Wer lange genug hier mitliest und mitschreibt, der*die erinnert sich bestimmt an die unnachahmlich schrägen, eigensinnig poetischen, dahingeworfenen Texte von Ludwig, unserem Etüdenerfinder (der bis heute keinen neuen Blog hat, was auch so bleiben soll). Wer nicht, der*die hat meiner Meinung nach was verpasst ;-), aber der*die bekommt beim Lesen hoffentlich ein Gefühl dafür, ob/dass ihm*ihr was entgangen ist. (Ludwigs Illustrationen für die Etüden habe ich übrigens hier gesammelt.)
Was seine Texte angeht, so hatte ich bei ihm angefragt, ob alle seine Etüden den Bach runtergegangen seien oder ob er in den Tiefen seiner Festplatte noch welche wiederfinden könnte, die ich beim Etüdensommerpausenintermezzo veröffentlichen dürfte. Konnte er! Darf ich! Ich habe fünf Texte ausgewählt und leicht editiert.
Ladys and Gentlemen, Irgendwas ist immer proudly presents: abc.etüden von Ludwig Zeidler. Enjoy!
Meine Lieblingsetüde (aus dieser Auswahl) steht am Anfang; alle Etüden unterliegen dem Copyright von Ludwig Zeidler.
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Sie hatten sich viel vorgenommen in dieser Minikombüse am Sylter Strand. Edgar und Victor wollten diesen verfluchten Stern, sie kochten wie zwei Höllenhunde aus einer anderen Welt, Erbsenspeckflunderschaum und Safranstaubkussspuren waren nur eine kleine Ouvertüre am Meerwassersandtheater. In den „Lukullischen Samstagnachtstunden“ spielten die Stockhauerbrüder live und ungeschminkt Zwölfton-Irisreinkarnationslieder, während Victor die Speisenabfolge mit Zauberblüten sowie Meeresbitteralgen auf Knospenkollisionskurs eröffnete. Edgar legte nach, formte Kräuterchipsblätter mit Chiligelee und Hagebuttenknallrauchkaramell.
Sie waren auf einem neuen Weg, mitten in den Dünen, und Käthe mit o schrieb die Menükarten als Lesegedicht für Gaumentänzer. Feuerwerke erhellten den Wolkenspagat und zogen am Strand lange Schatten mit Salzwasserduft.
Eintritt nach Anmeldung.
(Schreibeinladung für die Textwoche 17/17, Wörter: Safranstaubkussspuren, Knospenkollisionskurs, Irisreinkarnationslied)
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Bahnhof
Elmar Koschinsky war mehr als genervt. Es war so kalt wie im Tiefkühler von Bofrost, dazu schneidender Ostwind, und von der Seite peitschte ihm schnurdünner Regen auf seine Holzbrille, hinter der sich ihm das Hier mehr als trist offenbarte.
Unterkammerhofen, ein Ort, ein Bahnhof, wie aus den schlechtesten Romanen von Kammerwirt & Schuldlos, sogar Warten bekam hier eine Bedeutung, die man sich weder wünschte noch vorstellen wollte.
Abgesperrt, verschlossen, entmenscht, leblos, trostlos, verlassen, er drückte sich hier in eine Mauernische dieser Baukunstverlassenheit und musste warten, während sich 30 Kilometer weiter Karla Unstruht in Wolle packte, die Schlüssel für den alten Lancia suchte und im Begriff war, ihn abzuholen.
Elmar Koschinsky dachte derweil an Prag, an die Mopedfahrt durch Holland und die wilden Zirkusnächte im vergessenen Tempodrom. Einstürzende Neubauten und der Himmel über Berlin, er dachte sich das Warten schön. Beckett erschien ihm nun in einem völlig neuen Licht.
(Schreibeinladung für die Textwoche 6/17, Wörter: Prag, Moped, Zirkus)
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Warten auf die Königin
Sie warteten am Busbahnhof.
Zäh, die Zeit tropfte in den Tag wie falsch angerührter Tapetenkleister, eine Atmosphäre jenseits von Korallenriffen und Backerbsenhochzeit.
Wladimir und Estragon schauten über den See, schauten auf die einfahrenden Busse, warteten auf SIE.
Morgennebel tauchte alles in eine Landschaft wie mit dem Blumensprüher benetzt, es war ein Freitag, Freitag sollte SIE kommen.
Womöglich war es ihre existenzielle, alles beherrschende Aufgabe zu warten.
Und wenn SIE nicht kommt? Und wenn es ein anderer Freitag ist?
Womöglich hat die Königin Godot getroffen, und SIE kommt gar nicht.
Wladimir und Estragon warteten.
(Schreibeinladung für die Textwoche 7/17, Wörter: Königin, Backerbsen, Korallenriff)
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Ludmilla hatte sich gefreut, schön gemacht und war, wie es ihrer Art entsprach, alles andere als unpünktlich.
