Bitterer Abschied | abc.etüden

Sie war sich nicht sicher, ob sie mehr wütend oder mehr traurig war. Glaubte die denn, dass Gefühle recycelbar waren wie die Zeitung von gestern?

„Du wirst schon wieder eine Freundin finden.“

Ha! Ja, sicher, aber es war ihr um SIE gegangen und sie hatte wirklich geglaubt, dass die Jahre, in denen sie alles geteilt hatten – Kummer, Freude, Verliebtheiten, Glück, Schmerz –, mehr wert seien als so einen herablassenden Spruch. War alles nur gespielt gewesen? „Best friends forever“, sie hatte es ernst gemeint, sie hatte sich ihr geöffnet wie nicht vielen Menschen vorher. Mehr und mehr war die Freundin zu einem wichtigen Teil ihres Lebens geworden. Und nun war sie fort.

Irgendwann war ER in ihr Leben getreten, er, an dessen Seite sie jetzt ausreiste. Vorbei die viel diskutierten Zweifel, ob er endlich der berühmte Richtige wäre. Das Versprechen der Greencard, des Lebens im Land der gar nicht so unbegrenzten Möglichkeiten hatte letztendlich gezogen.
Liebe? Oder Schönrederei?

Wo waren ihre Ideale geblieben, die hatten sie doch gehabt?
Sie hatte sich wohl geirrt.
Und wenn schon in ihrer Freundin, worin dann noch?

„Wir sehen uns bestimmt bald wieder.“
Wer’s glaubt. Sie nicht.

Unten reihte sich das Flugzeug auf dem Rollfeld ein, und sie war sich ziemlich sicher, dass die Andere nicht am Fenster kleben würde, um die kleine Silhouette auf der Aussichtsterrasse des Flughafens zu entdecken. Ob man sie winken sehen konnte? Sie würde es trotzdem tun.

Einer liebt immer mehr. Eine Erkenntnis, auf die sie gern verzichtet hätte.

Der mächtige Airbus hob ab und verschwand gen Westen in Richtung Sonnenuntergang. Sie starrte in das Himmelsleuchten, bis ihre Augen brannten. Dann drehte sie sich um und machte sich auf den Weg durch das Terminal nach Hause, und es kümmerte sie nicht, dass man die Tränen sah, die über ihre Wangen liefen.

 

abc.etüden 2019 45+46 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, bearbeitet von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 45/46.2019: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Anna-Lena und ihrem Blog „Meine literarische Visitenkarte“ und lauten: Himmelsleuchten, recycelbar, ausreisen.

Nein, bitte, das ist NICHT so autobiografisch, wie es sich vielleicht liest, da fließt ziemlich viel an (eigenen und fremden) Erfahrungen zusammen.

 

64 Kommentare zu “Bitterer Abschied | abc.etüden

  1. Ja, wo bleiben die Ideale? Eine spannende Frage. Insbesondere bei der Version der anderen Seite (diese Geschichtenvarianten finde ich ja auch immer spannend, in diesem Fall sind es mindestens 3 Sichtweisen). Sind Ideale starr oder dynamisch, sicherlich aber individuell? Bleibt ein Ideal ein solches, wenn man daran festhält? Die Zurückgebliebene scheint die Verliererin zu sein, aber die Gesamtbilanz kann anders aussehen, vielleicht sind es auch nur Weichen, nicht besser oder schlechter, nur anders. Vielleicht. Hinterherschauen fühlt sich eben immer nach Zurückbleiben an.
    Einen schönen Tag wünsche ich dir!

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    • O ja, das ist eine Geschichte, die die andere Seite mit Sicherheit ganz anders sieht, denn ich unterstelle meiner Protagonistin durchaus, dass sie sich längere Zeit was vorgemacht hat und von daher die Dinge nicht ganz so sind, wie sie scheinen.
      Nur vordergründig einfach, das alles.
      Schönen Tag auch dir! 😁
      Liebe Grüße
      Christiane 😀👍🐱

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  2. Ja, die unterschiedlichen Gesichtspunkte an ein und der selben Geschichte sind tatsächlich immer sehr spannend. Vielleicht wäre die Seite der Abfliegenden auch noch eine Etüde wert. Fände ich auch spannend 🙂

    VG, René

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  3. Freundschaften oder das, was man lange dafür hielt, können ein Verfallsdatum haben. Die Erkenntnis ist bitter, aber auch voller neuer Chancen.
    Sehr berührend geschrieben.

