Schreibeinladung für die Textwochen 38.39.19 | Wortspende von Make a choice Alice

Inhaltshinweis: Dieser Text diskutiert Triggerwarnungen und gibt Beispiele.

Eine Runde ist das neue Etüdentrimester erst alt, liebe Etüdenfans, -schreiber*innen und -leser*innen, und schon stecken wir knietief in der Sch… im Schlamassel. Also holt euch einen Kaffee oder was auch immer, nehmt euch ein bisschen Zeit, es dauert was länger.

  1. Stellt euch vor, ihr seht im Fernsehen einen Film, in der ein Protagonist, ein gestandener Kerl, auf dem Sofa sitzt und draußen Schüsse hört. Aber statt sich darum zu kümmern, was los ist, rollt er sich auf dem Sofa zusammen, zieht sich die Decke über den Kopf, fängt tierisch an zu zittern, ihm wird schlecht, er hat Schweißausbrüche und bekommt keine Luft.
    Was denkt ihr? Weichei? Wer sich ein bisschen auskennt, der denkt irgendwas wie: Oh, verdammt, Flashback, Panikattacke, PTBS – posttraumatische Belastungsstörung –, was hat der denn erlebt? Armes Schwein. Und dann erwartet man die Rückblende, die erklärt, warum der Typ so reagiert und was ihm seine Psyche so ruiniert hat.

Der Typ wurde durch das Hören der Schüsse getriggert. „Der Begriff ‚Trigger‘ stammt aus der Trauma-Forschung und bezeichnet Reize, die bei Betroffenen potenziell Erinnerungen (‚Flashbacks‘) an ein erlebtes Trauma, Angstattacken oder depressive bzw. suizidale Gedanken auslösen können. […] Die Konfrontation mit einem echten Triggerreiz kann nicht ansatzweise mit Unwohlsein oder Empfindlichkeit verglichen werden. Das ist so, als würde man einen Patienten mit offenem Bruch am Arm als empfindlich abtun, weil er über Schmerzen klagt.“ (Quelle [1]).

Jetzt stellt euch vor, dass Menschen mit psychischen Problemen nicht nur dadurch getriggert werden, dass sie erneut in ähnliche Situationen geraten, sondern auch dadurch, dass sie derartige Szenen lesen (im Fernsehen oder im Kino sehen etc.).
Lesen. In den Etüden zum Beispiel. Zu denen ihr und ich beitragt, mit unseren mehr oder weniger harmlosen Geschichten.
Nicht möglich? Doch.

  1. Der eine oder die andere hat mitbekommen, dass auf ein paar Blogs in den letzten beiden Wochen heiß diskutiert wurde. Thema Verantwortung, und zwar Verantwortung für die Inhalte, die wir mit unseren jeweiligen Etüden in die Welt setzen, nämlich Verantwortung für das, was das Lesen unserer Texte möglicherweise beim Leser auslöst. Denn egal, was jede*r von uns schreibt, egal, was „nur mal eben“ probiert wird, wenn es jemand liest, der*die das nicht abkann, dann ist es egal, ob es ernst gemeint war oder wir das Schreiben nur als Spielerei ansehen (die ja eh keiner liest), dann haut es den*die weg. Könnt ihr damit leben? Denkt an das Beispiel mit dem offenen Bruch von oben. Das ist KEIN Spaß. (Muss ja keiner lesen? Ey, wozu seid ihr im Internet? Wollt ihr keine Leser? Mit einem Triggerhinweis gebt ihr Leuten die Chance, eure Leser zu bleiben – denn ihr glaubt doch nicht, dass die ansonsten jemals wieder zu euch kämen?)
  1. Wir haben jetzt – JETZT! – den konkreten Fall, dass (mindestens) eine Etüde aus der letzten Runde mehrere Personen (ich werde auf Wunsch keinerlei Namen nennen) getriggert hat. Folge: massive körperliche und psychische Symptome, die die Gesundheit der Betroffenen stark einschränken. Mir wurde versichert, dass das nicht zum ersten Mal vorgekommen sei, aber ich habe jetzt zum ersten Mal davon gehört. Ich bin schockiert.
    Ich habe spontan darüber nachgedacht, die Etüden zu schließen, der Gedanke ist mir unerträglich. Sicherlich bin ich nicht für das Leid der Welt verantwortlich, aber ich kann dazu beitragen, es nicht zu vergrößern.
  1. Was kann getan werden? Das hier ist ein bisschen ein Schnellschuss, ihr versteht, aber es gibt eine gangbare Lösung, relativ simpel, die in den nächsten Wochen noch verfeinert werden kann. Ihr setzt über eure Etüde eine Triggerwarnung/einen „Inhaltshinweis“. Ich habe eine Liste gefunden, bei welchen Themen Inhaltshinweise angebracht sind (Quelle [2], Auswahl).
  • Suizid, Suizidversuche und suizidales Verhalten von Figuren
  • Selbstverletzendes Verhalten […]
  • Depressionen
  • Vergewaltigungen und sexueller Missbrauch
  • Gewalt […]
  • Tod
  • Kindesmissbrauch
  • Drogen, Alkohol & Suchtverhalten allgemein
  • Sexismus

