Von Dezember und Nacht

 

Abendlied

Die Nacht ist nieder gangen,
Die schwarzen Schleier hangen
Nun über Busch und Haus.
Leis rauscht es in den Buchen,
Die letzten Winde suchen
Die vollsten Wipfel sich zum Neste aus.

Noch einmal leis ein Wehen,
Dann bleibt der Atem stehen
Der müden, müden Welt.
Nur noch ein zages Beben
Fühl durch die Nacht ich schweben,
Auf die der Friede seine Hände hält.

(Otto Julius Bierbaum, Abendlied, aus: Irrgarten der Liebe, 1901, Online-Quelle)

Manche Nacht

Wenn die Felder sich verdunkeln,
fühl’ ich, wird mein Auge heller,
schon versucht ein Stern zu funkeln
und die Grillen klingen schneller,

jeder Laut wird bilderreicher,
das Gewohnte sonderbarer,
hinterm Wald der Himmel bleicher,
jeder Wipfel hebt sich klarer,

und du merkst es nicht im Schreiten,
wie das Licht verhundertfältigt
sich entringt den Dunkelheiten,
plötzlich stehst du überwältigt.

(Richard Dehmel, Manche Nacht, aus: Weib und Welt, 1896, Online-Quelle)

Traumwald

Des Vogels Aug verschleiert sich;
er sinkt in Schlaf auf seinem Baum.
Der Wald verwandelt sich in Traum
und wird so tief und feierlich.

Der Mond, der stille, steigt empor:
Die kleine Kehle zwitschert matt.
Im ganzen Walde schwingt kein Blatt.
Fern läutet, fern, der Sterne Chor.

(Christian Morgenstern, Traumwald, aus: Melencolia, 1906, Online-Quelle)

 


Quelle: Pixabay

 

Ja, auch zu Adventüden-Zeiten gibt es die Montagsgedichte. Ich werde versuchen, mich thematisch an die jeweilige Etüde anzunähern und hoffe, es wird mir gelingen …

Ist noch jemandem aufgefallen, nach welcher Melodie man den Bierbaum singen kann? 😉

Kommt gesund und heiter in und durch die Woche!

 

22 Kommentare zu “Von Dezember und Nacht

  1. Liebe Christiane, hättest du nicht erwähnt, dann hätte ich es nicht wahrgenommen, aber ja, der Mond ist aufgegangen. Eine sehr schöne Variante.
    Das Wort Frieden lässt mich seufzen. Geben wir nicht auf, ihn in uns zu auszuweiten, damit er es in der Welt kann. Du weißt ja, der Stein und die sich ausbreitenden Ringe.
    Liebe Grüße,
    Ulli, hier wird es langsam hell ☕⭐🙏

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  2. Ist hübsch, nicht? Mir fiel der Rhythmus beim Lesen auf, und ich dachte, oh, Moment … 🤔🌠
    Ja, Frieden fängt bei jedem selbst an, dann sieht und erfährt man ihn auch im Außen. Ansonsten ist er bestenfalls ein flüchtiges Glück.
    Hier wird es auch langsam hell, aber es sieht nach einem trüben, nasskalten Tag aus. Na ja.
    Gutes dir! 🌲🕯️⛅🌞
    Morgenkaffeegruß 😁☁️☕🍪👍

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  3. Das war 10 Abende lang das Einschlaflied nach den Bärengeschichten: der Mond ist aufgegangen…
    Wunderbar stimmig Deine heutigen Gedichte. Lieber Gruß an Dich von der noch etwas erschöpften Gromu Karin

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    • Guten Morgen, liebe Karin! Hab oft an dich gedacht und mich gefragt, wie es mit deinen Großmutterfreuden so läuft. Noch kannst du auch ganz easy in die Adventüden einsteigen: Heute war erst das zweite Türchen dran. 😉
      Erhol dich und komm gut in deinem adventlichen Alltag an! 😁
      Morgenkaffeegruß 😁🌲🕯️☕🍪👍

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  4. Mir wäre es auch nicht aufgefallen. Eine schöne Variante eines sehr schönen Liedes. Die Gedichte passen heute ganz wunderbar zusammen, die dunkle Zeit wirft Schatten, aber da sind noch Mond und Sterne, die leuchten. Schön.

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    • Ich stelle „meine“ Gedichte gern unter ein Thema, manchmal ist es leicht zu erkennen, manchmal nicht, manchmal verrenne ich mich auch, weil ich irgendwas so toll finde 😁
      Danke fürs Mögen! ❤️
      Morgenkaffeegruß, immer noch 😁☁️🕯️☕🍪👍

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  5. Liebe Christiane,
    danke dir – ich bin spät, aber besser spät als nicht …
    Mir hat es heute ganz besonders der Dehmel angetan. Dass das Dunkel die Dinge verstärkt und bilderreicher wirken lässt – was letztlich zu mehr Licht führt, das ist ein tröstlicher Gedanke.
    Herzlich
    Judith

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