Mitgliederwerbung mit Hindernissen | abc.etüden

»Was recherchierst du jetzt noch im Internet?«

»Ich versuche rauszufinden, ob hier in den letzten Jahren jemand verschwunden ist. Unaufgeklärte Morde und so.«

»Alter! Tickst du noch ganz sauber? Du sollst Unterschriften gegen die Umweltzerstörung sammeln!«

»Hab ich doch! Okay, ich erzähl es dir. Ich war im letzten Haus im Kastanienweg und hab an der Pforte geklingelt. Es summt, ich aufs Grundstück, Gebell. Rast so ein Köter auf mich zu und macht einen auf megawichtig. Ich ihn erst mal geknuddelt, damit er sich abregt, ich kann ja gut mit Hunden. Herrchen macht auf, ich erkläre, was ich will, und er sagt, ich soll reinkommen, er hätte keinen Bock auf Gespräche an der Tür, er hätte gerade erst ’ne Grippe überstanden. Okay, ich rein und ihm nach. Ich dachte ja Küche oder so, aber nee, ich lande im Arbeitszimmer. Er fragt mich, ob ich Tee will und verschwindet.

Okay, ich schau mich unterdessen um. Alter! Ich hab noch nie so viele Bücher auf einem Haufen gesehen! Alle Wände voller Regale! Und auf dem Schreibtisch dann dieser Schädel auf so einem schwarzen Tuch. Ein Totenschädel, ich schwör’! Weiß gebleichte Knochen und alles. Voll krass. Ja, kann man im Internet kaufen, sag nix. Daneben eine Kerze auf ’nem goldenen Leuchter und eine Sanduhr. Als der Typ dann mit dem Tee kam, hab ich ihn gefragt, ob der Schädel echt ist, und er hat mich richtig komisch angelächelt und geantwortet: ›Na, was denkst denn du?‹
Alter, ICH will nicht der nächste Schädel auf jemandes Tisch werden, ich hab mir meinen Kram geschnappt und bin abgehauen. Und ich sag dir eins: Wenn hier in den letzten zwanzig Jahren wer spurlos verschwunden ist, dann bin ich so was von schnell bei den Bullen, das hast du noch nicht gesehen!«

»Soll heißen, unterschrieben hat er nicht?«

»Alter!«

 

abc.etüden 2020 06+07 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, bearbeitet von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 06/07.2020: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Alice mit ihrem Blog Make a Choice Alice und lauten: Grippe, gebleicht, knuddeln.

Nicht so ganz ernst nehmen, bitte … 😉

Diese Etüde spielt mit Motiven aus Freimaurer-Traditionen (hier nachlesen).
Ferner ist es mir schon öfter passiert, dass Leute (angeblich?) im Auftrag von durchaus seriösen Organisationen an meine Tür kamen und mir dann nicht nur eine Unterschrift ab-, sondern eine Mitgliedschaft aufschwätzen wollten. Lediglich der Ruf besagter Organisationen hat mich bisher davon abgehalten, das als den Versuch einer normalen Haustürabzocke zu sehen …

 

92 Kommentare zu “Mitgliederwerbung mit Hindernissen | abc.etüden

  1. Wenn Kulturen aufeinanderprallen … sehr schön geschrieben, finde ich. Wobei – woher nimmst du die Jugendsprache? Hast du ein Wörterbuch? Gibt es das auch online? Ich habe keinen Kontakt zu dieser Altersgruppe, meine Tochter und meine Nichten und Neffen (auch eine Großnichte und ein Großneffe) sind erwachsen, ihre Kinder zum größten Teil noch nicht in der Schule. Daher habe ich keinen Schimmer, wie Jugendliche heutzutage reden, um sich von Kindern und Erwachsenen abzugrenzen.

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    • Liebe Elke, ich habe keine Ahnung, ob meine „Jugendsprache“ tatsächlich Jugendsprache ist. Ich höre immer wieder ein völlig selbstverständliches „Alter!“, aber ob der Telegrammstil noch gebräuchlich ist, weiß ich absolut nicht. Ich würde die Frage gern weitergeben an jemanden, der*die da besser Bescheid weiß.
      Liebe Grüße, schönen Sonntag dir
      Christiane 😁🐱☕🍩👍

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      • Mir kommt es für meinen Zweck tatsächlich auf authentische aktuelle Jugendsprache der frühen 20er Jahre des 21. Jahrhunderts an. In fünf bis zehn Jahren darf das ruhig veraltet sein, weil ich mit der Sprache die Protagonisten in einer bestimmten Zeit verankern möchte. Wenn also jemand einen Tipp hätte, wäre ich sehr dankbar.

