Von Herbst und dem Wandel

Herbsttag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg Deinen Schatten auf die Sonnenuhren
und auf den Fluren laß die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gieb ihnen noch zwei südlichere Tage
dränge sie zur Vollendung hin und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern wenn die Blätter treiben.

(Rainer Maria Rilke, Herbsttag, aus: Das Buch der Bilder, 1. Buch Teil 2, S. 48, 1902 (Entstehungsdatum), Online-Quelle)

Wende

Heut liegt der Garten schon von gelben Blättern voll.
Da sinkt auf meinen Weg ein fast noch grünes nieder:
Das ist der Tod: ich seh ihn wieder
am Werk, das lautlos sich vollenden soll.

Die Berge hat der Nebel aus der Welt gebracht.
Noch gestern standen sie hoch vorm hellen
ganz blauen Himmel. Gold aus warmen Quellen
durchströmte sommerlich die Luft. Nun wird es Nacht.

(Richard von Schaukal, Wende, aus: Herbsthöhe (Nachweis), 1933, Online-Quelle)

Herbststille

Lautlos schwebt das Wolkendach im Äther.
Ist der Herbstwind schon zur Ruh’ gegangen?
Kein Gewild lauscht und kein Nachtanbeter
In den Schatten, die von Bäumen hangen.

Wachte außer mir noch eine Seele,
Ihre stillste Regung würd’ ich hören.
Flög’ ein Lichtstrahl nieder, ohne Fehle
Würd’ im Dorf sein Schwung die Ruhe stören.

Da, ein Schlag! ein zweiter, ihm verbündet,
Mit den Händen mein’ ich sie zu greifen.
Birnen fallen und ihr Schlag verkündet,
Daß die Früchte in der Stille reifen.

(Jakob Bosshart, Herbststille, aus: Gedichte, 1924, Online-Quelle – bessere Quelle und besserer Nachweis gesucht!)

 

Quelle: Pixabay

 

Ob es bei euch heute ein Feiertag ist oder nicht, kommt gut in den Tag und durch die neue Woche!

Einmal pro Jahr erlaube auch ich mir, „den Rilke“ zum Thema zu zitieren.
Ich liebe dieses Gedicht sehr, und endlich ist auch Hamburg in den kurzen Zeitraum der sonnendurchfluteten, wirbelnden, gelben, mit Blättern bedeckten Wege eingetreten … ❤

 

72 Kommentare zu “Von Herbst und dem Wandel

  1. hab auch du eine gute woche, liebe christiane!

    ich genieße heut den feiertag und hoffentlich auch noch a bisserl mildn herbst … und einen Rilke darf man doch eigentlich immer, oder?!

    grüße 🙋🍁🏵️🌞

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    • Es gibt Leute, die speziell dieses Gedicht hassen, weil sie in der Schule mit Interpretationen (oder so) gequält worden sind, liebe Pega. Ich könnte das jede Woche posten, da ich es so mag (also jede Woche im Herbst 😉), aber ich weise darauf hin, dass ich davon Abstand nehme 😁
      Dann wünsche ich dir einen gemütlichen Feiertag! Hamburg arbeitet, aber nächstes Jahr fällt der 31. ja dann in die Woche, dann kommen wir Nordlichter auch in den Genuss …
      Morgenkaffeegrüße 😁☁️☕🍪👍

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      • stimmt, klar, an DEM rilke kam kaum jemand vorbei … weiß gar nicht, wie das inzwischen an den schulen ist. höre hier und da von projekten, wo autorInnen ganz anders, offener, freier mit oberstufenklassen so arbeiten, dass die schülerInnen auch zum selbst-schreiben kommen und freude dabei haben, also eine andere, viel anregendere art des umgangs mit gedichten bzw. literatur … sind aber sicher einzelfälle, wo die lehrkräfte eben so drauf sind, dass sie überhaupt solch ein projekt initiieren …

        grüßle … 🙂 🦋🙋

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          • Ich nicht, wenn es in eine intellektuelle Übung ausartet, die alle anderen ausschließt: Wer schafft die meisten Andeutungen pro Zeile, und wer von der Leserschaft weiß sie zu goutieren und zu benennen? Da schüttelt es mich, sorry.
            Klar ist das etwas anderes, wenn man selbst schreibt 🤔😁
            Immer noch Grüße 😁🧡🌥️🍂☕🍪🍁👍

