Die neuen Nachbarn – Schreiben bei Jutta Reichelt, Tag 2

 

„Und beinahe wären sie nicht gefahren“, sagte Frances. „Ich habe ja zuerst gedacht, sie würde ihn umbringen, so hat sie geschrien. Oder er sie.“

Rosi schwieg. Schweigen hatte sich als vorteilhaft herausgestellt, wenn man wollte, dass die Frances weitererzählte. Was sie auch meist tat. Frances war die klassische Frau am Küchenfenster, das immer zur rechten Zeit einen Spalt offen stand – rein zufällig natürlich. Wer wissen wollte, was sich in der Siedlung tat, ging bei ihr vorbei, rief ihr ein freundliches „Wie geht’s“ zu und wartete. Selbstverständlich waren die neuen Nachbarn ein besonders beliebtes Thema, vor allem, da diese ihre Terrassentür schlossen, wenn sie die Frances bemerkten. Man musste die Frances nur spitz „Na ja, Südländer eben“ sagen gehört haben, um zu wissen, woher der Wind wehte. Wobei die Barbara neulich gewusst hatte, die Neuen wären aus Norddeutschland gebürtig. Vorgestellt hatten sie sich jedenfalls nicht, bei keinem aus der Siedlung, was sicher darauf schließen ließ, dass sie kein Benehmen hatten.

„Und der Knall! Fast ist mir das Herz stehen geblieben, so laut war der. Ich hab die ganze Nacht nicht geschlafen deswegen und immer gedacht, gleich kommt bestimmt die Polizei!“
„Wie, was, Knall? Polizei?“, stammelte Rosi und ärgerte sich, dass sie nicht besser aufgepasst hatte.
„Aber heute ganz früh, da habe ich sie dann gesehen“, beschloss Frances ungerührt ihre Erzählung. „Ihn und sie. Haben Koffer ins Auto getragen und sind ganz klammheimlich weg.“
Rosi nickte bestätigend und wagte eine letzte Gegenfrage. „Ja, aber wieso wären die beinahe nicht gefahren?“
„Ach, du hörst mir nicht zu! Bis später, Rosi, ich muss zu meinem Kuchen, der muss aus dem Ofen. Du kommst doch nachher zum Kaffee zur Barbara?“

Rosi starrte auf das geschlossene Küchenfenster. Sie würde zu Hause erst mal Anna anrufen. Vielleicht wusste die, was los war. Frances wurde langsam alt.

 

Schreiben bei Jutta Reichelt 2 | | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Heute geht es bei Jutta Reichelt und ihren Schreibanregungen um „Erste Sätze“ (hier klicken zum Nachlesen). Sowieso ein unerschöpfliches Thema.

Gemocht habe ich alle drei Vorschläge, die Jutta gemacht hat, und ich fand keinen einfach. Schließlich habe ich mich für den ersten Vorschlag entschieden, obwohl ich im Nachhinein denke, dass ich damit eigentlich in meiner Komfortzone geblieben bin (und es sind 300 Wörter, woher das wohl kommt? ;-)). Es hätte eine wilde Geschichte von Mord und Totschlag werden können, aber ich hatte null Lust, die aufzuschreiben – und schon gar nicht, wo ich annehme, dass morgen (morgen? Jutta, das könntest du in deinen Posts vermerken, wie lange wir Zeit haben) die nächste Schreibanregung ins Haus steht. Ich bin kein schneller Schreiber, ich mag mir Zeit nehmen und auf meinen Sachen herumbrüten. Dies ist für meine Verhältnisse schon fast ein Schnellschuss.

Also habe ich mich für die Beobachterin entschieden, eine neugierige ältere Nachbarin. Übrigens habe ich keine Ahnung, wirklich keine, was im Nachbarhaus passiert ist, nur dass alle noch leben.

Ich habe schon was von Alice Munro gelesen, aber an eine Frances erinnere ich mich nicht …

 

28 Kommentare zu “Die neuen Nachbarn – Schreiben bei Jutta Reichelt, Tag 2

    • Die Länge steckt ganz sicher drin, das glaube ich auch. Und ja, der Text ist noch ziemlich offen – vielleicht geografisch ein bisschen verortet, aber nicht zu sehr.
      Liebe Grüße, freut mich, dass du was damit anfangen kannst
      Christiane 😁🍷👍

      Gefällt 1 Person

    • Ich habe mir ja auch Mühe gegeben! 😀
      Herzlichen Dank, so soll es sein. 👍
      Ich habe wirklich keine Ahnung, was da los war.
      Liebe Grüße
      Christiane, leicht beschwingt 😁🍷👍

      Gefällt 1 Person

  1. Wahrscheinlich gestaltet sich das Leben wirklich sehr mysteriös und womöglich auch spannend, wenn man ständig in den Angelegenheiten anderer herumschnüffelt. Besonders das Ende gefällt mir sehr gut, wo man eigentlich nicht erfährt warum sie denn nun nicht gefahren sind 🙂
    Ich habe heute keine Lust mehr zum Schreiben. vielleicht werden es dann morgen eben zwei Texte. Irgendwie fühle ich mich gehetzt ……

    Gefällt 1 Person

    • Normalerweise heißt es ja immer, diese Sorte Menschen würden ihr eigenes ödes Leben mit fremden Federn aufpeppen. Oder aber sie wollen alles unter Kontrolle haben. Ein Leben, das nicht nach ihrer Maßgabe funktioniert? Undenkbar. Wird strengstens missbilligt.
      Ich habe sie eben studiert, ich bin bei Juttas heutiger Aufgabe raus. Gestern habe ich mich auch ein bisschen genötigt gefühlt, mal sehen, ob oder was ich heute mache. Es wäre ja auch noch eine Etüde offen. Eigentlich.
      Hab einen angenehmen Tag!
      Liebe Grüße
      Christiane 😀🌞☕🍪👍

      Gefällt 1 Person

      • Bei mir ist auch eine Etüde fällig, aber ich mag keine Corona-Geschichte schreiben und auch nix über den Frühling oder den Kontrast zwischen beiden. Vielleicht wird´s noch was …..

