»Scha-hatz? Machst du mal bitte die Tür auf? Ich kann gerade nicht.«
Natürlich machte er die Tür auf. Natürlich! Selbst für Charlotte, eine Freundin seiner Frau, eine redselige und künstlich erblondete Person, die er an seinen großzügigen Tagen anstrengend fand. Und heute war keiner davon.
»Hallo, Paul! Na, wie geht es dir? Was machst du denn heute wieder für ein Gesicht, was ist denn mit dir los? Es ist doch Karneval!«
Falls sie auf eine Reaktion seinerseits gewartet hatte, wurde sie enttäuscht.
»Paul! Fasching! Alaaf! Helau! Spässken, Schabernack, Witz, Humor, hoch die Tassen! Schau nicht so, man könnte ja denken, das wären alles Fremdworte für dich?« Pause. »Hör mal, bist du krank? Du gehst zum Lachen aber auch wirklich in den K…«
»Hallo, Lotte, komm rein«, unterbrach er sie. Plötzliche Mordlust brodelte in ihm. »Ruth ist in der Küche.«
Umdrehen. Das Arbeitszimmer ansteuern.
Lotte schloss die Haustür und verschwand in der Küche. Sie nahm ihm sein Benehmen nicht übel. Er war halt einer, der die Zähne nicht auseinanderbekam, wie man so sagte, während sie dazu neigte, alles und jeden lang und breit durchzukauen. Worüber sollte man sich auch sonst unterhalten? Menschen waren doch so spannend!
Heute Morgen halfen auch der zweite und dritte Kaffee nicht, um seine Stimmung zu verbessern, stellte Paul fest, dessen Arbeitszimmer von dem halblauten fröhlichen Geschnatter geflutet wurde. Nun, er legte auch keinen Wert darauf, auf DIESE Betriebstemperatur zu kommen, wo aus Hirn und Mund nur noch Geplätscher drang. Das war kein Small Talk, das war schon Sprechdurchfall! Er musste hier raus. Frischluft. Dringend.
Er erhob sich und zog im Flur seine Jacke an, als Ruth den Kopf aus der Küche streckte. »Wohin gehst du, Schatz?«
»In den Keller«, gab er zurück. »Frag deine Freundin.« Und raus war er. Ruth sah ihm kopfschüttelnd hinterher und seufzte.
Quelle: Pixabay, bearbeitet von mir
Für die abc.etüden, Wochen 08/09.2020: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von René mit seinem neuen Zweitblog BerlinAutor und lauten: Schabernack, breit, erheben.
Ich gebe zu: Mir ist nicht nach Karneval, darin gleiche ich meinem missmutigen Protagonisten. Der liebt übrigens seine Frau aufrichtig und schon seit vielen Jahren, nur über die Auswahl ihrer Freundinnen verzweifelt er ab und zu insgeheim … 😉
„Plötzliche Mordlust brodelte in ihm. “ Ja, es kann schon sehr nerven, auf Karnevalsfeierwütige zu treffen… Ich finde, dein Protagonist ist sehr tolerant, wenn er zum Lachen in den sprichwörtlichen Keller geht und die anderen feiern lässt.
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Ich stelle es mir so vor, dass Lotte immer so ist, und an Karneval halt potenziert. Sein und ihr Naturell sind so verschieden, dass sie einfach nichts miteinander anfangen können.
Ich finde ihn auch tolerant, dasd er sich bemüht, seinen Unmut für sich zu behalten, aber seine Frau hat eindeutig eine schwierige Position 😉
Liebe Grüße, schönen Abend dir
Christiane 😁😼🍷👍
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Wie erfreulich, dass Paul und Lotte nicht miteinander verheiratet sind. Und wie schön für mich und Lotte, dass wir einander nicht kennen. Manchmal ist es schwer, Leute nicht zu erwürgen. Dabei hat deine arme Protagonistin ja gar nichts Todeswürdiges getan, und gegen die Todesstrafe bin ich sowieso. Aber – grrrrr. Schön geschildert hast du diesen Typ Mensch!
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Ich mag Lotte auch nicht besonders und wäre bestimmt nicht mit ihr befreundet. Paul hat dagegen mein Mitgefühl. Vielen Dank für die offene Parteinahme, liebe Elke 😉
Herzliche Grüße und einen schönen Tag/Abend!
Christiane 😁😼🌨️🍷
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Irgendwie trotz aller Muffeligkeit eine liebevolle Geschichte.
Und vielleicht hat Lotte ja wenn es darauf ankommt noch ganz andere Qualitäten.