    Liebe Grüße dir,
    Anna-Lena

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  4. Das ergänzt gerade wunderbar die Gedanken rund um die andere Seite der Medaille, in die ich mich in den vergangenen Tagen selbst vertieft hatte, die der Loslasser und Weggeher. Ich liebe solche Koinzidenzen.

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    • Stimmt überhaupt, jetzt, wo du es sagst … Aber deine Familiengeschichte schlägt bei mir innerlich eine ganz andere Saite an als diese Etüde … obwohl ich ja auch einige Weggeher in meiner Familie habe.
      Liebe Grüße
      Christiane

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  5. Eigentlich schade, diese Tendenz, im Nachhinein alles in Frage zu stellen. Ich kenne das, versuche es aber zu vermeiden. Dann wird das Annehmen von Veränderungen (mein Thema…) oftmals auch einfacher.
    Schöne anregende Etüde 😊

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    • Ich sehe das auch als ein Alles-infrage-Stellen im Nachhinein, allerdings mehr als eine Notwendigkeit, da sich jetzt eine (ja, doch, ein Stück weit) gelebte Lüge nicht mehr aufrechterhalten lässt.
      Ja, die Etüde war plötzlich da, wollte geschrieben werden und läuft jetzt mit mir herum …
      Freut mich, dass du sie magst!
      Liebe Grüße
      Christiane 😁🐱👍

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  6. Es ist irrelevant , ob Mann und Frau, Liebende oder Freunde sich trennen. Mit „Einer liebt immer mehr“ hast du es schön beschrieben. Loslassen ist schwer, das kenne ich zu gut.
    Eine sehr schöne Etüde
    Liebe Grüße
    Alice

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  7. Ich freue mich immer sehr über Texte, die nicht-beziehungs Freundschaften mit all‘ ihren Gefühlen ernst nehmen.
    Und oft geraten diese ins Trudeln , wenn eine Partei eine (neue) Paarbeziehung hat.
    Gruß
    Natalie

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    • O ja. Das ist der Klassiker schlechthin: Freundschaften, die zerbrechen oder plötzlich auf Eis liegen, weil der*die jeweils andere sich neu verliebt und nur noch Zeit/Augen/Ohren für den neuen Menschen hat. Oft sehr problematisch …
      Danke dir! Hab einen schönen Tag!
      Liebe Grüße
      Christiane 😁🐱👍

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  8. Eindrucksvoll und glaubhaft, deine Geschichte. Im Einzelnen: die eigentliche Bitternis liegt nicht in der Trennung, sondern in dem Eingangssatz: „Du wirst schon wieder eine Freundin finden.“ Darin liegt so viel Nichtachtung – sowohl für die Individualität der Verlassenen als auch für die der Gehenden. Hält sich diese für auswechselbar? dann dürfte sie auch in der neuen Beziehung kein Bleiberecht beanspruchen: auch er wird eine Neue finden. Die Beliebigkeits-Äußerung ist zugleich eine Selbst-Abwertung. Deine Protagonistin sieht das offenbar nicht, hält nur sich selbst für abgewertet und verlassen.
    Ansonsten: Jede Beziehung hat ihre Zeit. Manche wird durch die Menschen selbst beendet, manche durch äußere Umstände, manche durch den Tod erzwungen. Da gilt es dann, die Zeit des Zusammen-Gewesen-Seins zu ehren.

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    • Nichtachtung und die Bitternis im Eingangssatz: Danke, dass du das siehst und benennst, liebe Gerda!!! Ich habe mich schon gefragt, warum keine*r darüber stolpert.
      Vielen lieben Dank.
      Herzliche Grüße
      Christiane 😁🐱👍

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  9. So vieles wird hier an- und ausgesprochen, was tief schmerzte und wohl zuerst schweigend ertragen wurde. Zuerst meint man/frau☺,,sie sei die Einzige in der Welt, der sooooo etwas Schlimmes geschieht, und dann bricht gleichsam eine ganze Welt in ihr zusammen… Doch inzwischen hat das Leid sie innerlich gestärkt! Sie ist innerlich daran gewachsen und gereift. So kann sie die Erinnerungen nun nach außen tragen im geschriebenen Wort einer E’tude.
    Und nun wird es von ganz vielen Leser/innen sympathisch aufgenommen, und Selbsterlittenes macht sich frei…, und es tut nicht mehr weh, wird zur Hilfe…

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    • Äh, nein! Ich habe unter der Etüde ausdrücklich geschrieben, dass es NICHT so autobiografisch ist, wie es sich vielleicht liest. Klar sind da eigene Erfahrungen drin, wo nicht, aber so wie du es darstellst: nein, wirklich nicht.