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        • Ich weiß nicht, wie restriktiv die Lehrpläne inzwischen sind. Ich vertrete immer noch die unpopuläre Ansicht, dass es nicht schadet, wenn man weiß, was ein Metrum ist und dass Rhythmus (und das Brechen von selbigem) auch in Texten als Stilmittel eingesetzt werden kann.
          Andererseits mochte ich den dazugehörigen Unterricht überhaupt nicht, was aber sicher auch mit den Lehrern zusammenhing 😉

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  2. Da ist er ja, der Rilke! 🙂 Und gut, wie eh und je. Seine Zeilen machen mich zwar immer ein bisschen … sagen wir: sentimental, aber das gehört irgendwie dazu. 🙂 Liebe Nicht-Feiertagsgrüße

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      • Wir im Norden sind feiertagsmäßig ja akut benachteiligt. Während in Bayern schon ein Tag frei ist, weil der Heilige Hias im Jahre des Herrn 892 an einem sonningen Oktobersonntag mal die Katze der Äbtissin Gudmunde von Rosenheim vom Baum gerettet hat, müssen wir hier um jeden Tag feilschen. Arg nervig! 😉

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        • Tja, die nüchternen Norddeutschen (charaktermäßig, nicht, was den Alkoholkonsum angeht). Irgendwas ist immer, weißt du ja 😉
          Wobei mein Fellträger die Sache mit der Katze unterstützen unterstützen würde, allein schon aus Prinzip, logisch. 😺

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  3. Was für eine schöne herbstliche Gedichtauswahl, die du da getroffen hast, liebe Christiane. Ich bin übrigens ein großer Fan von Rilkes Lyrik. Du hast also exakt meinen Geschmack getroffen. 😉

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    • Guten Morgen 😁👍
      Ich bin auch ein großer Fan, du wirst in meinen Montagsgedichten immer wieder auf ihn treffen, ich kann in nur in der Masse schlecht aushalten, irgendwann nervt mich die weihevolle Andächtigkeit, die er eben auch hat. 🤔😉
      Morgenkaffeegrüße über die Elbe 😁☁️☕🍪👍

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  4. Ja, den Rilke kenn sogar ich und das heißt mal was. So. Stimmt, ihr habt ja keinen Feiertag. Die spinnen, die Dschörmans. Hier in ‚The Länd‘ gehts heute auch gemütlich zu, werde jetzt mal zum Frühstück wanken…. Hmmm wasn da? Mal nen Kaffee hinstellen…. Also, dann mal nen schönen (Feier-)Tag!

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    • Brav, du hast also Deutsch in der Schule nicht immer geschwänzt? Ist auch schön, oder, also das Gedicht? 😉
      Dann danke fürs Auftauchen und happy Feiertag dir! 👍
      Vormittagskaffeegrüße 😁☁️☕🍪👍

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      • Ja, schön das Gedicht. Ich hab nie geschwänzt, aber an das Gedicht kann ich mich nicht erinnern… nach meinem Deutsch Abi hatte sich der halbe Kurs darüber gefreut, dass ein Gedicht thematisiert wurde, welches wir bis zum Erbrechen besprochen hatten… ich hatte aber ein anderes Thema gewählt, weil ich das Gedicht nicht kannte…. Und ich hab wirklich nie geschwänzt, etwas was ich bedaure, ich war viel zu ‚brav‘ …
        Kaffee sehr lecker, aber es regnet, nach dem finalen Sommertag von gestern! 🖖☕️🥨🥚☔️

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        • Aber immerhin musst du geistig stark abwesend gewesen sein, oder wie ist diese Sache mit dem Gedicht sonst zu erklären? 🤔😁
          Hier ist es heute trüb, aber das Wochenende war ebenfalls ziemlich sonnig, ich will also gar nicht meckern 😁👍

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        • Das kann leicht sein, ich würde vermuten, dass das oft vorkommt.
          Hast du übrigens gesehen, dass ich meine Etüde von vor zwei Wochen weitergeschrieben habe? Du hattest kommentiert … 😉

