Adventüden 2020 21-12 | 365tageasatzaday

21.12. – Weihnachten mit Familie | Adventüden

 

Sanna hatte es sich mit Kuscheldecke auf dem Sofa ihrer Mutter bequem gemacht und knabberte Lebkuchen. Sie war schon seit gestern bei Heide und würde bis nach den Feiertagen bleiben. Sannas Freund rieb sich wie jedes Jahr zwischen den Patchworksträngen seiner Familie auf.

Sie hatten weder Wichtel-Geschenke noch ein großes Weihnachtsmenü mit Braten, Semmelknödeln und Zimt-Käsekuchen vorbereitet. Es gab etwas Leichtes, das auch ihre vegane Schwester Luisa essen würde. Ihr Vater würde auch ohne fettes Fleisch einen Grund finden, sich nach dem Essen einen Gin oder etwas ähnlich Widerliches zu genehmigen.

Sanna verdrehte die Augen beim Gedanken an den bevorstehenden Heiligabend. Wenigstens war Luisa nicht mehr mit diesem nervigen Typen zusammen, der jede Diskussion mit seinen Themen dominierte. Das Tischgespräch war dadurch oft zu einer unangenehmen Schlittenfahrt mutiert. Dieses Jahr würden sie wieder als vierköpfige Kernfamilie Weihnachten feiern, auch wenn ihnen das eigentlich allen herzlich egal war. Sie taten es nur für Heide, die sich nie damit abgefunden hatte, dass es diese Kernfamilie schon lange nicht mehr gab. Die Eltern hatten sich vor über zehn Jahren getrennt, Sanna und ihre Schwester waren nie wirklich Familienmenschen gewesen. Luisa war wie ein Zugvogel und wechselte viel zu häufig ihre Partner, als dass sie diese jemals in ihre Familie hätte integrieren, geschweige denn die Familie mit Enkeln bereichern können. Auch Sanna hatte das nie vorgehabt.

Sie würden ohne Weihnachtsbaum und Lichtermeer um den Tisch sitzen, sich unterhalten, essen, trinken, der Vater würde das Etikett jeder Weinflasche studieren, als suchte er darauf das Geheimrezept für den Wunschpunsch, Heide würde gelegentlich Nebelschwaden negativer Stimmung versprühen, Luisa würde aus ihrem Blog zitieren wie aus einem Märchenbuch und regelmäßig unterm Tisch verschwinden, um ihrer Hündin Streicheleinheiten zu verpassen. Solange sie sich auf die Töle fixierte und nicht wieder auf den Minnesang irgendeines Idioten hereinfiel, war sie okay.

Autor*in: Lea     Blog: Kommunikatz
Diese Etüde hatte einen Vorläufer, in dem es schon Infos zu den Personen gab: hier klicken!

 

Adventüden 2020 21-12 | 365tageasatzaday
Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

 

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Etikett, Gin, Käsekuchen, Kuscheldecke, Lebkuchen, Lichtermeer, Märchenbuch, Minnesang, Nebelschwaden, Schlittenfahrt, Semmelknödel, Streicheleinheiten, Wichtel, Wunschpunsch, Zugvogel

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2020, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

 

44 Kommentare zu “21.12. – Weihnachten mit Familie | Adventüden

    • Lea schreibt es: Ihre Protagonisten tun ihrer Mutter einen Gefallen. Das haben sie offensichtlich schon lange geübt und sind gut darin. Ich vermute, dass sie mit sich allein auch nichts anfangen könnten, also haben sie sich mit den Gegebenheiten arrangiert.
      Ich glaube nicht, dass das so selten ist. 🤔😉
      Montagmorgenkaffeegruß 😁🌲🌥️☕🍪👍

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      • Das hast Du perfekt zusammengefasst, liebe christiane. Sie machen es, weil niemandem etwas Besseres einfällt, haben sich arrangiert und irgendwie geht der Trott immer weiter. Sicher täten sie gut daran, sich mal etwas wirklich Schönes zu gönnen, etwas wirklich Gutes zu tun und nicht immer nur aus Rücksicht und Konfliktvermeidung alles runterzuschlucken und mitzumachen, aber es mangelt halt an Ideen und alternativen.
        Heide, Sanna und Luisa heißen im echten leben anders und sind auch keine ganz exakten Abbilder der realen Personen, aber wer unter der verlinkten Vorgeschichte die Kommentare liest, findet schnell die autobiographischen Züge.