        Gefällt 2 Personen

        • Ich mag auch nicht, und ich habe das Thema auch gerade akut über. Irgendwie bin ich bisschen muffig heute.
          Aber draußen ist wunderschönes Wetter, wenn auch reichlich kalt. Winter im Frühling.
          Na, mal sehen.

          Gefällt 2 Personen

          • Bei uns ist es nachts kälter als es den ganzen Winter lang war, klar, weil die Blüten v.a der Obstbäume drei Wochen zu früh dran sind und jetzt erfriert wahrscheinlich wieder alles. Die Natur agiert derzeit ziemlich ekelhaft 🙂

            Gefällt 2 Personen

          • Ich habe noch keine Blüten en masse fallen sehen, und ich bin jeden Tag draußen. SAGEN kann ich dir, dass ich ein Gänseblümchen in einem Topf draußen hatte und mich gestern Morgen bei seinem Anblick der Fahrlässigkeit beschimpft und gedacht habe, dass es bestimmt hinüber ist. Nun, ich habe es trotzdem ins Zimmer geholt, und jetzt blüht es fröhlich weiter.
            Kleine Freuden mit oder ohne Corona, und ich glaube an die Natur, was das angeht, gerade im Kleinen. 🙂

            Gefällt 1 Person

  2. Knall? Ich schaue zu viel Tatort und erspare uns einen Vorschlag… ich war überrascht, dass du von Schnellschuss sprichst. Das liest sich doch sehr munter runter, da ist noch viel vorstellbar. Überhaupt hab ich da viele Bilder im Kopf…. lieben Gruß nach HH!
    😉

    Gefällt 2 Personen

    • Ach, weißt du, mir ist über die Zeit einiges über mein Schreiben klar geworden. Dazu gehört, dass ich so Sachen wie Zeitvorgaben („Ich sage euch drei Worte, und ihr bringt die in einem Text unter, los, ihr habt fünfzehn Minuten“) nicht ausstehen kann. Ich möchte dann vielleicht erst mal 15 Minuten aus dem Fenster starren oder um den Teich gehen. Ja, IRGENDWAS fällt mir immer ein, aber, Entschuldigung, ich muss das doch auch mögen dürfen.
      Von daher also: Natürlich liest es sich runter, und dass offen bleibt, was passiert ist (und ob überhaupt was) ist überaus gewollt. Ich schaue eher selten Tatort.
      Aber ich hätte es lieber gemocht, wenn ich nicht das Gefühl gehabt hätte, fertig werden zu müssen.
      Hab einen entspannten Tag im wilden Süden!
      Christiane 😁🌞☕🍪👍

      Gefällt 1 Person

  3. Ich mag deinen Text auch sehr, liebe Christiane – und entnehme den Kommentaren hier, dass ich vergessen habe etwas zu erwähnen, das ich für selbstverständlich hielt: Dass es keinerlei Zeitbeschränkung gibt und dass die Idee auch nicht ist, dass möglichst viele Personen möglichst viele Anregungen „verarbeiten“. Die Idee ist: Dass für möglichst viele irgendetwas dabei ist. Und diejenigen, die „nur“ am Wochenende Zeit haben, suchen sich etwas aus und wenn jemand in 3 Monaten dazu Lust hat, dann wählt sie oder er sich auch aus, was eben passt … Ich werde das morgen nochmal richtigstellen 😉

    Gefällt 1 Person

    • Hi, Jutta, schön! Danke fürs Richtigstellen, das hilft sehr und macht alles entspannter.
      Mir über möglichst viele Anregungen den Kopf zerbrechen möchte ich allerdings schon, von daher: Heute lasse ich aus, aber auf morgen bin ich schon sehr gespannt.

      Like

        • Na ja, seit ich selbst die Etüden hoste, bin ich ein bisschen zur Helikoptertante (nicht -mama) mutiert. Soll heißen, ich weiß inzwischen, dass es sich mit klaren Ansagen leichter schreibt, und Zeitangaben gehören für mich unbedingt dazu.
          Ach, ich bin schon gespannt auf morgen! 🙂

          Like

  4. Mal wieder eine gelungene Geschichte, liebe Christiane, die neugierig macht, auf Geschichten, die erzählen, was die Frances noch so alles in ihrer Umgebung entdeckt und daraus den allerneuesten Klatsch ersinnt …

    Liebe Grüße zur Nacht von Bruni

    Gefällt 1 Person

      • Im Dorf (heute gehört es zur Stadt SB), in dem ich aufwuchs, gab es auch so eine. Jeder wußte von ihr , kannte sie und die besonders Neugierigen fragten sie, ob es Neues gäbe 🙂

        Gefällt 1 Person

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.