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Sonst wäre Ruth, die Frau in der Küche, bestimmt nicht mit ihr befreundet. Lotte geht halt nur Paul mit ihrer Art gewaltig auf die Nerven 😉
Und ja, es ist eine liebevolle Geschichte darüber, wie man klarkommt, wenn es nicht leicht ist, und man nicht alles vollkotzen will (im übertragenen Sinne; Entschuldigung). Er bruddelt halt, würden dazu die Schwaben sagen (glaube ich).
Liebe Grüße
Christiane 😁🍷🌨️
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Ja, vielleicht. Das wäre dann eine neue Geschichte. Ich habe meinen Seidenschal ja auch brav beiseite gelegt. 😉
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Brodel, brodel… man stelle sich vor, jeder könnte alle unausgesprochenen Abneigungen oder Vorlieben als grüne oder rosa Wölkchen sehen. Nur mal für einen Tag. Ich wäre sehr gespannt, wie es nach dem Tag weitergeht. 🙂
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Du meinst, um wie viele die Bevölkerung danach dezimiert wäre? 😉
Jaha, sehr interessant 😎
Herzlich
Christiane 😁🍷😼👍
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Es gibt so Menschen die passen nicht. Mein Chef hat mal so ne Lotte und so nen Paul in ein Büro gepackt… da war nach ein paar Tagen auch eher Eishölle als Fasching. 😅 Ich finde Pauls Muffeligkeit sehr unterhaltsam.
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So ist es. Wenn man Paul morgens genug Kaffee gibt und er ein bisschen Ruhe hat, ist er der Liebste und Netteste … nur vielleicht bisschen wortkarg 😉
Ja, das eigentliche Problem ist ja, dass seine Frau und Lotte befreundet sind.
Danke für das gute Wort für Paul! 😁👍
Morgengrüße
Christiane 😀☕🥐👍
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Wie es wohl aussähe, wenn Paul mal aus sich raus geht und die anderen sich vielleicht damit schwer tun?
Raum für Spekulationen bietet deine Geschichte mal wieder zu Genüge.
Frische Aschermittwochsgrüße aus Süd!
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Die Frage ist doch, ob und wobei Paul aus sich herausgeht. Seiner Frau traue ich da viel zu, Lotte eher nicht. Ja, stimmt, Spekulation … interessant, danke! 👍
Liebe Grüße aus dem überfrosteten Norden
Christiane 😁☕🥐❄️👍
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Oh ja, da überkam mich ja auch schon die Mordlust beim Lesen… 😉 Herrlich, liebe Christiane, so lebendig geschrieben, dass es mich echt gruselte vor der erblondeten Dame.
Liebe Mittwochsgrüße
Nicole
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Die Lottes dieser Welt sind für viele Menschen rechtschaffen anstrengend, und ich bin keine Ausnahme 😉. Sie ist einfach, wie sie ist. Aber danke für das Gruseln, das wollte ich transportieren 😁
Liebe Grüße zurück
Christiane 😀☕🥐❄️👍
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Zwei spannende Typen von Mensch. Der eine quatscht gar nicht, der andere zu viel. Hätten die mehr miteinander zu tun, die würden miteinander/wegen einander leiden 😬
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Würden sie. Daher mein Hinweis auf Ruth, die Frau in der Küche, die alles abfängt. Na ja, zumindest das meiste. Wie so oft. 😉
Liebe Grüße
Christiane 😁☕🥐❄️👍
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Dein pragmatischer Muffel-Paul ist kein Einzelgänger – denn wie oft ziehen sich die Männer einfach zurück, wenn ihnen der Umgang mit den Frauen zu anstrengend ist, weil es natürlich auch bequemer ist. Wenn er endlich mal explodieren würde – vielleicht Salz in der Ehesuppe anstatt Gewöhnung. Ruth sitzt natürlich zwischen den Stühlen.
Im übrigen nervt das Stammtischgequassel oder wenn sie älter sind ,die ausführlichste Schilderung ihrer Wehwechen der Männer die Frauen genauso, da flüchten die auch gern in den Keller -:)))
Windiger lieber Morgengruß zu Dir, Karin
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Nee, ist er nicht, ein Einzelgänger, er ist verheiratet, und seine Frau spricht ja mehr … 😉
Und jupp, mit den Wehwehchen stimme ich dir durchaus zu, das kann extrem nerven, wobei: Sind Frauen da besser?