Wie diese Inhaltswarnung aussehen soll? Bernd hat es vorgemacht [hier lesen]. Ich habe inzwischen dazu eine Rückmeldung bekommen, dass der betreffenden Person der (modifizierte) erste Satz völlig reichen würde. „Inhaltshinweis: Dieser Text enthält Szenen physischer oder psychischer Gewalt, die belastend sein können.“
Ich habe zwei Artikel (Quelle [1] und [2]) ausgegraben (danke, Werner!), die sich mit dem Thema befassen, Fragen beantworten und zeigen, wie sie es machen. Ihr findet die Links am Ende, bitte schaut rein. In einem wird das Thema m. E. gut zusammengefasst: „Triggerwarnungen sind letzten Endes nicht mehr als einfache Rücksichtnahme. Ihr nehmt auf Menschen Rücksicht, denen es nicht so gut geht, wie euch. […] Es ist nicht viel Aufwand, kann aber für einige Betroffene einen großen Unterschied machen.“ (Quelle [2])
Wenn ihr nicht wisst, ob ihr einen Inhaltshinweis setzen solltet, dann setzt ihn. Natürlich komme ich rum, natürlich gebe ich nach bestem Wissen und Gewissen meinen Senf dazu; und auch euch bitte ich, die Augen offen zu halten, wo eine Etüde einen Inhaltshinweis braucht und ihn nicht hat.

 

Ich habe lang und breit rumgetönt, dass ich an den Regeln nichts ändere, ohne euch, die Mitschreiber*innen, dazu zu befragen. Ich habe jetzt lang und breit erklärt, warum ich das in diesem Fall für nötig halte. Jetzt seid ihr dran. Ich möchte gern von euch hören, wer sich bereit erklärt, über seinen Text, falls er in eine der oben genannten Kategorien fällt, eine Triggerwarnung/Inhaltshinweis zu setzen. Ich habe dazu eine Umfrage erstellt, kann aber natürlich nicht garantieren, dass nur Schreibende abstimmen, daher bitte ich um Wortmeldungen in den Kommentaren.

LINK ZUR ABSTIMMUNG

 

So. Seid ihr noch da? Endlich zum „normalen“ Etüdengeschäft. Die Etüdenstatistik sagt: 36 Etüden von 23 teilnehmenden Blogs. Cool! Die Spitzenplätze der Liste teilen sich Alice und Werner mit jeweils drei Etüden. Vielen Dank, ich freue mich, der Start ist trotz allem gegeglückt.

Hier ist die Liste zum Schmökern, checkt wie immer bitte, ob alles mit euren Links okay ist, und meldet Fehler/Fehlendes oder ob sonst was falsch ist – wie immer, ihr kennt das ja inzwischen zu Genüge.

