Von Frühling und Wind

O wie ist es kalt geworden

O wie ist es kalt geworden
und so traurig öd und leer!
Rauhe Winde wehn von Norden,
und die Sonne scheint nicht mehr’

Auf die Berge möcht ich fliegen
möchte sehn ein grünes Tal
möcht in Gras und Blumen Liegen
und mich freun am Sonnenstrahl.

Möchte hören die Schalmeien
und der Herden Glockenklang
Möchte freuen mich im Freien
an der Vögel süßem Sang!

Schöner Frühling, komm doch wieder
Lieber Frühling, komm doch bald
Bring uns Blumen, Laub und Lieder
schmücke wieder Feld und Wald

(August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, O wie ist es kalt geworden, 1849, Online-Quelle)

Vorfrühling

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Er hat sich gewiegt,
Wo Weinen war,
Und hat sich geschmiegt
In zerrüttetes Haar.

Er schüttelte nieder
Akazienblüten
Und kühlte die Glieder,
Die atmend glühten.

Lippen im Lachen
Hat er berührt,
Die weichen und wachen
Fluren durchspürt.

Er glitt durch die Flöte,
Als schluchzender Schrei,
An dämmernder Röte
Flog er vorbei.

Er flog mit Schweigen
Durch flüsternde Zimmer
Und löschte im Neigen
Der Ampel Schimmer.

Es läuft der Frühlingswind
Durch kahle Alleen,
Seltsame Dinge sind
In seinem Wehn.

Durch die glatten
Kahlen Alleen
Treibt sein Wehn
Blasse Schatten

Und den Duft,
Den er gebracht,
Von wo er gekommen
Seit gestern Nacht.

(Hugo von Hofmannsthal, Vorfrühling, Erstdruck in: Blätter für die Kunst (Berlin), 2. Band, Dezember 1892, Online-Quelle)

Ein Frühlingswind

Mit diesem Wind kommt Schicksal; laß, o laß
es kommen, all das Drängende und Blinde,
vor dem wir glühen werden –: alles das.
(Sei still und rühr dich nicht, daß es uns finde.)
O unser Schicksal kommt mit diesem Winde.

Von irgendwo bringt dieser neue Wind,
schwankend vom Tragen namenloser Dinge,
über das Meer her was wir sind.

… Wären wirs doch. So wären wir zuhaus.
(Die Himmel stiegen in uns auf und nieder.)
Aber mit diesem Wind geht immer wieder
das Schicksal riesig über uns hinaus.

(Rainer Maria Rilke, Ein Frühlingswind, Februar 1907, in: Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, Gedichte aus den Jahren 1906 bis 1926, insel tb 98, 1953, S. 15/16. Online-Quelle, zur Interpretation)

 

Quelle: ichmeinerselbst

 

Ich warte auf den Frühling. Keine Frage, er steht auch hier in den Startlöchern, keine Frage, ich sehe in den Gärten die ganzen Frühlingsblüher und die Meisen (und nicht nur die) singen wie verrückt (und der Fellträger ist genervt). Aber dennoch ist es zu kalt. Ich hoffe, wir verlassen jetzt bald dauerhaft die Nachtfrostzone, ich wäre sehr dankbar dafür.

Ich war überrascht, als ich gesehen habe, wie viel von Hoffmann von Fallersleben vertont worden ist, muss aber auch zugeben, dass ich kein Fan des klassischen deutschen Liedgutes bin. Daher möchte ich euch noch eine andere Version ans Herz legen, und zwar eine von Achim Reichel, den ich gerade für seine Bemühungen um das deutsche Volkslied (nein, nein, ich meine das ernst) sehr schätze …

 

 

Kommt gut und heiter durch die neue Woche!