(Das Leben der Frauen teilt sich in drei Phasen: in der ersten reden sie über Sex, in der zweiten über die Kinder und in der letzten über die Krankheiten. Verfasser mir unbekannt, sinngemäß zitiert. Vermutlich trifft das auch auf Männer irgendwo zu.)
Ganz herzliche Grüße aus dem überfrosteten Hamburg auf dein Dach
Christiane, bei der draußen die Amseln Terror machen 😁☕🥐❄️👍
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Sehr schöne Pointe. 🙂
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Dass die doch eine*r bemerkt!!! 👍
Ich bin entzückt. Untertänigsten Dank.
Liebe Grüße
Christiane 😁☕👍
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Halbwegs aufmerksam Texte lesen kann ich noch – notfalls auch gerne im Keller. 😉
Sonst alles gut bei Dir?
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Solange im Keller das Licht gut ist (und es angenehm warm ist), kann man überall lesen 😉
Jo, läuft, ohne Highlights. Bin demotiviert, aber das ist nichts Neues. Und selbst so? 😏
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So siehts aus! 🙂
Bin ich auch, irgendwie habe ich heute (hoffentlich) mein Wochentief erreicht, danach gehts bestimmt wieder bergauf. Bestimmt. Ganz bestimmt. Ganz, ganz bestimmt. Aber so was von bestimmt … 😉
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Du kennst diesen Postkartenspruch mit dem Bäumeausreißen bestimmt?
Also: „Das Gras bitte! Das Gras!“ 😉
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Ich sehe in deiner Geschichte nur, dass er ein Sprechmuffel ist, d.h. er will sich nicht langatmig und immer wieder wiederholend über Frau Meier von nebenan unterhalten, er spricht nur, wenn er etwas Gewichtiges zu sagen hat.
Oder ist er aber auch Ehe- und Modemuffel, Sportmuffel, Morgenmuffel, Krawattenmuffel oder Sexmuffel?, wie der Duden noch als Beispiele vorschlägt?
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Paul ist glücklich und langjährig mit „der Frau in der Küche“ verheiratet, lieber Werner. So viel steht fest. Über alles andere habe ich mir noch keinerlei Gedanken machen müssen. 😉
Danke für dein Bemühen um den sprachungewillten Paul, er weiß das zu schätzen 😁
Liebe Grüße
Christiane 😀☕👍
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Zum Thema Karneval schreibe ich lieber nix, aber das von dir beschriebene Paar, das sich offenbar gegenseitig leben lässt, finde ich interessant.
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Ja, sie lassen einander leben. Mit allem Konfliktpotenzial, das nun mal vorhanden ist, ja 😁
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wundervoll beschrieben, liebe Christiane, wie der Muffelige die Redselige einläßt 🙂 Und der Sprechdurchfall, hach, was für eine tolle Wortschöpfung. Ich konnte es mir sooo gut vorstellen, wie es sich durch die Wand anhören muß *g*.
Die Pointe konnte einem doch gar nicht entgehen *grins*.
Sie passte so gut zu diesem Muffeltyp, den Du für Deine Geschichte erfunden hast, seine Ironie ist zum Schmunzeln schön. (Ich mag ihn)
Liebe Grüße von Bruni
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Liebe Bruni, ich mag den Muffeltypen auch sehr, weil ich so Menschen wie die Lotte auch nur schwer aushalte. „Sprechdurchfall“ ist dagegen leider nicht meine Wortschöpfung, Ehre, wem Ehre gebührt 😀
Sei ganz herzlich gegrüßt
Christiane 😁😼☕👍
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Auf jeden Fall passte es vorzüglich 🙂
Liebe Grüße durch Regen und Schnee von Bruni gen Hamburg
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Vielleicht ist Ruth sehr froh, dass sie die Freundin hat. Dann erträgt sie auch den Muffel. Ich finde es ja nicht verwerflich, gerne zu reden. Ich schweige zwar auch ab und zu und mag keine Karnevalsgemütlichkeit, aber das Reden und Lachen hat schon seine soziale Funktion. Es kann helfen, das Leben leichter zu nehmen. Und dann kann sie auch wieder mit dem Muffel vereint schweigen. Im Keller zum Beispiel.
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Ruth ist happy mit ihrer Freundin. Sie ist (auch) eine Kegelschwester und ziemlich durchs Ohr gebrannt. Aber/und sie liebt ihren Mann, muffelig oder nicht. 😉
Ich habe den beiden gerade eine Fortsetzung spendiert, vielleicht schaust du da auch noch mal vorbei? 😁
Herzliche Grüße
Christiane 😁☕🥐👍
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