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        • Schön, das freut mich, dass ich es so verstanden habe, wie du es gemeint hast, liebe Lea! 😁
          Du weißt, dass du dich hier bei den Kommentaren jederzeit einmischen sollst und darfst? Schließlich ist es deine Adventüde! 😁
          Vielen Dank für die Überlassung der Adventüde und dass du das Jahr über mitschreibst. Ich komme immer gerne zum Lesen zu dir!
          Herzlichen Vormittagskaffeegruß 😁🌥️☕🍪👍

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  1. Pingback: Vom Schenken und allerlei Festlichkeit | Irgendwas ist immer

  2. Irgendwie sehr traurig diese Geschichte und doch war es in vielen Familien so – die jetzige Situation befreit sie zum ersten Mal davon – ob ihnen das dann aber gefällt?

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    • Nein, weil ich vermute, dass sie auch nicht allein sein wollen. Da ist es bequem und sicherer, alles auf die Mutter zu schieben und für ein paar Tage einen auf heile Welt zu machen 🤔
      Ich halte die Adventüde für ausgesprochen realistisch. 🙂
      Morgenkaffeegruß auf dein Dach 😁😺🌥️☕🍪👍

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  3. So oder ähnlich wird es wohl häufiger ablaufen….es ist sicher gesünder als eine Stimmung vorzugaukeln, die nicht existiert. Diese Adventüde ist so anders und so anders schön. Liebe Grüße, Barbara 🎄💫🎄

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    • Ja, eben. Ich halte diese Adventüde für sehr realistisch. Die Protagonisten haben dieses Jahr die Chance, sich zu fragen, was ihnen an dieser Veranstaltung eigentlich wichtig ist. Vielleicht begegnet ihnen ja Unerwartetes. 🎄🌟
      Morgenkaffeegruß zurück 😁😺🌥️☕🍪👍

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    • Genau. Und das nicht zu müssen, kann sehr befreiend sein. Oder sehr verunsichernd: Was ist eigentlich, wenn die anderen auf einen ebensowenig Bock haben? Was ist, wenn man das zugibt? Geht dann die Welt unter? 😉
      Morgenkaffeegruß 😁🌟🌥️☕🍪👍

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    • Bei diesen Protagonisten läuft bei jedem ein eigener Film 🤔. Das kann bedeuten, dass sie sich unter Druck (wie dieses Jahr) zusammenraufen und entdecken, dass sie füreinander doch wichtig sind, oder dass das Konstrukt auseinanderbricht und alle ganz gut ohne einander können. Eigentlich eine spannende Grundlage, um die Geschichte weiterzuspinnen. 😉
      Morgenkaffeegruß! 😁🌥️🎄☕🍪👍

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      • Ja, ich kann mir auch gut vorstellen, noch die eine oder andere Fortsetzung dazu zu schreiben. Bin selber gespannt, wie es wohl weitergeht, denn auch wenn Geschichten mit autobiographischen Inspirationen beginnen, lösen sie sich dann oft vom vorgegebenen Plot und entwickeln ein Eigenleben.

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    • Doch, ich glaube, interessieren tun sie sich schon füreinander, aber der irgendwie zwanghafte Rahmen blockiert sie ein Stück weit. Ohne das Weihnachtslabel wäre das Zusammentreffen viel netter und entspannter, schätze ich.

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  4. Traurige Geschichte, ja! So, wie sich das anhört, hilft hier auch kein Weihnachten mehr, es zeigt die enttäuschten Erwartungen und die Versäumnisse in der Familie nur noch stärker wie durch ein Brennglas.

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    • Die Adventüde zeigt Menschen, für die Weihnachten eine Konvention ist. Das ist schwer zuzugeben, weil Weihnachten in unseren Ländern so einen unglaublich hohen Stellenwert hat, aber es ist sehr ehrlich, und das finde ich unter diesen Umständen gut. Sie treffen sich, um der Mutter einen Gefallen zu tun, und machen es sich so nett wie möglich. Manchmal ist guter Wille schon viel 😉
      Herzlichen Morgenkaffeegruß 😁🌥️☕🍪👍

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      • Genau, und mit diesem doch irgendwie positiven Dreh möchte ich das Ganze auch verstanden wissen. Es ist alles nicht ideal und irgendwie hat wirklich jede der Personen ihren ganz eigenen Film und ihr eigenes Leben, aber dennoch halten sie auf eine sonderbare Weise zusammen und zerreißen als Kernfamilie nicht ganz. Vielleicht hängen sie insgeheim alle daran und geben es nur nicht zu.

