, was wir für köstlich achten,

Als schlechte Nichtigkeit, als Schatten, Staub und Wind,
Als eine Wiesenblum, die man nicht wieder find’t!
Noch will, was ewig ist, kein einig Mensch betrachten.

(Andreas Gryphius, Es ist alles eitel, aus: Freuden vnd Trauer-Spiele auch Oden vnd Sonnette sampt Herr Peter Squentz Schimpff-Spiel. Sonnette. Das Erste Buch, entstanden 1637. Wikipedia-Artikel, Online-Quelle modern, Online-Quelle alt)

 

Einer schönen Freundin ins Stammbuch.

Den ganzen Tag nur auf der Ottomane,
Ylang-Ylang und lange Fingernägel.
Die Anzugfrage, Wochenblattromane,
Schlaf, Nichtsthun, Flachgespräch ist Tagesregel.
Ich glaube gar, für eine Seidenfahne
Verkaufst du deinen Mann und Kind und Kegel.
So schaukeltst du, verfault, im Lebenskahne,
Herzlosigkeit und Hochmut sind die Segel.

(Detlev von Liliencron, Einer schönen Freundin ins Stammbuch, aus: Adjutantenritte und andere Gedichte, Leipzig 1883, Online-Quelle)

 

Es lärmt das Licht im Wipfel deines Baumes

Es lärmt das Licht im Wipfel deines Baumes
und macht dir alle Dinge bunt und eitel,
sie finden dich erst wenn der Tag verglomm.
Die Dämmerung, die Zärtlichkeit des Raumes,
legt tausend Hände über tausend Scheitel,
und unter ihnen wird das Fremde fromm.

Du willst die Welt nicht anders an dich halten
als so, mit dieser sanftesten Gebärde.
Aus ihren Himmeln greifst du dir die Erde
und fühlst sie unter deines Mantels Falten.

Du hast so eine leise Art zu sein.
Und jene, die dir laute Namen weihn,
sind schon vergessen deiner Nachbarschaft.
Von deinen Händen, die sich bergig heben,
steigt, unsern Sinnen das Gesetz zu geben,
mit dunkler Stirne deine stumme Kraft.

(Rainer Maria Rilke, Es lärmt das Licht im Wipfel deines Baumes, aus: Das Stunden-Buch / Das Buch vom mönchischen Leben, 1899, Online-Quelle)

 

Stillleben mit verblühter Tulpe | 365tageasatzadayQuelle: Bild von Oldiefan auf Pixabay

 

Kommt selbstverständlich gut in und durch die neue Woche!

 

20 Kommentare zu “Vom Frühling und der Eitelkeit

  1. Liebe Christiane,
    Nachdenkliches zum Wochenanfang servierst du uns heute: des Menschens Eitelkeit und seine Bequemlichkeit und schaut man dort einmal tiefer hin, dann wird genau hiermit viel Geld verdient, das anderswo besser eingesetzt wäre.
    Auch ich wünsche dir eine gute Woche.
    Herzliche Grüße
    Ulli

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    • Mich beeindruckt der Gryphius immer wieder, der in einer ziemlich krassen Zeit geschrieben hat, im Dreißigjährigen Krieg, der schlimmer gewesen sein muss, als man sich das vorstellen kann.
      Ja, du triffst es genau: Unsere Eitelkeiten werden gefördert, ausgeschlachtet und kommerzialisiert. Der Rubel muss rollen, sonst zählt nichts. Verkehrte Welt.
      Liebe Grüße zurück, und auch dir eine gute Woche!
      Christiane

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  2. Bei all der Überfülle, die uns umgibt – egal ob in der Natur, in den Geschäften, den Nachrichten – ist uns diese Vergänglichkeit oft gar nicht so bewußt, es kommt ja immer etwas Neues, wir denken nicht nach in unserer Schnelllebigkeit.
    Die Schrecken des 30-jährigen Krieges können die Menscheit auch wieder ereilen, wenn die Ressourcen knapp werden und es dann eben nie mehr Überfülle gibt. Die Folgen der Ausbeutung von Natur und Mensch……lernen wir Menschen, da etwas Neues zu gestalten? Die Menschen, die das heute schon tun, werden immer noch als „Spinner“ verlacht, wie seinerzeit die Grünen.
    Ich mache mich zum Wochenende in so eine andere Welt auf, um den Enkelfratz zu besuchen, bin aber auch ehrlich genug, dass diese Art von Zusammenleben nichts für mich wäre. Ich zolle ihr nur Respekt.
    Lieber Gruß an Dich vom rosenblütenexplodierendem Dach , Karin

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    • Manchmal scheint es mir, als würde sich nie etwas ändern, nur die Umstände ändern sich, unter denen wir leben und sterben, liebe Karin. Das ist für mich oft kein emutigender Gedanke. Wir bleiben eben „die alten Affen“, wie Kästner es formuliert hat.
      Ich wünsche dir jedenfalls schon mal viel Freude in den anderen Welten! 😉
      Liebe Grüße
      Christiane

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  3. Seufz… Es hat sich anscheinend nichts geändert, seit diese Gedichte geschrieben wurden. Aber es muss auch Raum dafür sein, um den Spiegel vorzuhalten.

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    • Ja, ich pflichte dir bei, manchmal fühlt es sich wirklich so an. Und wer will schon in den Spiegel sehen? Vermutlich über die Jahrhunderte auch immer die Gleichen.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  4. nein, nein, Herr Rilke, heute nicht, heute zolle ich einem anderen großen Dichter Respekt.
    Tja, wenn man bedenkt, wann Gryphius gelebt und geschrieben hat, dann wird man sehr klein und fragst sich, warum man es ständig weiterprobiert…
    Einen Krieg dieser Art wird es nicht mehr geben, es wird, wenn, sehr anders und hoffentlich nie sein.

    Ganz herzlich, Bruni am verregneten Dienstagmorgen

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