Erinnerungen, mütterlicherseits | abc.etüden

Ich seh uns noch vor dem Aushang stehen, mit dem sie Zeitzeugen suchten. Ostgebiete, Ostpreußen, Zweiter Weltkrieg, Flucht, Russenzeit, Vertreibung. Berichten, wie es wirklich war.

»Und?«, fragte ich meine Mutter und sah sie neugierig aus dem Augenwinkel an. »Bevor keiner mehr erzählen kann, wie es wirklich war, willst du bei so was nicht mal mitmachen?«

Meine Mutter war sonst immer eisern beherrscht, aber irgendwas daran (bestimmt nicht ich) hatte sie getroffen. Sie schluckte und schüttelte den Kopf. »O Gott, Christiane, die Wahrheit? Nein. Das kann man nicht erzählen.«
Und damals begriff ich. Das Kriegsende war mindestens ein halbes Jahrhundert her, aber sie wollte sich nicht erinnern, nicht erneut in jenen Abgrund steigen. Nicht freiwillig, um ihr Leben nicht. Und ich, ihre Tochter, war vermutlich ausgerechnet diejenige, die sie am meisten vor diesem Wissen schützen wollte.

Heute frage ich mich manchmal, was ich von meiner Mutter wirklich weiß, von ein paar biografischen Eckdaten mal abgesehen, und es ist weniger, als mir lieb ist. Ihre Familie? Tot oder im Krieg geblieben – ich habe Glück, meine Großmutter kennengelernt zu haben (sie sind 1948 zusammen in den Westen abgeschoben worden – in den Westen! Nicht nach Sibirien!), aber der Krieg war nie ein Thema.

Zweimal sind wir gemeinsam als Heimweh-Touristen nach Königsberg, heute Kaliningrad, gereist. Glaube ich ihr, sind wir in eine Art lebendiges Museum geraten, Motto: blühendes Ostpreußen! Die Storchennester auf den Telefonmasten! Klar, vieles war anders, aber vieles sah noch aus »wie früher«, nicht nur der Feuerlöschteich, in dem sie schwimmen gelernt hat, neben der Kirche, in der sie konfirmiert wurde. Sie zeigte mir die Küstenbäder und die Nehrung, und ich habe alles spontan begeistert ins Herz geschlossen.

Meine instinktive Verbundenheit mit der nordischen Landschaft hat mich immer gewundert, aber tja, Überraschung! Das ist wohl wirklich ein Teil meines mütterlichen Erbes …

 

abc.etüden 2021 46+47 | 365tageasatzaday
Quelle: Photo by Muesli on Unsplash, bearbeitet von mir

 

Für die abc.etüden, Wochen 46/47.2021: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt dieses Mal von Heidi mit ihrem Blog Erinnerungswerkstatt. Sie lautet: Museum, biografisch, erinnern.

Ja, sehr autobiografisch, vielleicht haben einige von euch ja ähnliche Biografien.
Wir waren damals Mitte der 90er unterwegs, meine Mutter meinte, später sei sie vielleicht zu alt zum Reisen 😉 Tatsache ist, dass derartige Reisen in den 2000ern nicht mehr empfohlen wurden, oder jedenfalls erheblich reglementierter, denn wir durften – und konnten – uns in unserer Freizeit (außerhalb des Programms, das es natürlich gab) relativ frei bewegen und machten mit unseren D-Mark einen russischen Taxifahrer glücklich, der uns durch die Gegend kutschierte und für uns dolmetschte 😉

 

81 Kommentare zu “Erinnerungen, mütterlicherseits | abc.etüden

  1. Ja, ich habe ähnliche Erinnerungen, war in den frühen 2000er Jahren mit Mann und Tochter und Schwiegermutter (alle drei in Südwestdeutschland geboren) in dem „lebenden Museum“ meiner siebenbürgischen Kindheitsjahre. Es war für mich wie eine Reise in ein fremdes, exotisches Land, an das ich nur noch punktuelle Erinnerungen hatte, obwohl baulich sehr wenig geändert worden war. Die in meinem Kopf gespeicherten Bilder stimmten mit den aktuellen raumzeitlichen Gegebenheiten nicht überein. Es tat nicht weh, überraschenderweise ließ es mich kalt und erreichte meine Emotionen nicht. Es war nichts als ein faszinierend fremdes Land, in dem ich zufällig bis zu meinem Erwachsenenalter gelebt hatte.