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        • Ich habe in meinem Kommentar an Alice gerade auf dich verwiesen. Vielleicht schauen Sabine Geflumsel und Veronika ja rein, die könnten wohl auch helfen. Und natürlich sämtliche Lehrer*innen. 👍

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  2. 😂😂😂
    Ich wünsche dir einen möglichst orkanfreien Sonntag!

    Marion
    (Ehemals auf wechselweib.com jetzt unter ‚Panta rhei“ auf „dennallesfliesst.home.blog)

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      • „Im ernsten Beinhaus wars, wo ich beschaute,
        Wie Schädel Schädeln angeordnet paßten;
        Die alte Zeit gedacht ich, die ergraute.
        Sie stehn in Reih geklemmt, die sonst sich haßten,
        Und derbe Knochen, die sich tödlich schlugen,
        Sie liegen kreuzweis, zahm allhier zu rasten….“

        Goethe, beim Anblickk von Schillers Schädel.

        Ich musste lachen, als ich die „Studierstube des Hieronymus“ in deiner Etüde wiederfand. Bücher, Schädel, Sanduhr – es fehlte nur der Löwe.

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        • Mensch, ja, du hast recht! Jetzt ist mir dann auch klar, warum ich statt „Arbeitszimmer“ viel lieber „Studierstube“ geschrieben hätte! Passte nicht zu meinem Protagonisten, daher habe ich es gelassen, aber der Impuls kam bestimmt von dir 😁
          Schade, wenn mir das früher aufgefallen wäre, hätte ich eine Löwenstatue(tte) neben die Eingangstür gesetzt … 😉
          Danke dir!
          Liebe Grüße, schönen Sonntag
          Christiane bei böig auffrischendem Wind, Stärke zunehmend 😁🌬️👍

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  3. Klinkenputzen birgt oft Überraschungen -:)) köstlich!!!
    Bring heute Abend den Fellträger in Sicherheit, ich habe hier oben schon alles vertäut und weggeräumt, um dem Sturm keine Spielbälle zu liefern. Bis jetzt ist alles windstill und sieht eher nach Frühling aus. Lieber Gruß zu Dir, Karin

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    • Der Sturm soll ja auch erst abends/nachts kommen. Ich vertraue darauf, dass der Fellträger klug ist und weiß, wann er besser drinbleibt. Hoffentlich kostet es „meinen“ Teich nicht zu viele von den alten Bäumen am Rand … und von meinen hier will ich gar nicht reden. 😬
      Liebe Grüße, schönen Sonntag dir und Monsieur
      Christiane 😁🐱☕🍩👍

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  4. Ich habe auch einen knöchernen Schädel, den habe ich vor rund 50 Jahren von einem Friedhofswärter in einem kleinen Dorf bei Erfurt um 20 Mark gekauft und habe daran die Anatomie studiert. Bisher hat ihn der Träger noch nicht vermisst.😂

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    • Ich finde daran nichts Verwerfliches, solange du dessen eingedenk bist, dass er mal einem Menschen (wie du, wie ich) gehörte.
      Das mit der Auferstehung im Fleisch überlese ich mal. 😉
      Liebe Grüße, schönen Sonntag
      Christiane 😁🐱☕🍩👍

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    • Ja, ich war auch ganz stolz auf mich. Ich fand es nicht einfach dieses Mal 😀
      Flieg nicht weg! Hier ist es noch trocken, aber es wird langsam windiger.
      Liebe Grüße, schönen Sonntag
      Christiane 😁🐱☕🍩👍

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  5. Deine gewählte Sprache, liebe Christiane, schenkt mir ein Lächeln.
    Ich bin kein Fan von Totenschädeln in der Wohnung, weder den echten, noch denen aus Plastik, an die Vergänglichkeit erinnert mich das Leben selbst, jeden Tag!
    Klinkenputzer sind hier eine Rarität, aber ich erinnere mich wie es in Berlin gewesen ist.
    Hab einen schönen Sonntag, noch ist es ruhig da draußen …
    liebe Grüße
    Ulli

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    • Ich wünsche mir, dass mit allen menschlichen (und tierischen) Überresten respektvoll umgegangen wird. Ich weiß, dass dem nicht so ist, aber wenn jemand um den Respekt bemüht ist, habe ich kein Problem damit, siehe meine Antwort an Rainer.
      Wohlgemerkt steht in meiner Etüde NICHT, ob/dass das ein „echter“ Schädel ist. 😉
      Liebe Grüße, hier windet es kräftig, aber nicht unnormal
      Christiane 😁🐱☕🍩👍

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  6. Ei, ei, es gibt eben auch Menschen, die sich nicht über Serien und deren Helden definieren 🙂 Deine Jugendssprache ist, fürchte ich, etwas zu gewählt, viel zuviele Präpositionen und Relativsätze, Alter ! 🙂

