Von November und Ewigkeit

 

Briefe | V.

In die Berge sehnst du dich,
An das Meer, –
Und der Berg des Himmels
Mit seinen steilblauen Wänden:
Ragt er nicht ewig
Vor dir auf?

In die Berge sehnst du dich,
An das Meer, –
Und das Meer des Himmels
Mit seinem tiefblauen Spiegel:
Wogt es nicht ewig
Vor dir hin?

Wie ein Knabe
Träumst du von Bergen,
Träumst du von Meeren …
So wirf den Nacken doch zurück
Und habe mehr denn Berg und Meer –
Hab’ – Ewigkeit!

(Christian Morgenstern, Briefe. V., aus: aus: Einkehr, 1910, Online-Quelle)

Tief in den Himmel verklingt

Tief in den Himmel verklingt
Traurig der letzte Stern,
Noch eine Nachtigall singt
Fern, – fern.
Geh schlafen, mein Herz, es ist Zeit.
Kühl weht die Ewigkeit.

Matt im Schoß liegt die Hand,
Einst so tapfer am Schwert.
War, wofür du entbrannt,
Kampfes wert?
Geh schlafen, mein Herz, es ist Zeit.
Kühl weht die Ewigkeit.

(Ricarda Huch, Tief in den Himmel verklingt, aus: Herbstfeuer, 1944, Online-Quelle)

 

Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden,
in welchen meine Sinne sich vertiefen;
in ihnen hab ich, wie in alten Briefen,
mein täglich Leben schon gelebt gefunden
und wie Legende weit und überwunden.

Aus ihnen kommt mir Wissen, daß ich Raum
zu einem zweiten zeitlos breiten Leben habe.
Und manchmal bin ich wie der Baum,
der, reif und rauschend, über einem Grabe
den Traum erfüllt, den der vergangne Knabe
(um den sich seine warmen Wurzeln drängen)
verlor in Traurigkeiten und Gesängen.

(Rainer Maria Rilke, Ich liebe meines Wesens Dunkelstunden, 1899, in: Das Buch vom mönchischen Leben, aus: Das Stundenbuch, Online-Quelle)

 


Quelle: Pixabay

 

Noch eine Woche, dann ist der 1. Advent, dann starten die Adventüden, dann ist das Jahr gefühlt fast herum. Kommt gut und heiter in und durch diese neue Woche!

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40 Kommentare zu “Von November und Ewigkeit

  1. Wie Recht doch Morgenstern hat. Wem dient wirklich die Sehnsucht? Nur dem Seufzen. 😉
    So denke ich spontan , liebe Christiane, und lausche noch still den beiden anderen Gedichten hinterher.
    Liebe Grüße und dir eine gute Woche, Ulli ☕🍁❤️

    Gefällt 4 Personen

    • Der Morgenstern ruft dazu auf, nach innen zu gehen und die eigenen inneren Gestade zu entdecken, liest du das anders? Trotzdem habe auch ich Sehnsucht nach dem MEER, dem echten, ich war im Sommer zum letzten Mal an der Küste.
      Herzlich aus dem noch grauen Hamburg
      Morgenkaffeegruß 😁🌦️☕🥐👍

      Gefällt 1 Person

  2. Diesmal kann ich mich nicht entscheiden. Alle drei Poeme berühren unterschiedlich und zeigen verschiedene Sichtweisen. Ich teile die Sehnsucht nach dem Meer.
    Die Melancholie in Huchs Poem trifft tief ins Herz.
    Und Rilke kann sogar Dunkelheit aufmunternd beschreiben.
    Danke für die passenden November Poeme. Guten Morgen, Christiane 🍁🍂🍁🥐☕️☕️

    Gefällt 3 Personen

  3. Ricarda Huch – gemerkt, was für ein berührendes Gedicht (tatsächlich treibt es mir Tränen in die Augen, aber ich bin ja derzeit eh nah am salzigen Wasser gebaut🙈). Danke dir und Morgenkaffeegrüße und einen guten Wochenstart😊🌞🎈🌱☕

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      • Das WILL man ja auch nicht immer 😉 – wobei es dem Wehen egal ist …
        Ich finde den Link zu dem Horx-Interview, den Ulli heute gepostet hat, ganz klug – aber man braucht bisschen Zeit, sich einzuhören, ist kein 3-Minuten-Beitrag.

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      • Ich habe das andere Interview gelesen, vom Beginn der Corona-Zeit und fand die darin vermuteten Entwicklungen zwar sehr erstrebenswert aber nicht allzu wahrscheinlich. Leider sehe ich die meisten der prophezeiten positiven Entwicklungen nicht. Im Gegenteil werden die Spaltungen in verschiedenen Bereichen immer größer. Aber vielleicht kommt das ja noch. Bei Gelegenheit werde ich mir das Interview sicher anhören.
        .
        Unsachliche Nebenbemerkung (sorry Ulli) mich irritiert immer der Gleichklang von Horx und hoax. Ja, ich finde auch, dass Namenswitze primitiv sind 😉 🙂

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      • Bei diesem hier (44 Minuten Laufzeit) relativiert und ergänzt er einiges, auch zum Teil die von ihm vorhergesagten Entwicklungen. Der lebt in Ö, was ich auch nicht wusste …
        (Unsachliche Nebenbemerkung: War mir auch schon aufgefallen; als unpassend abgetan. Ja, primitiv. 😉 )

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  4. Das sind wieder einmal eindrucksstarke Gedichte! Die ersten beiden kannte ich noch nicht. Das Morgensterngedicht spricht mir direkt aus der Seele. Der Blick in die Wolken und den Himmel, darin ist alles enthalten. LG, Joachim.

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  5. Liebe Christiane,
    danke dir – ich kannte alle drei Gedichte nicht. Zwischen den ersten beiden mag ich mich nicht entscheiden: Irgendwie klingt bei beiden etwas an und dann auch wieder nicht.
    Mal sehen, ich werde sie nochmals lesen.
    Und den Rilke – den nehme ich mir mit.
    Liebe Grüße
    Judith

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    • Es ist ja so, dass einem nicht immer alles gleich gut gefällt. Manches springt einen an, anderes nicht. Ich bin schon glücklich, wenn es mit einem Gedicht funktioniert …
      Nachdenkliche Grüße zurück 😀

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