Zustandsbericht November | abc.etüden

Es war einer jener griesgrämigen Tage, wo ihre Laune dem Wetter glich: grau. Schatten an der Wand, wo sie hinsah, und alle schnitten Fratzen.

»Wir sollten rausgehen und eine Runde drehen«, schlug ihr innerer Schweinehund schließlich vor. Das von ihm? War es so schlimm? Sie nickte zögerlich und holte die Leine.

Draußen war es kühl und ungemütlich. Sie stapfte gedankenversunken durch das Wäldchen und sah dem Schweinehund zu, wie er angelegentlich in den bunten Blättern schnüffelte und stöberte und sich einsaute.
Eigentlich waren die vielfältigen Gelb-Grün-Brauntöne echt entspannend für die Augen. Die herbstlichen Modergerüche hatte sie als Kind schon geliebt. Und manchmal benahm sich der Schweinehund wirklich wie ein richtiger Hund.

Ihre Laune stieg ein winziges Stückchen – und sackte dann gleich wieder ab, als sie laute Motorengeräusche hörte. Holzfäller? Hier? Jetzt? Himmelarsch, hatte man denn nie seine Ruhe? Dann kam die Quelle ihres Unmuts in Sichtweite und sie musste unwillkürlich lachen: Laubbläser. Klar. Es war November und sie am Rand des Stadtparks. Manche Dinge änderten sich nie.

Sie schritt aus und hatte die Unruhe bald hinter sich gelassen. Es klarte auf, stellte sie überrascht fest, als sie die große Wiese überquerte. Vielleicht würde sogar die Sonne noch kurz rauskommen.

In der Mitte blieb sie stehen und hob das Gesicht zum erblauenden Himmel, verwurzelte sich mit einem Wimpernschlag, ließ allen Frust los und atmete tief durch. Ihre innere Schwärze verblasste kurz. Eine lächelnde Ruhe durchflutete sie und für einen langen, glücklichen Moment fühlte sie sich riesengroß, eins mit allem, federleicht, vogelfrei, heiter und gelassen.

Wenn letztes Jahr einer prophezeit hätte, dass sie sich schon bald danach zurücksehnen würde, dass Laubbläser und Weihnachtsvorbereitungen ihre Alltagssorgen dominierten, hätte sie ihm geglaubt? Unwahrscheinlich.

Sie seufzte und sah sich nach dem abgehauenen Schweinehund um. Es war, wie es war.
Und morgen war ein neuer Tag.

 

abc.etüden 2020 47+48 | 365tageasatzaday
Quelle: Pixabay, bearbeitet von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 47/48.2020: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Worte stammen dieses Mal von Ulli mit ihren Blog Cafe Weltenall. Sie lauten: Quelle, griesgrämig, stöbern.

58 Kommentare zu “Zustandsbericht November | abc.etüden

  1. Heute Regentag, da verbreitet Deine Etüde grad die richtige Stimmung life… Bei der Erwähnung Laubbläser ging es in mir grad ab, das wär grad eine Geschichte wert, diese „Handwerk-Belästigung“ der Ersatzhandlungen für Männer, ist mir immer wieder wieder eine Blutdruckwallung wert.

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  2. So einen Spaziergang werde ich nachher auch machen müssen. Mein Schweinehund hat sich glaub ich mit dem Computerkabel erhängt. 😅 Schöner lebensnaher Text. Gerade jetzt geht es wohl vielen ähnlich.

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  3. Gefällt mir sehr, Christiane. Besonders die Stelle, wo sie „In der Mitte“ stehenblieb und .. „sich mit einem Wimpernschlag verwurzelte“ Das kenne ich so gut! Und plötzlich ist alles wie es sein muss, ich bin gesund und stark und lebendig wie ein Baum, und nichts, scheint mir dann, kann mich wieder aus dieser meiner Mitte vertreiben. Wie leicht und richtig die Welt dann zu sein scheint!

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  4. „verwurzelte sich mit einem Wimpernschlag“ das hat mir auch besonders gut gefallen, aber wie ich sehe, bin ich da nicht die erste 🙂 Mir hat es allerdings vor allem sprachlich sehr gefallen.