Corly in Corlys Lesewelt: hier und hier
dergl von Die Tintenkleckse sehen aus wie Vögel: hier
Alice auf Make a Choice Alice: hier, hier und hier
Viola auf viola-et-cetera: hier
Ulli aus dem Café Weltenall: hier und hier
fraggle auf reisswolfblog: hier
Jaelle Katz auf Jaellekatz: hier
Werner Kastens auf Mit Worten Gedanken horten: hier, hier und hier
René auf Ein Blog von einem Freund. Von Humor. Und Spass. Aus Berlin. Im Ernst!: hier
Gerhard auf Kopf und Gestalt: hier und hier
Sabine auf Wortgeflumselkritzelkram: hier und hier
Myriade auf la parole a été donnée à l´homme pour cacher sa pensée: hier und hier
Natalie im Fundevogelnest: hier
Die Hoffende auf ICH & MEHR: hier
Jacqueline auf Meine bunte Textewelt: hier
Die Hummel im Hummelweb: hier
Bernd auf Red Skies over Paradise: hier und hier
Veronika auf vro jongliert: hier und hier
Katharina auf Katha kritzelt: hier
Meine (Christiane) auf Irgendwas ist immer: hier und hier
Petra Schuseil auf Wesentlich werden: hier
Gerda von GERDA KAZAKOU: hier und hier
Rina auf Geschichtszauberei: hier

Vielen Dank an alle, die geschrieben, gelesen, gelikt und kommentiert haben, und einen speziellen Dank an Ludwig Zeidler, den Etüdenerfinder und Wortspender, dessen Wörter uns dieses Mal diese unvergleichliche Büchse der Pandora beschert haben. Ob ich sauer auf mich bin, dass ich die Wörter akzeptiert habe? Ich hätte gern auf das Öffnen der Büchse verzichtet, aber ganz ehrlich, ich glaube, das wäre eh irgendwann passiert.

Die Wörter für die Textwochen 38 + 39 des Schreibjahres 2019 kommen zum ersten Mal von Alice und ihrem Blog Make a choice Alice. (Alice, es tut mir so leid, dass deine Wortspende von diesem Schlamassel derart überschattet wird. Ich hoffe, es wird dennoch eine sensationelle Runde.) Die Begriffe lauten:

Roman
variabel
entlassen.

 

Der öde blöde Etüden-Disclaimer hat sich noch nicht weiter verändert: Bringt obige 3 Begriffe in einem Text mit maximal 300 Wörtern Länge unter. Die „Inhaltshinweise“ zählen NICHT zum Text.
Eure Beiträge verlinkt ihr bitte wie gewohnt hierhin und/oder postet den Link unten in einen Kommentar, damit eure Etüden auch ganz sicher von mir und von allen, die es interessiert, gelesen werden können. Wen ich nicht in den Kommentaren/Pings der Schreibeinladung finden kann (das ist hier), der kommt nicht auf die nächste Liste, ich merke mir nicht, was ich wann eventuell bei wem gelesen habe, den Stress tu ich mir nicht an.
Die Illustrationen unterliegen nach wie vor meinem Copyright und sollen/dürfen zur Bebilderung eurer Etüden verwendet werden.
Wie immer behalte ich mir vor, Kommentare zu moderieren, wenn nötig.

Noch Fragen zu den Etüden? Hier habe ich das Kleingedruckte zusammengetragen, das ergänzt wird, wenn wir mit der Umfrage durch sind. Wenn was fehlt – ihr wisst schon.

Die vierte Ausgabe der Extraetüden startet am 29.09.2019, die nächsten regulären Wörter gibt es am 6. Oktober 2019.

 

Die angesprochenen Artikel:

Quelle [1]: https://eleabrandt.de/2019/04/12/mythbusting-triggerwarnungen-in-buechern/
Quelle [2]: https://alpakawolken.de/die-triggerdebatte/

 

abc.etüden 2019 38+39 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

abc.etüden 2019 38+39 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

469 Kommentare zu “Schreibeinladung für die Textwochen 38.39.19 | Wortspende von Make a choice Alice

  1. Pingback: Fazit Textwochen 47.48.19, willkommen Adventüden! | Irgendwas ist immer

  2. Hi,

    vielen Dank für diesen Beitrag zum Thema „Triggerwarnung“, die ich bisher selbst nur ganz sparsam verwendet habe (und zwar zum Thema „Trauer“), den ich erst jetzt entdeckt habe.