    Und Zeitzeugin sein möchte ich auch lieber nicht. Das käme mir vor, als wäre ich ein wildes Tier im Zoo. Ich weiß, es ist ketzerisch, aber vielleicht ist es besser, Vergangenheiten zu erlauben, vergangen zu bleiben. Daraus „lernen“ können Nichtbetroffene vermutlich ohnehin nichts, so wünschenswert ein solches Lernen aus fremden Erfahrungen auch wäre, zumal diese Erfahrungen ähnlich subjektiv sein dürften wie diejenigen, die „wir“ als (gespaltene) Gesellschaft gerade mit der Pandemie machen. Es gibt keine objektive Wirklichkeit. Und es gibt kein Wir.

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    • Meine Mutter ist mit dem festen Vorsatz hingefahren, die alte Heimat noch mal wiedersehen zu wollen, um sich zu verabschieden, denn schließlich war sie damals zwar froh „rauszukommen“, aber wäre es anders gekommen, wäre sie vermutlich nicht gegangen. Aber sie hatte abgeschlossen damit, sie hat immer nach vorn geschaut, und schon gar nicht der „Blick zurück im Zorn“.
      Ich bin nicht sicher, ob Zeuge zu sein immer mit dem Anspruch einhergehen muss, andere zu lehren. Für mich ist das zuallererst die Vergrößerung eines Wissenspools (auf der Kopfebene), und es ist bestimmt nicht leicht, Erinnerungen zuzulassen (auf der emotionalen Ebene). Natürlich ist das Erinnern subjektiv, aber auch das formt ein Bild.
      Doch, es gibt „wir“ und „uns“. Nur gesamtgesellschaftlich ist es nicht, aber auch das ist schon lange so, und momentan sind die Gräben furchterregend tief und die Rufer an den Ufern laut. Aber was, wenn nicht ehrliche Emotionen, überspringt sie? Ich weiß es selbst nicht. 🤔
      Danke fürs Teilen, liebe Elke. Einen guten Tag wünsche ich dir.
      Morgenkaffeegrüße 😀☁️🍁☕🍪👍

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      • das WIR braucht, um gefühlt zu werden, immer auch ein NICHT-WIR, es braucht die anderen, die nicht dazugehören. Es handelt sich um eine uralte Überlebensform des Menschen und anderer Tiere. Aus einem Gruppen-WIR ausgeschlossen zu werden, kommt einem Todesurteil gleich. Kranke Tiere, für vogelfrei erklärte Menschen, Exkommunizierte…. Die Angst vor dem Ausgeschlossenwerden ist eine Urangst und sehr wirkungsvoll, um Menschen bei der Stange zu halten. Ein Extrem-Beispiel: „Wollt IHR den totalen Krieg?“ – „Ja, den wollen WIR“.
        Heute spielt ein anderes Stück: Wollt ihr die totale Impfung? Schon schreit ein mächtiges WIR: JA! Wer nicht mitmacht, ist „Egoist“, nicht gemeinschaftsfähig, ihn sollen die wilden Tiere fressen.

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  2. nachkriegskind

    nun stand ich da als meiner mutter
    undankbares kind
    vollgestopft mit defiziten
    – hatte ja den krieg nicht erlebt
    – war keiner hungersnot begegnet
    – sah elend nie ins lähmende gesicht
    – sah keine brandbomben ins zimmer fallen
    – musste nicht vor den amis bis an die elbe flüchten
    – stand nie dem russen aug in aug gegenüber
    – wurde nie von unsäglichen kriegsängsten gequält
    – musste nicht als junger mann in den krieg ziehen
    – ging nie in französische gefangenschaft
    – musste nicht aus not beim bauern arbeiten
    hatte nur einen ehemals bekennenden nazi als nachbarn

    nun stand ich da als meiner mutter
    undankbares kind
    ich hatte doch essen auf dem tisch
    die gnade gottes der späten geburt
    war unfähig wahre not zu spüren
    es gab immer schlimmeres als mein leid
    nur meinetwegen zog der ärger ins haus
    wurde tragisch erlebtes mein erziehungsritual
    wurde not für mich für einen tag herbeigesehnt
    beklagen konnte ich mich nur still
    aber immer zu unrecht

    nun stand ich da – sprachloses kind
    und hatte meine angst und meine not und feinde
    die sie nicht kannte nichtmal ahnte
    denn hätte ich`s ihr gesagt wär alles nichts
    im angesicht der dramen die ihr herz besass
    doch ich so schrie ich stumm
    litt abends leis und träumte rachekämpfe
    ich sorgte mich um rechtes tun und wußte nur nicht wie
    an meinen schuhen klebten träume
    mit denen ich den weg nun trotzig selber ging

