Froschkönig reloaded | abc.etüden

Mir hat die Geschichte keine Ruhe gelassen. Und da kommen mir die Extraetüden gerade recht, um meinen Nicht-Frosch aus seiner Zwangslage zu befreien.

Wer die anderen Teile nicht kennt:

Teil 1: Verflucht

Teil 2: Trübe Aussichten

 

* * *

 

„Der Frosch erinnert mich an Papa.“
„Wie jetzt?“
„Na, da bei der Wettervorhersage. Hörst du nicht, wie der spricht?“
„Du spinnst, seit wann sprechen Frösche denn? Das ist doch alles nur Fake. Außerdem, wenn das dein Vater wäre, dann hätte er mindestens eine Krone auf. Kennst ihn ja, der würde auf der Froschkönig-Nummer bestehen.“

Schweigen.

„Mama?“
„Mhm?“
„Denkst du noch oft an ihn?“

Eigentlich war sie froh, dass sie ihn los war. Die Scheidung war okay gelaufen, sie hatte ihn sich von der Seele geheult und ein neues Leben aufgebaut. Böse formuliert saß der einzige Gewinn aus dieser Beziehung gerade neben ihr und schaute mit ihr obskure Lokalnachrichten auf YouTube. Aber sagt man das seiner Tochter? Würde das bei irgendwas helfen? Sie glaubte es eher nicht.

„Und du?“
„Ich glaube, dass ihr euch getrennt habt, war unabwendbar. Spätestens, als er die Tussi hatte.“

Oh. Ja. Die.

Fakt war, dass er seit ein paar Monaten verschwunden zu sein schien, jedenfalls waren alle Papa-Tochter-Treffen wegen Nichterscheinens gescheitert. In was der sich wohl wieder reingeritten hatte? Sie seufzte. Nicht mehr ihr Bier.
Dieser Frosch hatte doch was von ihrem Ex-Mann. Der Gedanke an eine Spontanmutation erheiterte sie kurz, dann ließ sie ihn fallen.

 

Der Knall erschütterte sein Universum. Er wunderte sich. Sollte er nicht Matsch oder gegrillt sein? Er war sich ziemlich sicher, dass eben die schwere Baulampe in seinem Wetterfroschglas gecrasht war, weil Tobi, der Hirni, oder seine minderbemittelte Schwester wieder mal über ein Kabel in ihrem kleinen Heimstudio gestolpert waren. Großes Ding, Wetternachrichten mit einem sprechenden Frosch! Natürlich hatte ihnen keiner abgenommen, dass die Froschstimme echt war, aber man hatte es als Sommerloch-Gag witzig genug gefunden. Bis in die Lokalnachrichten auf YouTube hatte er es geschafft. Wahnsinn.
Er schlug die Augen auf und sah erst mal alles unscharf. Als sich sein Gesichtsfeld verengte, erkannte er, dass er auf einem Fußboden lag. In SEINER Küche. Interessant. Er hob eine Hand. Menschlich! Konnte alles nur ein trüber Traum gewesen sein?
Viel später gelang ihm die Koordination seiner Gliedmaßen und er tappte unsicher durchs Haus. Wo war Mimi? Weg, stellte er fest, ebenso wie alle ihre Sachen. Na, kein Verlust. Der Kühlschrank war auch leer. Er vertilgte eine Dose Ravioli aus der eisernen Reserve. Hauptsache was im Magen.

Auf seinem Schreibtisch erwartete ihn ein Brief mit Froschbildern und einer Nachricht.
„Also, tut mir leid, die Verwandlung war keine Absicht. Falls du das hier jemals liest, hoffe ich für dich, dass das Schicksal dir eine Chance gegeben hat und du nicht mehr der hässliche Frosch bist (siehe Fotos), den ich am Teich ausgesetzt habe. Ansonsten ist zwischen uns alles gesagt. Ich bin froh, wenn ich dich nie wiedersehen muss, und ich bin nicht die Einzige damit, wie ich inzwischen erfahren habe. Und das, mein Lieber, sollte dir zu denken geben. Ein schönes Leben noch. Mimi“

Schönes Leben noch?

Er ließ den Brief sinken.
War er wirklich so ein Arschloch?
Er hätte genauso gut tot sein können.

Das Haus war totenstill und er fühlte sich sterbensallein.

 

Extraetüden 27.19 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Für die abc.etüden, Ausgabe Extraetüden, Woche 27.2019: 5 Begriffe (aus 6), maximal 500 Wörter. Die Worte stammten dieses Mal von Werner Kastens und Viola, ich habe verwendet: unabwendbar, verengen, Froschkönig, trüb, helfen.

Die Auflösung: Mimi ist das ja so passiert, dass sie ihn verwandelt hat, also konnte sie ihn auch nicht zurückverwandeln. Außerdem hätte sie nicht gewollt. Das Mädel und ihr Bruder, die ihn finden, die hatten kein wirkliches Interesse. Und seiner Ex-Frau ist er ziemlich egal, die hätte VIELLEICHT Mitleid. Möglicherweise würde bei seiner Tochter was gehen, aber die hat er wiederum nicht auf dem Schirm. Er hat eigentlich niemanden auf dem Schirm außer sich selbst.

Ich habe mir also überlegt, dass sich „vertierte“ Menschen dann zurückwandeln (und dabei an den Ort des ursprünglichen Geschehens zurückkehren), wenn sie in ihrer Tiergestalt unfreiwillig sterben, wie es hier der Fall ist, denn eigentlich hätte er den Kurzschluss nicht überleben dürfen.