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      • Ich hatte es auch nicht persönlich gemeint, sondern wollte das Gesxhilderte auf eine allgemeine Ebene heben, weil,es ja sehr vielen Mensxhen so ergeht und sie sich darin wiederfinden. Und so kommen ske dadurch auch selbst dazu, Selbsterlebtes in dichterische Worte zu fassen, um sixh davon zu lösen und um anderen, die darin noxh befangen sind, zu helfen, damjt auch sie frei werden. Also wie eine Helferkette gleichsam… ixh gebe zu, es war eher der Wunsch, etwas zum Thema beizutragen. Und es geht ja vkr allem um literarisxhe Themen, so habe ich es verstanden, nicht um Persönliches (obwohl,sich solches auch mit hineinmischen kann).

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        • Wenn man schreibt, dann schreibt man immer auch über sich, die Frage ist nur, wie explizit. Mir kam es hier auf deine Formulierungen an, die dem, was ich dazu ergänzt hatte, entgegenliefen.
          Nichts für ungut!

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          • Es tut mir leid, wenn ich es so erscheinen mußte. Ich meine es eigentlich n i e m a l s persönlich, versuxhe eigentlich immer, es auf eine allgemein-verständliche☺ „höhere Ebene“ zu stellen. Leider wird es meistens persönlich verstanden. Woran das liegt, ist mir bisher noch ein Geheimnis. Doch ich sollte auf meine Worte n o c h sorgfältiger achten, damit es zu solchen Mißverständnissen nicht mehr kommen kann. Ich habe übrigens schon einen weiteren „Denk-Satz“ mir vorgenommen, bald ins Netz zu setzen: „Ein feines Instrument verstimmt sich leicht.“ Auf Mensxhen bezogen, verstehe ich das gut. 🎻

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          • Du wirst möglicherweise missverstanden, weil du (wie bei mir) den Brückenschlag zwischen der höheren und der persönlichen Ebene selbst herstellst. Nimm deinen letzten Kommentar. Da sind ein paar einführende Gedanken, und dann kommt: „So kann sie die Erinnerungen nun nach außen tragen im geschriebenen Wort einer E’tude.“
            Damit stellst du rein sprachlich eindeutig eine Verbindung zwischen der Protagonistin der Etüde und der Schreiberin (also mir) her. Und dem widersprach ich, da ich diesen Satz unter dem Bild extra deswegen ergänzt hatte.
            Und, ja, passiert das häufiger, können so Verärgerungen entstehen.

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          • Ja, liebe Christiane, da steht es nun Schwarz auf Weiß…. So kann leicht Verärgrerung entstehen. Doch nun noch einmal zu meiner inneren Absicht: Wenn ich eine E’tude vor mir habe , dann lese ich zuerst einmal den Text und denke an keine Personen. Der Text selbst aber stellt ja persönliche Bezüge her. Daher nehme ich mit dem geschriebenen Textzugleich auxh etwas Persönliches der Schreiberin in mich auf, ohne es zu wollen. Text und schreibender Mensch bilden ja auch irgendwie eine Einheit, obwohl nur eine lose.Einen ganz und gar objektiven Text gibt es eigentlich im zwischenmenschlichen Bereich nicht, es sei denn, wir hätten uns bereits aus dieser zwischenmenschlichen Ebene gelöst, was eigentlich meistens ( auch oft nicht) erst durch den Tod geschieht oder – und das scheint mir das „Neue“ zu sein – : dadurch, daß uns ein LICHT-BLICK erreicht, sozusagen ein „Licht -Funke“ sich in uns zu regen beginnt, wieder aufwacht aus langem Schlafe…😴 Dann kommt sozusagen „von Oben“ etwas in unser Leben hinein, das uns zu einer Neu-Orientierung unseres ganzen Lebens anspornt und treibt… Das Leid und die Freude, tief erlebt und empfunden, sind daför meistens dje Tür-Öffner. Insofern ist das
            Leidvolle, ob nun persönlichmerlebt oder mitempfunden im Leben anderer Menschen – oft der Anfang für eine solche Neu-Orientierung. D a f ü r nun stehen die neuen
            “ auf innerem Wege aufgenommenen “ „Hilfen“ nun bereit. Darin liegt ihr eigentlicher Sinn. Und es gibt Mensxhen, die sich in einen solchen „Dienst“ gestellt haben, damjt es
            Zukünftig möglichst solche Mißverständnisse ( Verärgerungen) nicht mehr gibt… 🌱

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          • Liebe Gisela, ich unterstelle dir keinerlei „schlechte“ Absichten. Ganz im Gegenteil.
            Aber ehrlich gesagt, verstehe ich nicht, glaube ich, was du mir mit diesem Kommentar sagen willst.

