Die Schreibblockade | abc.etüden

 

Schreibblockaden sind tückisch, und wenn die Ideen ausbleiben, ist man irgendwann verzweifelt. Nur so war es zu erklären, dass sie denken konnte, das Ding, das wie ein abgenutztes Reagenzglas aussah, habe sie gerade unmissverständlich angefunkelt! Sie griff danach, irritiert von ihrem plötzlich übermächtigen Wunsch, auch noch diesen Ramsch zu besitzen. Nur zur Inspiration, wie sie sich streng ermahnte.

„Was ist das?“
„Ist kaputt, Stopfen fehlt“, antwortete der Flohmarktverkäufer mürrisch, riss sich aber zusammen, weil sie ihm schon einen Schreibratgeber, einen überteuerten Bildband und eine Porzellanschale abgekauft hatte. „Nehmen Sie geschenkt. Warten Sie, ich habe irgendwo Originalverpackung.“

Gegen Abend untersuchte sie das quadratische hölzerne Kästchen mit Fächerunterteilung, am Rand eine Aussparung für das Reagenzglas. In jedem Fach lag ein Beutelchen: Muschelstückchen? Nudeln? Steinchen? Holz? Buchstaben? Sie vergaß ihren Verdruss.

Vorsichtig befüllte sie das Glas mit kleinsten Portionen der geheimnisvollen Ingredienzien und hielt es prüfend gegen die Abendsonne. Nichts. Hm. Neben ihr auf der Couch entdeckte sie ein weißes Katzenschnurrhaar. Einer spontanen Eingebung folgend warf sie es hinein und schüttelte das Glas erneut, um den Inhalt zu vermischen. Oh! Es funkelte sofort so grell, dass sie zunächst an eine Täuschung dachte.

„Stopfen fehlt“, erinnerte sie sich an die Worte des Verkäufers. Entschlossen presste sie den Daumen auf das offene Ende und kippte das Glas in die Horizontale, bis Was-auch-immer-plus-Katzenschnurrhaar ins Rutschen geriet und ihre Haut berührte. Beinahe hätte sie es fallen gelassen, denn es bildete sich transparenter Rauch, in dem sie zwei Figuren sofort erkannte. Sich selbst. Und ihre Katze.

Ihr ungläubiger Blick streifte den Deckel des Kästchens: „Das magische Reagenzglas. Geschichten aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.“ DAS hatte ganz sicher eben doch noch nicht da gestanden?! Gebannt beobachtete sie, wie sich aus dem Rauch eine Szenerie herausschälte und die Protagonisten zu agieren begannen.
Am liebsten hätte sie sofort zum Stift gegriffen.

 

abc.etüden 2020 26+27 | 365tageasatzadayQuelle: Pixabay, bearbeitet von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 26/27.2020: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal aus der Feder des Herrn Stepnwolf vom Blog Weltall. Erde. Mensch…und Ich. Sie lauten: Reagenzglas, übermächtig, vergessen.

Meine Zeiteinteilung und damit auch meine Online-Präsenz werden demnächst wohl wieder „normaler“. Bin noch nicht sicher, ob ich darüber mehr weine oder mehr lache … 😉

 

48 Kommentare zu “Die Schreibblockade | abc.etüden

    • Tja, Hilfe naht manchmal aus den ungewöhnlichsten Ecken 😼
      Und mit Fellträgern wird jede Geschichte einfach besser! 😉
      Freut mich, dass du sie magst – das Gegenteil hätte mich allerdings auch sehr gewundert …
      Liebe Grüße
      Christiane 😁⛅☕🍪👍

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  1. Und Katzenschnurrhaare helfen auch? 🤔
    Ich sollte doch wieder öfter auf Flohmärkte gehen… Was für eine magische Wirkung so eine Flohmarktentdeckung doch haben kann!
    Sehr schöne Idee!

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    • Leser*innen reichen mir, lieber Werner, die Mäuse reiche ich ungenutzt an den Herrn Fellträger weiter 😼😉
      Liebe Grüße
      Christiane 😁⛅☕🍪👍

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  2. Katzenmagie ist bei Neumond am wirksamsten, aber im Reagenzglas wohl auch. Wenn jetzt noch ein Tröpfchen Kaffee dabei wäre, würde sich die Magie sicher in Schreibwut wandeln 😀 😀
    LG Liane

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    • Euch allen ist der entscheidende Punkt bei der Geschichte noch nicht aufgefallen, jedenfalls hat ihn bisher keiner genannt.
      Kaffee würde ich in Bohnenform dazugeben, vielleicht auch zerstoßen … Hmmmm. 😉
      Danke für die Anregung!
      Liebe Grüße
      Christiane 😁⛅☕🍪👍

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  3. Aus meiner Sicht – na ja – vielleicht ein bisschen ungewöhnlichen – besteht das magische ja darin, WAS wir von uns in so einem Reagenzglas sichten – es hat für uns eben die einmalige Bedeutung. Und ja Katzen sind sowieso schon magisch an und für sich und meine (inzwischen längst verstorbenen sind immer noch in meiner Erinnerung – sogar die aus meiner Kindheit noch und ich spüre sie beim Schreiben immer noch auf meinen Schultern, auf dem Schoß oder längs auf dem (damals noch breiten) Bildschirm (der Schwanz hing immer rein ins Bild).
    Die Schreibblockade von der Du sprichst kenne ich bislang noch nicht – aber ich fürchte sie.

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    • Mit deiner Einschätzung von „magisch“ kann ich gut leben. 😁
      Und Katzen hinterlassen Spuren im Leben, wie alle Fellbegleiter, das ist so, wenn mensch es zulässt …
      Freut mich, dass dir die Geschichte gefällt 👍
      Liebe Grüße
      Christiane 😁⛅☕🍪👍

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  4. Im Falle jeglichen literarischen Schaffens ist es sogar ziemlich vorteilhaft, wenn der „Stopfen fehlt“, will sagen: Schreiben mit Stopfen funktioniert nicht. 🙂 Ich merke das derzeit leider gerade selbst.

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    • Bei mir ist es oft so, dass irgendwas „ausgären“ muss, damit ich wieder was verzapfen kann, das ich selbst für von Wert halte. Unterdessen kann es helfen, die eigenen Ansprüche auch mal zu unterlaufen. Ich meine, abgesehen von der Idee, die ich toll finde, werde ich mich an speziell diese Etüde später erinnern? Wenn ich sie nicht irgendwo einbaue oder weiterverwende, eher doch nicht …
      Liebe Grüße
      Christiane 😉⛅☕🍪👍

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    • Na ja, es gibt bestimmt noch andere Möglichkeiten, eine Schreibblockade loszuwerden, aber wenn man schon mal ein ungenutztes funkelndes Reagenzglas zur Verfügung hat … 😉
      Liebe Grüße
      Christiane 😁☕🍪🌼

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  5. Eine Geschichte, so richtig nach meinem Herzen, liebe Christiane. So ein winziges bisschen erinnert es mich an Aladins Wunderlampe, bildschön bist Du auf den Punkt gekommen und ich lächle einen Moment selig vor mich hin.
    Ganz herzlich, Bruni

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  6. Pingback: Etüdensommerpausenintermezzo 2020 – Hinter den Kulissen | Irgendwas ist immer

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