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          • Danke für den Hinweis, da werde ich nochmal nachlesen… ja, die Schulzeit, ich war die letzten Jahrgänge teilweise nur körperlich anwesend… von daher ist das immer wieder schön, Neues zu entdecken (gilt eben für mich). Gerade der von dir immer wieder genannte Max Dauthendey ist so eine Entdeckung (für mich).
            Immer noch: ☕️ 😂🤪☔️

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          • Stimmt, Dauthendey, bei dem muss ich auch bald mal wieder vorbei. 😉👍 Den habe ich auch erst so richtig vor ein paar Jahren entdeckt, obwohl ich einzelne Sachen schon länger kannte. Gerade für Herbst müsste ich bei dem fündig werden. Gute Idee! 🧡
            Immer noch: 🌥️☕🍪👍😉

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    • Kann ich verstehen. Das ist irgendwie eines von denen, die man nennt, wenn man nach einem Gedicht gefragt wird, nicht? 😉
      Vormittagskaffeegrüße 😁☁️☕🍪👍

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    • Ich vermute, die, die du magst, fallen unter das Urheberrecht. Das gilt in größerem Umfang auch für mich. Und bei den ganz Alten sind sehr viele sehr lange Gedichte dabei oder/und sehr viele sehr religiöse, was ich wiederum vermeide. 🤔😏

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  5. Nun lebe ich das erste Mal in meinem Leben in einem Bundesland in dem der 1.11. kein Feiertag ist und mag das sehr 😉
    Ich mag auch dieses Rilkegedicht immer und immer wieder.
    Dennoch sinniere ich, ob ich denn nicht auch den November mag, die stiller werdende Welt, die Nebel, das leise Fallen der Blätter und den Plumps der letzten Birnen und Äpfel. Doch ich mag das und ich mag auch die melancholischen Stunden. Und noch eins mag ich: den Gedanken, dass ich am Ende so strahlend bunt sein möge, bevor auch ich diesem Leben adieu sagen werde.
    Liebe Grüße
    Ulli

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    • Ich finde, dass jeder Monat eine typische Stimmung hat, die man sehr mögen kann, auch wenn sie vielleicht allgemein nicht so „beliebt“ ist. Ich finde es schade, dass die ernsthaften Winter- und viele Herbstgedichte immer nur mit Tod und Verfall assoziiert werden – und dass das immer so dargestellt wird, als ob es etwas Schlimmes sei.
      Je älter ich werde, desto wichtiger wird mir die Liebe, und desto weniger begrenze ich sie auf Menschen oder Tiere (zum Beispiel).
      Nachdenkliche Mittagskaffeegrüße 😁🌥️🍁☕🍪🍂👍

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  6. Also ich mag das Gedicht von Rilke gerne. Es hat eine ganze andere Stimmung als viele Herbstgedichte. Das von Bosshart finde ich aber auch spannend. Ich mag dieses Unheimliche daran.

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  7. Wer würde es nicht mögen, Rilkes Herbsttag-Gedicht. Ich liebe es sehr. Die anderen beiden bringen die herbstliche Stimmung auch sehr fein rüber und essage es wieder einmal, liebe Christiane: Du suchst ganz wundervoll aus, was Du uns dann präsentierst.

    Liebe Grüße aus dem feiertäglich stillen Allerseelen-Montag.
    Wenige km von hier weg ist schon Hessen und dort ist heute kein Feiertag. also fahren viele in ein dortiges EKZ und *vergnügen* sich in den offenen Geschäften 🙂

    Liebe Grüße aus dem herbstlichen Blätterwald von Bruni

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  8. Hab deine Gedichte erst heute gelesen, und das ist gut so. Denn sonst hätte ich Schaukals Bilder nicht nachempfinden können. Heute ist es genau, aber ganz genau so:
    „Die Berge hat der Nebel aus der Welt gebracht.
    Noch gestern standen sie hoch vorm hellen
    ganz blauen Himmel. Gold aus warmen Quellen
    durchströmte sommerlich die Luft. Nun wird es Nacht“.
    Wir sitzen in einer Regenwolke, es ist sehr sehr trüb und die Berge sind verschwunden. Aber auch das ist schön, man mummelt sich ein, zieht sich zurück. Ich mag das als November-Feeling. Ist so selten hier.

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