33 Kommentare zu “Froschkönig reloaded | abc.etüden

    • Kennst du das, das deine Figuren eine eigene Meinung haben, was zu ihnen passt? Ich habe den Herrn jetzt von einem ziemlichen Vollidioten zu einem nachdenklichen Vollidioten wandeln können. Immerhin war er tot. Aber ob das jetzt langfristig was bringt, ist noch völlig offen.
      Danke für die Nachfrage.
      Liebe Grüße
      Christiane

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      • Gefällt mir gut, dass du deinem Froschkönig seine Entwicklung selbst überlässt. Es ist unabwendbar, sobald man sich ernsthaft auf seine Figuren eingelassen hat, dass sie ein Eigenleben führen. Am Anfang glaubt man, Charakter und Lebenssituationen frei erfinden zu können, aber mit jedem Schritt verengen sich in der Fiktion wie auch in der Lebenswirklichkeit die Wahlmöglichkeiten. Abweichungen von der eingeschlagenen Route lassen sich zwar gelegentlich rechtfertigen – wie hier der Knall -, aber übertreiben darf man es nicht. Man muss weitermachen, da hilft nix. auch wenn die Aussichten für Held und Autorin grad recht trüb zu sein scheinen.
        (Nimm dies als kleine Etüden-Nummer mit den Wörtern 1-6)

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        • 😁👍 Dann müsste ich „unausweichlich“ durch „unabwendbar“ ersetzen, soll ich? Und möchtest du damit auf die Liste als Sachetüde? 😉
          Es ist mir nicht neu, dass Figuren ihr Eigenleben haben, ich denke da an meine „Lumi“-Geschichte als letztes Beispiel. Aber dass er hier, den ich eigentlich nur sehr grob umrissen und kaum durchdacht habe, sich sperrt, damit hatte ich nicht gerechnet.
          Liebe Grüße
          Christiane 😁

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    • Mich haben die Umstände des zufälligen Verwandelt-Werdens (und wie man das wieder auflöst) mehr beschäftigt als die verfroschte Hauptfigur, wenn ich ehrlich bin. Leider bin ich nur auf diese Deus-ex-machina-Lösung verfallen, was ein bisschen auch der möglichen Textlänge geschuldet ist, aber mir fiel einfach nichts Besseres ein …
      Ja, es gibt solche Leute. Oft. *seufz*
      Liebe Grüße
      Christiane 🙂

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  1. Eine interessante Wendung. Und eigentlich ist es nur gerecht, dass er jetzt wieder in sein Menschsein zurück kehrt und sich wieder mit seinen Problemen befassen muss. Vielleicht lernt er ja daraus?

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    • Der hat sein ganzes Leben lang eigentlich nur daran gedacht, wie er am besten abschneidet. Die Frage berechtigt, aber die Antwort ist offen, einfach offen. Ich weiß es nicht.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  2. Ha, freu, eine feine Fortsetzung! Ich finde die Rückverwandlung auch gar nicht zu konstruiert, gerade bei Strom, da weiß man ja nie… ;-))
    Hat mir jedenfalls viel Spass gemacht beim Lesen!
    Liebe Grüße,
    Hummel

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    • Eben, Strom, da weiß man nie 😀
      Danke, dass auch du es nicht komplett an den Haaren herbeigezogen fandest.
      Und natürlich freut es mich, dass dir das Lesen Spaß gemacht hat!
      Liebe Grüße
      Christiane

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  3. Ach, ein zufälliger Zauber, dem er da zum Opfer gefallen war, na so was.
    Was er alles in Geschichten so gibt, ist schon verrückt und nun hat er einen Stromschlag überlebt…
    Er hat halt nicht die volle Ladung abgekriegt *g*

    Nun darf er als Mensch weiterleben und ich hoffe, seine Läuterung hält an, liebe Christiane 🙂
    Schau ihm halt mal auf die Finger. Du kannst das, Du bist seine Schöpferin, Dir muß er sich doch fügen? Oder ist er so starrköpfig, daß er tut, was ER will?

    Ganz herzliche Grinsegrüße von Bruni an Dich und den Fellträger

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    • Wenn du die erste Geschichte liest, dann weißt du, dass sie ungefähr so überrascht war wie er, liebe Bruni. Sie hat sich nur schneller gefangen 🙂
      Ich finde ja, dass er zickt, ich als Schöpferin und so stelle fest, dass er durchaus ein Eigenleben hat und längst nicht so handzahm ist, wie ich ihn mir wünsche. Ich bleibe dran, einen Durchgang habe ich vor der Sommerpause noch …
      Liebe Grüße
      Christiane und der abwesende Fellträger

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  4. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 28.29.19 | Wortspende von Kopf und Gestalt | Irgendwas ist immer

  5. Bleibt nur zu hoffen, dass ihm sein Frosch-Sein ein echtes Umdenken beschert hat. Ein passendes Ende für deine Geschichte. Ein wenig wie ein sehr realistisches Märchen.
    Grüße, Katharina

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    • Ich hoffe, das auch, aber ich bezweifle es. Wobei ich mich frage, was denn in seinem Fall eine realistische Entwicklung wäre.
      (Na, wieder nüchtern? Trommelfelle noch heil?)
      Liebe Grüße
      Christiane

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  6. Pingback: Froschkönig revisited | abc.etüden | Irgendwas ist immer

  7. Seltsam, ich habe Mitgefühl mit diesem Froschmann und wünsche ihm sehr, dass er das Ganze nun als Chance nehmen kann, aber wie du selbst in den Kommentaren schreibst: wer weiss das schon 😉
    Danke für alle Links, so habe ich nun den Faden aufnehmen können.
    herzliche Grüsse
    Ulli

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