Vom Revoluzzen, Vaterland und Worten

Der Revoluzzer

Der deutschen Sozialdemokratie gewidmet

War einmal ein Revoluzzer,
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.

Und er schrie: »Ich revolüzze!«
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.

Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Straßen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.

Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Straßenpflaster aus,
zwecks des Barrikadenbaus.

Aber unser Revoluzzer
schrie: »Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!

Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehen,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Laßt die Lampen stehn, ich bitt! –
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!«

Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.

Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.

(Erich Mühsam, Der Revoluzzer, aus: Sammlung 1898–1928, Erster Teil: Verse, Fanale, Online-Quelle)

Ich hatte einst ein schönes Vaterland

3.

Ich hatte einst ein schönes Vaterland.
Der Eichenbaum
Wuchs dort so hoch, die Veilchen nickten sanft.
Es war ein Traum.

Das küßte mich auf deutsch, und sprach auf deutsch
(Man glaubt es kaum,
Wie gut es klang) das Wort: »Ich liebe dich!«
Es war ein Traum.

(Heinrich Heine, Ich hatte einst ein schönes Vaterland, aus: Neue Gedichte, Verschiedene, In der Fremde. Entstehungszeitraum: 1824–1844), Online-Quelle)

Worte

Worte sind wie Rettungsringe,
die dem Leben dienen;
auf den tiefen Grund der Dinge
kommst du schwer mit ihnen.

(Christian Morgenstern, Worte, aus: Melencolia, Berlin 1906, Online-Quelle)

 

Quelle: Pixabay

 

Ich habe mir lange überlegt, ob ich noch einmal Gedichte mit Zeitbezug (irgendwie ja doch) heraussuchen soll, und mich dann dafür entschieden. Man mag dazu stehen, wie man möchte, irgendwie berührt es uns alle, ob jetzt oder in der Zukunft.

Mühsams revoluzzenden Lampenputzer kenne ich seit der Schule, glaube ich. Ich habe viel darüber nachgedacht und ihn irgendwie immer gemocht … 😉

Kommt gut und heil (und harmonisch und so) in und durch die nächste Woche!

 

15 Kommentare zu “Vom Revoluzzen, Vaterland und Worten

  1. Die Zeilen von Tino Chrupallas Lieblingsdichter sind schon fast zu typisch für ihn. Also, für Heine, nicht für Chrupalla. 😉 Die gefallen mir naturgemäß sehr gut.

    Mühsams Lampenputzer war mir persönlich neu, der liegt für mich heute vorne. So wie seine Revoluzzer-Partei. 😉

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    • Ich mag den sehr, den Lampenputzer 😉. Vielleicht sollte ich erwähnen, dass ich die Gedichte schon am Freitag zusammengestellt habe … 🤔😉😏
      Stimmt, du hast ein Faible für Heine, ich erinnere mich. 🙂
      Montagmorgenkaffeegrüße 🥱☁️🌳🌻☕🍪👍

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  2. Auch ich kenne den Lampenputzer seit eh und je, genauso wie übrigens Tucholskys Lied vom bescheidenen Radieschen, das ich hier anlässlich der gestrigen Ereignisses vielleicht in Erinnerung rufen darf.

    Feldfrüchte

    Sinnend geh ich durch den Garten,
    still gedeiht er hinterm Haus;
    Suppenkräuter, hundert Arten,
    Bauernblumen, bunter Strauß.
    Petersilie und Tomaten,
    eine Bohnengalerie,
    ganz besonders ist geraten
    der beliebte Sellerie.
    Ja, und hier –? Ein kleines Wieschen?
    Da wächst in der Erde leis
    das bescheidene Radieschen:
    außen rot und innen weiß.

    Sinnend geh ich durch den Garten
    unsrer deutschen Politik;
    Suppenkohl in allen Arten
    im Kompost der Republik.
    Bonzen, Brillen, Gehberockte,
    Parlamentsroutinendreh …
    Ja, und hier –? Die ganz verbockte
    liebe gute SPD.
    Hermann Müller, Hilferlieschen
    blühn so harmlos, doof und leis
    wie bescheidene Radieschen:
    außen rot und innen weiß.

    Theobald Tiger
    Die Weltbühne, 21.09.1926, Nr. 38, S. 470,
    wieder in: Mit 5 PS.

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    • Aber gerne darfst du! Das kannte ich nicht, sonst hätte ich es bestimmt auch genommen. Herzlichen Dank für den Lacher zum sonst eher trüben Tag (ja, das Wetter 😉)
      Ich hab den Text übrigens optisch bisschen angepasst, damit er sich leichter lesen lässt.
      Montagvormittagkaffeegrüße 😉☁️🌳☕🍪👍

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  3. Grandios, Deine Auswahl, liebe Christiane, und ich kann mich gar nicht entscheiden, welches ich am liebsten mag.
    Der Lampenputzer ist göttlich gut und ach so richtig. Was nutzt denn alles Revoluzzen, wenn dabei Lebenswichtiges zerschmettert wird. Wo bleiben dann die lichten Gedanken?
    Und Heine sagts, was ich ständig fühle…
    Phrasen dreschen scheint leichter zu sein.

    Liebe Grüße auch noch zum Wochenbeginn von Bruni an Dich

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    • Phrasen dreschen ist leichter. Wahrheit ist meistens komplex, und damit schwer zu erklären 🤔😉
      Tucholsky lässt sich nicht auf vielerlei Arten lesen, das mag ich so an ihm …
      Auch dir eine gute Woche, liebe Bruni! 🧡
      Strahlende Frühherbstgrüße! 😁🌤️🌳🌻☕🍪👍

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  4. Wahrheit, ach ja, jeder sieht seine und möchte sie dem anderen einhämmern…
    Tucholsky, ein Name allererdter Güte, daran gibts nix zu rütteln.
    Liebe Grüße aus dem frühen Herbst, der bisher gnädig mit uns umgeht ⭐ ⭐ ⭐

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  5. Pingback: Sprechblasen, Gedankenverdreher – wortverdreher

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