    nach jahren stand ich da – mit vielen fragezeichen
    wußt viel zuviel von rüstung, krieg, vertreibung
    von hitler, stalin, mussolini, mao, eichmann
    und daß ich ohne sie mit 80 millionen mehr benachbart wär
    sah über vietnam die napalmbomben fallen
    und bilder vom kz verschlugen mir das wort
    millionenfache flüchtlingsnot kam täglich nun per bild
    und machte etwas denken so bei mir:
    was sie mir wohl alles verschwiegen hat

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    • Oh, Himmel. Ich vermute, dass du ein paar Jahre älter bist als ich, wenn ich das so lese. Das kenne ich so nicht, ich hatte es nicht „unverdient gut“, weil ich die Wunden meiner Eltern nicht teilte, im Gegenteil, sie waren froh, auf der „richtigen Seite“ gelandet zu sein, und ich bin erst spät geboren worden, biografisch gesehen. Verstanden hat man mich allerdings trotzdem nicht unbedingt, beider Background war halt ganz anders. Aber beide haben sich zum Beispiel Mühe gegeben, mir zu antworten, als ich von der Schule kam und fragte: Wie konntet ihr das damals zulassen und welche Rolle habt ihr (und eure/meine Familie) dabei gespielt? Ob ich glaube, dass man mir die Wahrheit erzählt hat? Im Großen und Ganzen ja.
      Aber bei deinem Schlusssatz bin ich bei bei dir: Beide haben viel verschwiegen, weil es über ihre Fähigkeit ging, darüber zu sprechen, davon bin ich überzeugt.
      Danke dir.
      Nachdenkliche Morgenkaffeegrüße 🤔😀☁️🍁☕🍪👍

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    • genau so! Ja, sie haben ihr Leid geklagt, gegen das alles andere verblasste, aber ihre Schuld, ihre Verantwortung – die gab es nicht. Die mussten die Nachgeborenen mühsam unter dem Beton des Verschweigens hervorkratzen. Und heute wieder. „wann wird man je verstehn“.

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  3. Etüden zu dem Thema sind immer bewegend für die Kriegskinder- und Kriegsenkelgenerationen und eine ähnliche Familiengeschichte gibt es sicherlich häufig, auch bei mir.
    Den Teil mit der Sehnsuchtsreise kenne ich aus der eigenen Familie, die allerdings, abgesehen von den großen Eigenheiten der Landschaft mehr Verschwundenes als Bewahrtes offenbarte und kaum mehr mitgeteilte, wirklich tiefergehende Wahrheiten.
    Es gab zuviele persönliche Erlebnisse, die nicht nur schmerzlich zu erinnern wären, sondern auch einer Generation nicht zu erklären sind, die sich zur Unterhaltung entsprechende TV- und Kino-Filme voller Waffengewalt, Fluchtsequenzen, und obendrauf jede Form von Gewalt gegen Frauen und Kinder anschaut.
    Die Mutter einer Schulfreundin hat sich als Zeitzeugin gemeldet, ich habe ihre Videos gesehen. Sie hatte auch vorher schon uns als noch nicht ganz erwachsene Schülerinnen gegenüber wenig Probleme, über ihre Erlebnisse zu sprechen, ihr Zeugnis war eher eine Beschreibung der politischen Empfindungen der Jugend und der späteren Bombenangriffe als von persönlichen, traumatisierenden Gewalterlebnisse.
    Meine Schwiegermutter hat mir mehr über ihre Jugenderlebnisse erzählt als ihren eigenen Kindern. Vielleicht haben sie weniger gefragt, vielleicht standen auch die familiären Rollen im Wege, als sie junge Erwachsene waren, und nachher mit eigenen Familien „keine Zeit“ mehr dafür bzw. andere Interessenschwerpunkte.