Vierzehn Uhr an der Bushaltestelle, und heute, neunzehnter Dritter. Sie schaute in ihrer Tasche nach ihren Habseligkeiten, nach den Unterlagen, dem tieferen Grund ihrer Verabredung. Er wollte ihr helfen, diese Textarbeit über den Zaunkönig fertigzustellen, er hatte es ihr wohlmeinend angeboten und sie sagte erfreut zu, warum sollte sie daran denken, dass er sie versetzen würde. Sie war mehr als sauer, keine Nachricht, kein Zeichen, nichts, sie kickte in ihrer Wut eine herrenlose Coladose mit solcher Wucht an, dass sie wie eine Murmel über den leeren tristen Platz schepperte und fast am anderen Ende dieser Windhosenarchitektur blechern zum Stillstand kam. Es war jetzt fast fünfzehn Uhr und in die langweilige Tristesse begann es nun auch noch zu tropfen, kaltes Himmelwasser in stetiger Zunahme, sie dachte an Estragon und verfluchte ihre Verabredung mit Georg. Er war schließlich nicht Godot.
Den weiteren Verlauf dieses Tages dürfen Sie sich gerne in freier Form ausmalen.
(Schreibeinladung für die Textwoche 12/17, Wörter: Murmel, Habseligkeiten, Zaunkönig)
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Er hatte es sich einfach vorgestellt.
Doch bei genauerer Betrachtung war es die totale Verarschung. Er ließ sich ohne groß nachzudenken auf den Deal ein, sagte Ja und Amen zu diesem sehr eigenartigen Urteil. Und jetzt war Rewohlt auf dieser verdammten Insel, er, der Meeresfrüchte hasste und von Inseln so viel verstand wie sein blasser Bruder von Rimbaud-Gedichten.
Aber da musste er jetzt durch, er mimte den coolen Hausmeister, arbeitete sein Pensum in stoischer Unlust herunter und nützte ansonsten jede freie Minute, um auf dem verlodderten Campingplatz in seiner Hängematte Dostojewski zu lesen.
Er gab sich unspektakulär dem Wind hin.
(Schreibeinladung für die Textwoche 11/17, Wörter: Hängematte, Urteil, Meeresfrüchte)
Alle Illustrationen unterliegen dem Copyright von Ludwig Zeidler und wurden mir für die Etüden von ihm freundlicherweise zur Verfügung gestellt.
Dies ist ein Beitrag für die Lieblingsetüden des diesjährigen Etüdensommerpausenintermezzos.
Ein tolles Etüdenmahl hast Du uns von Ludwig aufgetischt, liebe Christiane und die erste zergeht wie ein Souflee beim laut lesen ,denn das sollte man, auf der Zunge.
Ach Ludwig, wir warten auf Dich wie Estragon und Wladimir auf Godot, dass Du wieder mitschreibst. Wenn Du keinen eigenen Blog mehr möchtest, was ich ja verstehe, vielleicht richtet Christiane ein Besuchereckchen für Bloglose ein, denn Du fehlst mit Deinen Wort- und Gedankenzaubereien wirklich.
Einen herzlichen Sonntagsgruss an Euch beide, Karin mit Capucchio
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Liebe Karin, ich bin sicher, dass Ludwig im Laufe des Tages hereinschauen und dies lesen wird.
Ich habe ihm schon eine Gastkolumne angeboten und versucht, ihn davon zu überzeugen, eine Etüde für den Adventskalender zu schreiben.
Einen wunderbaren Sonntag auch dir und dem Katzenherrn! 😺
Herzliche Grüße auf dein Dach
Christiane
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Wie schön, dass du diesen Etüden von Ludwig Raum gibst. Und ich schließe mich Karin an: vielleicht können wir ihm ja alle Platz/Raum geben…. „ein Besuchereckchen für Bloglose“ – eine grandiose Idee.
Und mir gefällt die erste Etüde auch am besten, wobei mein Lieblingssatz folgender ist: „Zäh, die Zeit tropfte in den Tag wie falsch angerührter Tapetenkleister, eine Atmosphäre jenseits von Korallenriffen und Backerbsenhochzeit.“
Lieben Dank an dich und hab einen schönen Tag. Sabine
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Wie ich gerade an Karin geschrieben habe: Wenn er eine Gastkolumne haben möchte, freue ich mich und richte sie ein.
Auch dir einen zauberhaften Sonntag!
Liebe Grüße
Christiane 😁🌞🎶
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Die Etüde für den Adventskalender ist bereits angefragt. 😁
Ich gehe davon aus, dass er heute mitliest, daher spare ich mir die Versicherung, dass ich die Grüße ausrichten werde.
Hab einen feinen Tag!
Liebe Grüße
Christiane 😀😺🌞🎶
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Jawollja, wenn, dann ja, was Frisches. Und ich stimme dir voll zu: In meinem Kopf gehört er auch immer noch zu den Etüden.
