Bargespräche | abc.etüden

Schlecht aussehen tat er nicht und er wusste es zweifellos, aber hatte der Typ, der auf Teufel komm raus auf sie einredete und ihr dabei viel zu nahe rückte, eben wirklich gesagt, er sei „moralisch variabel“??? Schade.

Erstens, warf ihr innerer Korrektor gelangweilt ein, heißt das „moralisch flexibel“. Um ganz penibel zu sein, ging es in dem Zitat ursprünglich um „moralische Flexibilität“. Zweitens: Was will er damit ausdrücken? Dass er verheiratet ist und eine Geliebte sucht? Oder eine schnelle Nummer nebenbei?

Sie war erheitert. Vermutlich meinte er genau das. Nach einem Profikiller sah er jedenfalls nicht aus, nicht mal nach einem verhinderten Spion.
Er interpretierte ihr Lächeln falsch. „Schöne Frau, darf ich dir etwas zu trinken bestellen?“
Sie tippte gegen ihr Glas. „Noch einen Bellini, bitte.“
Natürlich wollte er mit ihr anstoßen. „Und du trinkst?“, erkundigte sie sich.
„Sex on the Beach!“

Ja, war klar.

Ihr Augenrollen bekam er schon nicht mehr mit, schließlich versank sein umflorter Blick in ihrem Dekolleté. Das bestätigte ihren Eindruck, dass dieser Möchtegern-Casanova niemals an einen wegen mangelnder Trinkfestigkeit entlassenen Nachwuchs-Bond herankommen würde. Bond hätte immerhin Stil  bewiesen. Sex on the Beach!
Aber war sie seine Hüterin? Also bitte.

„Hör mal“, beschwerte er sich irgendwann, „du quatschst aber auch nicht gerade Romane, was?“

Dazu wiederum hätte sie viel entgegnen können, unter anderem, dass es sie zwar anödete, aber ihrer Erfahrung nach viele Männer ungeheuer gern redeten und mit ihren Erfolgen und angeblichen Vorzügen prahlten wie Hähne auf dem Misthaufen. Männer wie er. Was ihr den Job erleichterte.

Zeitverschwendung.

Also sah sie ihn ernst an, erwiderte: „Nein, selten“, griff nach ihrer Handtasche, rutschte von dem Barhocker und verschwand. In der Toilette leerte sie mit einem schnellen Griff sein Portemonnaie, ließ es vor der „Herren“-Tür unauffällig zu Boden gleiten und winkte sich draußen ein Taxi heran.

 

abc.etüden 2019 38+39 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 38/39.2019: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Alice und ihrem Blog „Make a choice Alice“ und lauten: Roman, variabel, entlassen.

Das Zitat mit der moralischen Flexibilität habe ich aus „Grosse Pointe Blank“, wo der Protagonist tatsächlich Profikiller ist. Es lautet: „Ich bin damals zur Army gegangen und im Einstufungstest wies mein Profil eine moralische Flexibilität auf.“ (Quelle) Mehr zum Film auf Wikipedia. Ich hab ihn nie gesehen, glaube ich, aber jemand, den ich kannte, war von besagter moralischer Flexibilität bis zur Unangemessenheit angetan. Möglicherweise war es aber auch nur seine Art von Humor.

Und wer mein vorläufiges Fazit zu dem Triggerwarnungsgedöns lesen möchte, der kann das hier tun.

 

39 Kommentare zu “Bargespräche | abc.etüden

    • Oh, echt? Dann danke! 👍
      Ja, unbedingt jeder Frau ihr Geheimnis, vor allem, wenn es so anders ausfällt als erwartet 😉
      Und hey, willkommen auf meinem Blog! 😁 👍
      Liebe Grüße
      Christiane

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          • Zu dem Thema (und zu den Etüden) passt auch das dem 1. Kapitel vorangestellte Gedicht in Walter Scotts Roman „Nigels Schicksale“:

            – Hier, Freundchen, ist die Scheuer,
            Wo täglich sich die ersten Hähne zeigen,
            Die Federn sträuben und sich heiser krähen,
            Dann um ein Korn sich raufen. Hier auch lernt
            Das junge Hähnchen, kaum entschlüpft dem Ei,
            Den Kamm hoch tragen, zielen mit dem Sporn
            Und schreien wie ein alter Gockelhahn.
            Der Bärengarten

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          • Nein, kann ich auch nichts mit anfangen und nur vermuten, dass Scott einen Hinweis gemacht hat, auf die damaligen Vergnügungsstätten in England/Schottland, die sog. beargarden. Seinerzeit waren die Bärenkämpfe in England und auch bei uns in Deutschland (hauptsächlich Dresden, Sachsen) wohl so etwas wie die Stierkämpfe in Spanien: Unterhaltung für die Leute. Darüberhinaus wurden Bären damals ja auch zur Jagd benutzt.

            siehe auch:
            https://de.wikipedia.org/wiki/Bear-_und_Bullbaiting

            Ob der bayrische Biergarten nur auf Bier gründet oder auch den Bärengarten als Ausgangspunkt hatte, wäre auch nochmal in dem Zusammenhang zu untersuchen.

            LG Werner

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    • Ich stelle sie mir als eine vor, die in Bars geht, sich dort an die Bar setzt, um sich ansprechen zu lassen – Ergebnis offen: so wie geschildert oder anders, je nachdem, was an „Männermaterial“ so herumläuft.
      Manchmal finde ich es faszinierend, wie anders andere Menschen ticken.
      Liebe Grüße
      Christiane 😁👍❤️

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  1. Na, das hätte er nicht gedacht! Gern gelesen.
    Mit „variabel“ ringe ich auch noch, hätte nie gedacht,dass da so schwierig unterzubringen ist und bei manchen Texten frage ich mich auch, ob es stimmig verwendet wurde.
    Gruß
    Natalie

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    • „Variabel“: nein. Ich hätte gemeckert, wenn ich eine genaue Definition gefunden hätte, wann man es verwendet und wie man es (zum Beispiel von „flexibel“) unterscheidet.
      Freut mich, dass du meine Bargeschichte magst!
      Liebe Grüße
      Christiane 😁❤️👍

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  2. Pingback: Bargespräche, die zweite | abc.etüden | Irgendwas ist immer

  3. Toll, liebe Christiane, wie Du die Geschichte aufbaust, der Fantasie Raum läßt und dann zu einem schnellen überraschenden Ende kommst, das den Leser durchschnaufen und denken läßt: Recht geschieht es ihm, dem von sich selbst so eingenommenen Fiesling

    Liebe Mittwochsgrüße von Bruni

    Gefällt 3 Personen

  4. Pingback: Schreibeinladung für die Textwoche 40.19 | Extraetüden | Irgendwas ist immer

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