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  5. Als ich in Deiner Etüde das Wort „Stadtpark“ las, wurde ich sofort mitten hinein zurückversetzt… und ich weiß nicht, ob Du die beiden dicht beieinander stehenden Mammutbäume kennst, in deren Stämme vor etlichen Jahren immer Federn gesteckt wurden. Gegenüber stand (steht) – ich glaube es war – eine Buche. Sie hatte dicke Äste, die aussahen, wie ein sich umarmendes Paar, bis ein Sturm ein Stück abgebrochen hatte…
    Daran musste ich unwillkürlich denken, als ich Deine Etüde las und nun frage ich Dich: Kennst Du diese Bäume aus dem Stadtpark und wenn ja, stehen sie noch dort?
    Liebe Grüße aus Nordfriesland nach Hamburg von Lilli an Dich.

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    • Nein, ich kenne sie nicht. Ich muss auch gestehen, dass Hamburg mehr als einen Stadtpark hat, und habe prompt den anderen gemeint 😉
      Tut mir leid, dass ich nicht helfen kann, ich war zwar letztes Jahr im Planetarium, aber näher bin dem Stadtpark dieses und letztes Jahr nicht gekommen.
      Abendgrüße 😁🌧️🍷👍

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  6. He! Dein Schweinehund und meiner könnten eventuell verwandt sein, oder? Manchmal hat er auch sehr positive Anwandlungen, da bin ich jedes Mal überrascht. Im Übrigen musste ich mich vorhin auch zwingen, mal rauszugehen, um etwas mehr Tageslicht zu sehen, und dann wars schön.

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    • Das ist es dann meistens. Gestern war es hier wirklich schön, aber heute regnet es schon den ganzen Abend Nachmittag mehr oder weniger. Und abgekühlt hat es sich auch. Ungemütlich. 🌧️
      Geht dein Schweinehund an der Leine? 😉
      Abendgruß, endlich 😁🍷👍

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      • Auf gar keinen Fall!!!
        Entschuldigung. Das musste ich vor allem anderen schreiben. Niemals! würde mein Schweinehund an der Leine gehen, das soll ich dir ausrichten.
        So. Ansonsten hat es hier heute geregnet, gestürmt, die Sonne hat geschienen und ab und zu ist alles gleichzeitig passiert. Eigentlich wars ganz nett. Dazu gabs ein Stück Käsekuchen, das hat die Lage nochmal deutlich verbessert. 🙂

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  7. Rausgehen und den Schweinehund so lange seine Gedanken-Stöckchen bringen lassen, bis er keine Lust mehr hat und Ruhe gibt, oder bis er im Unterholz verschwindet finde ich absolut das beste Mittel. Den Wimpernschlagmoment finde ich bezaubernd wie die anderen. Den Laubbläsern wünsche ich, dass die Haufen der Schweinehunde ihnen das Rohr verstopfen mögen ….

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  8. Was bin ich froh über meinen wahren Hund, der schon wie ein Trüffelschwein mit mir durch den Wald jagt. Kaum vorstellbar, wenn ich den inneren Schweinehund auch noch an die Leine nehmen müsste :-))) .

    Wirklich sehr schön und gerade so lebensnah geschrieben, liebe Christiane.

    Liebe Grüße, auch an die Fellnase!

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  9. Pingback: Der Schweinehund und der Leinenzwang | Stachelbeermond

  10. Witzig, letztens dachte ich bei einem Gang, die einen führen ihren Hund Gassi, ich meinen Schweinehund 🙂
    Liebe Christiane, bei allem, was uns in diesem Zeiten auch immer wieder nervt und frustig werden lässt, die Freude wohnt immer gerade um die Ecke, wenn die inneren Türen sich öffnen und die Sonne scheint auch hinter der Wolkendecke und den Nebelbänken, aber wem sag ich das.
    Ich wünsche dir von Herzen Tage mit leichtem Schritt und uns allen jeden Tag mindestens eine kleine Freude, du hast es uns mit dieser Etüde vorgemacht!
    Herzliche Abendgrüße
    Ulli (leider hat mir heute das Handy deine Etüde nicht angezeigt?)

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  11. Pingback: Fazit Textwochen 47.48.20, willkommen Adventüden 2020! | Irgendwas ist immer

  12. Eine Geschichte, in der ich mich problemlos wiederfinden kann, liebe Christiane. Meinem Schweinehund habe ich übrigens den Namen Karl-Heinz gegeben und seitdem kommen wir prima miteinander aus. 😉
    Hab noch einen schönen Sonntag!
    Liebe grüße
    Nicole

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