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          • Liebe Cnristiane! Ich habe durch mein Schreiben wohl vkr allem mkr selbst einen inneren Zugang zu dem Inhalt der E’tude erarbeitet, also gewissermaßen „meine Hausaufgaben gemacht“, dachte, daß darin der Hauptsinn solcher E’tuden bestehen würde: Daß jede/r auf ihre/seine Weise das vin Anderen Geschriebene auch zu seiner e i g e n e n Sache, also zu seiner ❤ Herzenssache macht, um etwas mehr Mitmenschlichkeit in sich selbst zu entwickeln,
            Etwas mehr Bespür für das, was anderen wichtig ist. Ich schrieb einmal ( von 1984 bis 1981, also 7 Jahre lang) „Eine kleine Brücke von Mensxh zu Mensch“. Das war ein DinA4-Blatt, von dem kch quer einen etwa 1o cm brekten Streifen mit der ✂Schere abschnitt, es dann 2mal faltet, so daß es das Dormat eines ✉ Briefumschlages hatte. Auf dem „Titelblatt“ war eine kleine Brücke zu sehen..🏄( leider kein Bild zu finden) , darüber ein 🌈Regenbogen, als Zeichen für eine Himmelsbrücke… Ja, und dann blieben noch 5 „Seiten“ zum Beschreiben, mit Skribtol und Scheibfeder,…. Ja, und die sxhickte ich dann an viele !eute..👪👫👬👭… Naja, soo viele waren es nun wieder auch nicht… Immerhin lernte ich von jeder Richtung so ziemlich 1 Menschen kennen, Und dke freuten sich, daß es mich gab und schickten mir vieles…📖📚✉🎋📋📂🎼🎶 Und dacon „zehre“ ich noch heute….. Und nun habe ich eben wieder Mensxhen gefunden…👀👂💕👄👍✋🎧🎤🎵🎶🎼🎻🎹🎷🎺🎸

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          • Ja, so war es auch. Und so ganz scheint mir der Gedanke der „kleinen Brücke von Mensch zu Mensch“ noch nicht „gestorben“ zu sein. Und so kam mir die Idee, hier, in diesem „Bloghausen“ , sei irgendwie dke Anlage zu einer „Auferstehung“ dieser Idee. Diese stammte allerdings nicht von mir, sondern ich habe sie nur fortgesetzt, 2 Jahre nachdem ihr Begründer verstorben war. Er hatte mich ja zuvor gefragt

            Ja, danke, so war es, und irgendwie kann ich noch nicht glauben, daß das schon das Ende war….☆☆♡♡♧♧⊙⊙♡♡☆☆♧♧⊙⊙ …..

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  10. Einfach so ausgetauscht zu werden tut schon sehr weh. Und manchmal bedeutet Lieben eben Loslassen können. Ich hoffe, deine Protagonistin lässt sich nicht davon abhalten, noch einmal zu vertrauen.
    Eine Etüde mit viel Wahrheit.
    Liebe Grüße!

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  11. An sich ist eine räumliche Trennung für Freundschaften nicht immer das Ende, aber der Satz, dass sie schon ne neue Freundin finden würde, zeigt die Schieflage.
    Sehr traurig.
    Grüße, Katharina

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  12. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 47.48.19 | Wortspende von Red Skies over Paradise | Irgendwas ist immer

  13. Schnüff… das ist traurig. Und wahr, leider. Eine Freundin von mir sagt immer, man sollte seine Freundschaften auf mehrere Menschen aufteilen. Da ist was Wahres dran. Ob´s mir gefällt, ist dann die andere Sache. Ein sehr schöner Text. Und einer liebt immer mehr als der andere, ich glaube, gleich gibt es nie bis selten.

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    • Ich denke, im Idealfall gleicht sich das weitgehend aus. In einer Freundschaft gibt es bestimmmt immer etwas, auf das der*die eine mehr Wert legt als der*die andere – und umgekehrt. Eigentlich muss man „nur“ darauf achten, dass der „innere Buchhalter“ nicht zu strafend den Finger hebt …
      Und ja, auch an dem, was deine Freundin sagt, ist was dran, denke ich. Es ist fast unmöglich, dass eine einzelne Person ALLES abdecken kann. Das schaffen in der Regel nicht mal Partner*innen … und man fährt besser, wenn man sich dessen gewahr ist.
      Liebe Grüße
      Christiane 😉

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