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    • Gute Frage, die du da aufwirfst, wie man an junge Menschen herankommt, für die das alles nur „Fun“ ist. Es gibt Berichte aus KZ-Gedenkstätten, die genau das thematisieren. Ich denke, dass es nur über die Emotionen geht, von daher finde ich den Weg, den die Mutter deiner Schulfreundin eingeschlagen hat, sehr beeindruckend und richtig, auch wenn sie keine traumatisierenden Gewalterlebnisse schildert, das ist egal, alles hilft. Ich erinnere mich an meine um Fassung bemühte Mutter, die an einer bestimmten Stelle in Königsberg versuchte, mir zu beschreiben, wie sie sich beim Anblick verstümmelter Leichen im Schnee fühlte (nächtlicher Bombenangriff auf die Stadt).
      Kann nicht jeder, kann nicht jeder aushalten.
      Ich glaube, dass die familiären Rollen, wie du sie nennst, oft im Weg stehen. Meine Mutter war es unangenehm/unmöglich, mir zu offenbaren, was sie erlebt/durchgemacht hatte, mit Sicherheit aus guten Gründen.
      Hab Dank! 🧡
      Vormittagskaffeegrüße! 😁⛅🍁☕🍪👍

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  4. Grauen begreifen kann man erst, wenn man es selbst hautnah erleben mußte. Von Massenvergewaltigungen zu hören oder über die Napalmleiche einer Dreijährigen zu stolpern sind zwei verschiedene paar Schuhe.
    Der Satz deiner Mutter beinhaltet für mich auch dieses Wissen neben der Weigerung, es nochmals durchleben zu sollen beim Erinnern. Anders hätten eindrückliche Schilderungen bereits in der Urzeit ausgereicht, um nie wieder Krieg zu führen; doch übernehmen Gene offenbar nur heldenhafte Informationen in ihre Wissensbank, die sie als Instinkte weitergeben – und da liegt auch der Fehler im Bauplan: 95% unserer Menschheit sind unfähig, sozialbasierte Philosophien zu entwickeln. Leider ist es sehr schwierig, aus ihr auszutreten.

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    • Ja, das sehe ich inzwischen auch so. Wissen und Weigerung, und sie hat(te) alles Recht der Welt dazu – aber ich habe gebraucht, das zu kapieren, weil ich eben nicht betroffen war und es mir nicht vorstellen konnte/kann.
      Und ja, deine Schlussfolgerung übernehme ich auch. History will teach us nothing, von wem auch immer das Zitat stammt, denn scheinbar wiederholen wir unsere Fehler mit Inbrunst.
      Dir dennoch einen guten Tag! 👍
      Vormittagskaffeegrüße 😏⛅🍁☕🍪👍

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    • Nicht selten erleben wir die 5% nur als Verkünder von sozialen Bauplänen, sagen sie wüssten, wo der Fehler im Plan läge und sie die ultimative Lösung hätten. „Glaubt“ man ihnen, entpuppen sie sich oft genug als geschickt getarnte Aufrüster gegen die „Planlosen“, sind selber bald hilflos, weil …? der Plan fehlt. Aber dann sieht man es deutlicher als vorher: „Dieses Wesen“ hat offensichtlich insgesamt gar keinen „Bauplan“. Es taumelt als wilder Innenarchitekt durch Raum und Zeit und Ewigkeit. Und es bleibt offen, ob das nicht doch immer noch besser so ist. Wehe den „falschen Architekten“. Geschickt nutzten das Großsprecher, die dann von Volk, Vaterland, Heimat, übrigens auch als „sozialbasierte Philosophien“ reden. Wer Volk sagt „lügt“, wer sozialbasiert sagt muss schon zeigen, wie er 95% zur Sozialbasierung unfähige, sozial einbinden möchte.

      In der Theorie sind Theorie und Praxis gleich. In der Praxis nicht.

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      • Also: Deine Aussage war, das Du „den Fehler im Bauplan siehst“ und 95%…für unfähig hälst, sozialbasierte Philosophien zu entwickeln. Das nun genau halte ich für elitär-arrogant. Aber so wird ja schon seit 2500 Jahren gedacht. Ich denke, wir sind doch „aufgklärt“ um allenfalls zu sehen, das andere nur andere Philosophien und nicht keine haben…Alle kommen mit einem Philosophen-Gen zur Welt -will sagen: einem Drang sich die Welt zu bauen, bauen sie daher sehr unterschiedlich – WEIL? weil es keinen, oder keinen festen Bauplan sondern nur genetische-bilogische-geburtliche Geneigtheiten gibt: „Zwei Menschen-vier Welten / 20 Menschen-20 Weltenvortellungen“. Nun bestätigst Du meinen oben geäußerten Verdacht, indem Du 95% als asoziale Charaktere einstufst. Von hier aus ist es oft nicht weit …das Zepter in die Hand zu nehme und denen mal zu zeigen…