    Klar, man kann es so oder so sehen. Aber ich möchte es mal so formulieren: Wenn ich schon vorher weiß, dass eine Geschichte ein bestimmtes Thema hat oder eine bestimmte Szene kommt, kann ich besser umgehen. Bin ich dagegen unvorbereitet, eher weniger.

    Mir fallen zu meinem Triggerthema „Suizid“ zwei Beispiele für Filme ein: 1) Control – bei der Biografie wusste ich, wie sie endet und konnte mir den Film ansehen, ohne am Schluss zusammenzubrechen. 2) A Star is born – ich kannte die Handlung im Detail nicht und habe einen richtigen Schock erlitten, als ich erkannte, dass sich gleich jemand das Leben nehmen würde und es dann auch tatsächlich getan hat. Danach war der Abend für mich gelaufen.

    Hätte ich gewusst, was auf mich zukommt, wäre ich gegen Ende des Films nicht zusammengebrochen. Aus diesem Grund bin ich für Triggerwarnungen dankbar.

    Liebe Grüße
    Ulrike

    Gefällt 1 Person

    • Hast du dich ein bisschen durch die Kommentare durchgelesen? Ich bin immer noch nicht wirklich glücklich mit dem Ergebnis (dass jede*r es halten kann, wie er*sie will), und kann immer noch nicht verstehen, dass sich Leute dadurch in ihrer Kreativität eingeschränkt fühlen. Ich habe den Eindruck, dass die Stichworte seitdem mehr genutzt werden und glaube auch, dass etwas wie „Suizid“ auf jeden Fall auftauchen würde. Wenn man natürlich einen Stimmungsbogen kunstvoll aufbaut und den Charakter an eine Klippe heranführt (wörtlich oder symbolisch), kann es einem schon missfallen, völlig unromantisch in den Stichworten „Suizid“ zu vermerken, weil/wenn es dann gefühlt den gewünschten Grusel killt bzw. die Spannung sabotiert. Das wiederum verstehe ich.
      Andererseits stimmt es natürlich, dass man nie alles, was triggern könnte, abfangen kann.
      „A star is born“ hat allerdings sogar mich erwischt – ich hatte es den beiden so gewünscht, dass sie es irgendwie schaffen.
      Kann ich dir als „Etüden-Mama“ da irgendwie helfend zur Seite stehen? Ich würde meine Texte entsprechend labeln.
      Liebe Grüße, danke, dass du dir Gedanken gemacht hast
      Christiane 🙂☕🥐😺👍

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  3. Amerikanische Universitäten lassen grüßen. Halleluja. Triggerwarnungen? War das jetzt alles ernsthaft gemeint? An der Stelle kommt jetzt das ungläubige Staunen eines alten, weißen Mannes. Wenn mir etwas missfällt, höre ich auf zu lesen. Ist das etwa zu einfach? Was jemand liest, dafür ist er komplett selbst verantwortlich. Als Schreiber kann und will ich das nicht beeinflussen.
    Ich kann mir nur vorstellen, dass einige Triggerwarnungen setzen, weil es an ihrem Text sonst rein gar nichts Spannendes gibt, Anwesende natürlich ausgenommen. Ich stelle mir gerade einige lustige Triggerwarnungen der Weltliteratur vor. Das wäre in jedem Fall einmal ein Thema, was man richtig breittreten und bei dem man seiner Kreativität freien Lauf lassen könnte.

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    • Ja, es ist zu einfach. Diese Diskussion ist für mich abgeschlossen, es gibt genügend Stellen im Netz, wo du dich informieren könntest, wenn du wollen würdest. Hier lesen und schreiben Menschen, die Triggerwarnungen nützlich finden, ich werde sie nicht dadurch beleidigen, dass ich das Pro und Contra nochmals durchkaue.
      Vielen Dank für diesen aufschlussreichen Kommentar. Dir ist sicher bereits aufgefallen, dass ich deine Kommentare moderiere. Das wird auch in Zukunft so bleiben.

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