 

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44 Kommentare zu “Von Frühling und Wind

  1. Achim Reichel, ich mag ihn sehr! Seine Vertonungen sind einfach gut, einprägsam und oftmals sehr zu Herzen gehend. Ich glaube, Du hast ihn mir vor Jahren mal empfohlen, liebe Christiane.
    *Oh, wie ist es kalt geworden* kenne ich noch aus der Schule, aber das liebste der drei Vorfrühlingsgedichte ist mir das von Hugo von Hofmannsthal und darin der Vers

    Er glitt durch die Flöte,
    Als schluchzender Schrei,
    An dämmernder Röte
    Flog er vorbei.

    ist mir der liebste.

    Herzliche wärmende Grüße von Bruni an Dich.

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  2. Warum hat man eigentlich Nicht aus dem ersten Frühlingsgedicht von von Hoffmannstal die Nationalhymne gemacht? Wahrscheinlich, weil dann die wackeren Kicker der deutschen
    Elf damit schon vor dem Spiel völlig überfordert gewesen wären. 😉 Ich will’s mir gar nicht vorstellen😅
    Frühlingsgrüße aus Berlin von Rolf🌹🌸🌞

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    • Du meinst, die Singbarkeit durch Fußballer (oder Soldaten 🤔) wäre ernsthaft ein Kriterium? Mach mich nicht fertig … 😉👍
      Wir warten hier noch auf das Eintreffen des Frühlings, daher:
      Hoffnungsvolle Abendgrüße zurück 😁🌠🌼🍷🥨👍

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      • Nun, warum wohl, liebe Christiane? Man hört halt, wo er herkommt, der Achim Reichel. Oder höre nur ich das?
        Liebe vorösterliche Grüße. (Als ich gestern vom Corona-Test zur Pediküre eilte, sah ich Krokusse und Gänseblümchen – positiv eben. – Meine Sichtweise, nicht der Test!)
        Bleib gesund, und lass es Dir gut gehen! 🥐☕

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      • Ach. Neee, ich habe nur nicht in diese Richtung gedacht 😉
        Ja, natürlich, er ist bei Hamburg geboren und wohnt in Hamburg. Fällt mir halt nicht (mehr) auf … 😁
        Der Frühling scheint da zu sein, meine Amaryllis treibt, das ist mein Highlight zurzeit. 🌼
        Bleib du auch gesund!
        Morgenkaffeegrüße 😁⛅☕🌼🥐👍

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  3. Oh wie ist es kalt geworden… Das haben wir früher in der Schule gesungen. Bei diesen alten Liedern/Gedichten ist mir seltsamerweise Text und Melodie auch heute noch im Gedächtnis – scheinbar wichtigere Dinge habe ich hingegen vergessen.

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  4. Ich bin voller Bewunderung für die Dichtkunst von Hugo von Hofmansthal. Ich meine, echt jetzt, da passt ja wohl alles, jede Silbe, jeder Buchstabe sitzt wie eine perfekte Einlegearbeit. Boah. Nie im Leben würde ich sowas hinbekommen. Gaaanz große Kunst. Aber trotzdem ist mir der Rilke lieber. Tja. So isses. 🙂
    Die Vertonung gefällt mir übrigens auch, die läuft hier gerade.
    Nächtliche Grüße! 🙂

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  5. Mir gefällt das erste am allerbesten – und ich kann noch nicht mal sagen, weshalb das so ist. Das Lied höre ich mir noch an.
    Und deine Frühlingssehnsucht kann ich nachvollziehen.
    Grüße
    Judith

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    • Man muss nicht begründen, warum einem was gefällt. DASS dir eins gefällt, langt mir völlig. 😉
      Es ist inzwischen signifikant wärmer als noch am Montag. Ich bin ganz zufrieden, der Frühling bewegt sich in die richtige Richtung. 😁
      Abendgrüße 😁🌼🍷🥨👍

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  6. Danke dir, Christiane.
    Bei uns ist es heute noch mal richtig kalt gewesen – trotz Sonne, gegen den Wind hatte sie keine Chance. Als ich am See war, kam ich mir vor, als wäre ich am Meer.
    Abendgrüße und einen schönen Sonntag
    Judith

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