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  7. Lebendig geschrieben, das macht Spaß. Wie nur immer so viele Ideen entstehen können, faszinierend!
    Die literarischen Bezüge finde ich nun sehr spannend, ich hätte mal wieder keinen gewusst. Aber somit kannst du dich und deine Kommentator/inn/en sich rühmen, etwas für die Bildung getan zu haben.
    Danke an alle!
    Fröhliche Grüße (nach der Sonntagsschule)!
    😉

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    • Ich bin von dem Shakespeare auch überrascht worden, lass mal stecken. Aber ja, du hast recht, das Spektrum ist wieder breit. Und ich hatte echt Spaß beim Schreiben und musste schwer kürzen 😁
      Liebe Grüße und schönen Abend dir!
      Christiane, sturmumtost (na ja) 😉

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  8. Die Wohnung einer meiner Freundinnen kann man als morbides Stillleben bezeichnen. Ich schlag ihr mal vor Vertreter solcher Art hereinzulocken. 😉 Sehr lustige Geschichte.
    Eine Anmerkung: Ich glaube „Brudi“ ist das neue „Alter“.

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  9. Klasse, liebe Christiane. Mit der Jugendsprache triffst du es auch ganz gut.
    Einen sturmarmen Abend, dir und dem Fellträger. Bei uns hält es sich bisher in Grenzen.

    Lieben Gruß
    Anna-Lena

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    • Hier ist der Sturm inzwischen da, hält sich aber noch im Rahmen. Die Kaltfront mit den starken Böen wird in ein bis zwei Stunden erwartet. Der Fellträger allerdings wollte gerade raus, nachdem er den ganzen Tag drin war. Also warte ich jetzt, ob er schnell zurückkommt. Sicher ist sicher.
      Freut mich, dass du Spaß an der Etüde hattest.
      Liebe Grüße
      Christiane 😁😼🍷👍

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      • Murphy hat sich nach der letzten Gassirunde schnell ins Körbchen verzogen, die Ohren wehten ihm ständig ins Gesicht 😆 .
        Pass gut auf den Fellträger und auch auf dich auf!

        Liebe Grüße,
        Anna-Lena

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        • Ich vertraue auf die Klugheit des Fellträgers, der in der Nacht tatsächlich zweimal draußen war und mich vorhin laut maunzend weckte: Ich muss jetzt ganz dringend rein, Sturm und Regen nehmen wieder zu. Kluge Katze.
          Ich weiß noch nicht, was der Sturm hier im Umfeld angerichtet hat, aber erst mal scheint er durch zu sein.
          Liebe Grüße am Morgen
          Christiane 😁😼🌬️☕🥐👍

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  10. Manchmal sind die seriösen Unternehmen oft die hartnäckigsten, wenn es um Mitgliederwerbung geht. Ich habe kein unheimliches Zimmer, aber einen laut bellenden Hund, das hilft meist auch ganz gut.
    Liebe Grüße
    Viola.

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    • Dann waren die Methoden der seriösen Unternehmen aber reichlich schräg. Ist egal, ist Geschichte, ist nichts passiert.
      Laut bellende Hunde haben so einen gewissen Nerv-Faktor, der manchmal sehr praktisch ist 😁
      Liebe Grüße
      Christiane mit Sturm

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    • Würde mich auch nerven. Ist da kein Gefühl für Sprache da, oder sind das (keine Ahnung) einfach nur davongaloppierende Hormone?
      Dass der Zwerg das nachmacht, ist auch klar. Seufz. 😉
      Liebe Grüße in den Norden – stürmt es sehr bei euch?
      Christiane 😁😼🌬️🍷👍

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  11. Tolle, irgendwie verrückt klingende Etüde. *g* Jugendsprachlich guter Versuch, aber in echt müßte da vermutlich noch viel Krasseres rein 🙂
    Das Enkelchen hats noch mit dem *Alter*, aber meine Tochter kannte Brudi auch schon und sagt, es käme aus der Rappersprache und dort findet man auch diesen Jargon, der in der ganzen jungen Szene verwendet wird.
    Ich fands toll, wie Du dieses Sprachproblem angegangen bist.
    Liebe Grüße aus deinem leicht böigen Tag von Bruni

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    • Solange es nur eine Phase bleibt … bei manchen befürchte ich, das geht nicht mehr weg 😉
      Offenbar ist sein Verhalten nachvollziehbar, Sprache hin oder her. Und das freut mich dann wirklich.
      Liebe Grüße in den Süden
      Christiane 😁☕👍

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  12. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 08.09.20 | Wortspende von BerlinAutor | Irgendwas ist immer

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