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        • Doch, den positiven Dreh sehe ich auch. Sie kommen ja schließlich noch zusammen. Es könnte der eine oder die andere auch sagen: Eh alles egal, ich spar mir das Theater! – Das wäre dann wirkliche Resignation und noch viel trauriger.
          LG, Veronika

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  5. Gefällt mir sehr eine realistische Weihnachtsgeschichte ohne Flitter. Der riesige Zirkus der um Weihnachten gemacht wird, soll in vielen Fällen nur ähnliche Verhältnisse verdecken und schafft es doch nicht.

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    • Das sehe ich auch so. Und dann reißen sich doch wieder alle zusammen, weil Weihnachten ist, und träumen heimlich davon, wie viel schöner es wäre, wenn …
      Dieses Jahr werden viele die beste Ausrede ever haben, aus dem Zirkus auszusteigen. Man darf gespannt sein 🤔 … Da werden bestimmt auch einige Träume platzen, und das sehe ich immer mit gemischten Gefühlen 😢😉
      Vormittagskaffeegruß 😁🌥️☕🍪👍

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  6. Ich mag diese Etüde sehr. Nur, wenn man sehr viel Glück hat, ist Weihnachten ein großes Paradies. Die meisten haben eher kleines Glück, oder, wenn es gut läuft, Normalität mit weihnachtlichem Anflug. Insofern: Sehr realitätsnah, gar nicht traurig, sondern den Umständen entsprechend zivilisiert, alle reißen sich zusammen und haben vielleicht sogar das ein oder andere gute Gespräch miteinander. Oder gucken einen netten Film zusammen. Da gibt es schlimmeres.
    Morgengrüße! 😊✨☕🍪

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    • Wenn nicht gefühlt alle Medien diese Träume vom „großen Paradies“ verkaufen würden, wäre das ja auch okay. Aber wenn man ständig angehalten wird, dass es so toll zu sein hat (und es das natürlich auch sein wird, wenn man nur DAS RICHTIGE schenkt), steht man, stehen viele bewusst oder unbewusst unter Druck. Das wiederum ist fast nie gut … 😢🤔
      Ziemlich perfekte Zusammenfassung in meinen Augen, danke dir! 😁❤️
      Vormittagskaffeegruß 😁🌥️🎄☕🍪👍

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  7. Pingback: Weihnachten mit Familie – eine Adventüde (3 Begriffe in maximal 300 Wörtern) – kommunikatz

  8. Sehr überzeugend geschrieben. Und alle Wörter verbraucht, das nötigt mir jedes Mal Respekt ab!
    Und es stellt sich die Frage was passiert mit den Vieren in diesem Jahr, wenn Corona ihnen ein Strich durch die Gewohnheiten macht.
    Werden sie erleichtert sein? Oder sich sehnen?
    Hast du Lust uns das mitzuteilen, Lea? Im August war dieses Weihnachtsfest ja noch nicht so abzusehen…

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    • @Natalie: Lea schreibt in den Kommentaren, dass sie Lust hat, die Geschichte fortzuführen.
      Mich würde es auch interessieren, ob sie ihr Weihnachtsfest anders gestalten.
      Nachmittagskaffeegruß 😁🌟☕🍪👍

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  9. Klingt sehr realistisch. Traurig finde ich es gar nicht, denn schließlich kommen sie ja noch zusammen und wenn es nur dazu da ist einen Menschen glücklich zu machen. Vielleicht steckt etwas mehr dahinter, aber keiner traut es sich so recht einzugestehen.

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    • Stimmt, das schreibt Lea ja, dass sich ihre Protagonisten nur treffen, um der Mutter einen Gefallen zu tun. Und auch ja, ich halte es für sehr realistisch. 🤔
      Abendgrüße 😁🪔🌟🍷👍

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  10. Alle Wörter untergebracht – sogar den Zugvogel! Dabei muss man doch nur mindestens drei, oder habe ich das falsch verstanden? – Ich frage nur, weil die Kuscheldecke mich kratzt und mir vom Wunschpunsch schon ganz blümerant ist, so dass ich überall Wichtel sehe. Davon abgesehen, halte auch ich dies für ein Gruppenbild, in dem nicht wenige Familien sich wiedererkennen könnten.

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    • Man muss nur drei, darf aber mehr, da hast du recht. Aber es gibt immer wieder Schreiber*innen, die den Ehrgeiz entwickeln, alle Begriffe (sinnvoll) unterzubringen, was oft total toll ist.
      Das mit den Familien muss ich jetzt nicht mehr benicken, oder? 😉

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