Hier ist es auch frisch, aber noch sonnig. Sehr angenehm und relativ kühl. Echt schön gerade.
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Guten Morgen,
super! Danke fürs Lesen und Auswählen.
Sehr sehr besondere Texte.
Ich wünsche dir einen schönen Sommersonntag.
herzlich. Petra
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Jupp, das sind sie und das waren sie schon immer. Alle. Irgendwie.
Schön, dass du sie auch magst.
Auch dir einen wunderbaren Sonntag!
Liebe Grüße
Christiane
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Ach, schön. An diese schrägen Wörter aus der ersten Geschichte kann ich mich auch noch sehr gut erinnern, und auch wie ich dachte, was soll man denn damit anstellen? Und dann fiel mir doch was ein. Das Ergebnis steht auch noch auf meiner Recycling Liste 😉. Aber erstmal kommt noch eine andere. Danke nochmal für diese schöne Idee 😃
Liebe Grüße an dich und Ludwig 🙋
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Ich habe meine Etüden dazu daraufhin dann auch erst mal erneut gelesen und beschmunzelt. Aber die kommen nicht dran, obwohl ich sie mag und sie auch gut geraten finde. Das Herumkramen macht Spaß, oder?
Liebe Grüße zurück
Christiane 😀🌞🎶
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Ja, sehr 😃. Hättest du auch schon eher mal drauf kommen können 😜 – *kleiner Scherz*😉
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Bin ich einfach nicht. Da musste ich schon selbst in so eine Phase der Schreibfaulheit geraten … 😉
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Ich habe sie gerade gelesen im Zug nach Nürnberg 🐳
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Gute Reise! 🦅
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Ich habe meine Holzbrille aufgesetzt und im Schatten von Salzwasserduft proste ich der Backerbsenhochzeit einen dreifachen Salut zu!
Sehr schade, dass der Herr Ludwig nicht mehr dabei ist!
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Genau, das muss man erst mal können. Er wird sich freuen, deine Einschätzung zu lesen.
Danke dir!
Liebe Grüße
Christiane
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Als jemand, der die Etüden nicht von Anfang an kennt, fand ich diese Rückkehr zu den Anfängen sehr interessant. Ludwig hat schon einen ganz besonderen Stil *auf die Etüden anstoß*
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Ja, hat er, das ist ja der Punkt.
Danke 🥂
Liebe Grüße
Christiane 😀🌞
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O, wie toll, Christiane, dass du diese Texte aus der Versenkung holen konntest!!!
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Back to the roots oder so 😁, so was ist nie falsch.
Ich habe mich auch gefreut, als ich sie bekommen habe.
Liebe Grüße, gute Nacht
Christiane 😀🌞
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Ich kannte sie alle nicht, lese gespannt und manchmal aufhorchend, lasse mir das eine oder andere Wort genüsslich schmeckend auf der zunge zergehen umd mache es mit vielen Gedanken darin ebenso, grinse, schmunzel, ziehe neidlos meinen imaginären hut, verbeuge mich tief, wenn ich es denn noch schaffe und lehne mich entspannt zurück, dem Geschmack dieser lieblingsetüden immer noch auf der zunge nachkostend
Herzlich, Bruni, mit dem Handy kämpfend
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Die Autokorrektur ist manchmal echt die Pest, liebe Bruni. Freut mich, dass Ludwigs Etüden auch dir gefallen, ich finde sie sehr besonders, aber ich bin/war da von Anfang an völlig parteiisch 😉
Liebe Grüße
Christiane 😁😺👍
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Ach, hat sie mir wieder dazwischengefunkt?
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Nee, aber weil du schriebst, dass du mit dem Handy Schwierigkeiten hättest, dachte ich, du meintest die Autokorrektur.
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Die auch…
Abwr die Telecom hat seit Samstag ein technisches Problem hier im Bereich und wir sind voll betroffen.
Kein WLAN, kein läppi. Nur Handy und mobiles Netz klappt
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Ohhhh! Na, dann drücke ich dir die Daumen, dass es schnell besser wird, das wäre für mich ein ernsthaftes Problem, so, wie ich im Internet hänge.
Und alles über mobiles Netz: Da merkt man erst mal, wie schnell so ein Datenvolumen aufgebraucht ist …
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Schrecklich, einfach nur schrecklich …
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Ich versteh dich so gut *mitseufz*
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Ich kann mich nur von Herzen bedanken.
Verneigt und laut Dankeschön geschrieben.
Ludwig Z.
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Wir haben dir zu danken.
Klar, Spielzeuge müssen benutzt, geputzt und gepflegt werden, und dafür bin ich zuständig. Aber ohne deine Idee gäbe es das alles nicht.
Von daher: Bleib uns gern erhalten, wir freuen uns.
Liebe Grüße
Christiane
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