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        • Dazu kann ich lediglich schreiben: Du bestätigst meinen Verdacht, daß du mich falsch herum und gründlich mißverstanden hast. Ich meinte, daß sämliche 95% am Liebsten das Szepter führen würden wenn sie in die Verlegenheit kämen dies tun zu können und nur 5% es nicht tatsächlich selbst tun möchten, um der Welt zu zeigen, wo der Barthel den Most holt.
          Wenn du dies als elitär-arrogant ansehen möchtest, stehe ich dennoch dazu. Das elitäre Moment erklärt sich selbst durch die den kreatürlichen Elementen vorauseilende, philanthropische Haltung – ob man dies zwingend als arrogant ansehen muß, lasse ich im Raum stehen.

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  5. Meine Eltern haben andere nicht weniger traumatische Erfahrungen gemacht. Soweit ich das überhaupt weiß. Zu dem Thema fehlen mir ohnehin die Worte. Dein Text gefällt mir aber ausgesprochen gut und ich denke dabei, dass ich mir nicht sicher bin, ob ich zu dem Thema auch etwas schreiben könnte…

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  6. bewegend! ja, da ist eine ganze generation traumatisiert, glaube ich… die erlebnisse zu gravierend, als dass man darüber reden wollen würde. und die „kriegsenkel“ bekommen das zu spüren… jedes mal bekomme ich bei dem thema einen heißen kopf; vielleicht auch deshalb, weil ich mir nicht annähernd vorstellen kann, was und v. a. wie meine eltern alles erlebt haben.
    liebe grüße, mit kaffee!

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    • Stimmt, traumatisiert, absolut, siehe auch meine Antwort an Myriade. Danke für das Einbringen der Kriegsenkel-Thematik.
      Meine/unsere Eltern damals, das ist eins. Aber es kommen heute Menschen zu uns, die mit/vor solchen Erlebnissen fliehen/geflohen sind. Wie geht es denen, wie kommen die klar? Ich habe keine Antwort, aber ich denke oft daran …
      Vormittagskaffeegrüße zurück! 😁⛅🍁☕🍪👍

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  7. Ich verfolge diese Diskussion mit großem Interesse (Meine Etüde dreht sich ja auch um dieses Thema), habe aber im Moment nicht die Kraft, etwas dazu beizutragen. Danke an euch alle für eure tiefen Reflexionen und eure Offenheit!
    Stefan

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  8. Gut deine biografische Arbeit, Christiane, du wirfst wichtige Fragen auf. Ich hab gestern einen Dokumentarfilm gesehen, da ging es um die Nicht-Aufarbeitung der Franco-Zeit in Spanien. Opfer und Verwandte von Opfern organisieren sich, weil sie sich nicht mit dem Amnesie- (Amnestie)-Gesetz abfinden wollen, das allen Tätern, egal von welcher politischen Seite, Straffreiheit zuspricht. Vergessen – so lautet das nach Francos Tod verabschiedete Gesetz. Aber verordnetes Vergessen funktioniert nicht. Denn wenn die Selbstbetroffenen auch vergessen möchten – alles, was verdrängt wurde, wofür niemand die Verantwortung übernehmen wollte, erbt sich fort. es erbt sich fort und wirkt fort und quält die Nachgeborenen, bis es angesehen wurde. Täter und Opfer müssen sich wahrnehmen, müssen sich in die Augen sehen – dann beginnt die Katharsis, dann kann es aufhören.

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    • Weißt du, was ich bei diesem Kommentar als Erstes gedacht habe? Dass da die Aufstellerin spricht. Ja, nicht verdrängen, wahrnehmen, anerkennen, vielleicht entschuldigen, auf Augenhöhe begegnen, dann kann es aufhören.
      Danke dir. 🤔😏👍

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  9. Liebe Christiane, mir geht es sehr ähnlich mit meiner Mutter, sie erzählte wenig aus dem Krieg und wenn, dann waren die Geschichten immer ein bisschen anders, klare Bilder konnte ich so nicht gewinnen. Viel später hat sie sich eine Schreibmaschine gewünscht, um ihre Geschichte aufzuschreiben. Ich habe ihr eine geschenkt, aber irgendwann rief sie weinend an und sagte: „Ich kann das nicht!“ „Was kannst du nicht?“ „Ich kann die Geschichte nicht aufschreiben, ich muss dann nur noch weinen.“ Wer wäre ich gewesen sie überreden zu wollen? Also blieb es bei den bruchstückhaften, immer leicht veränderten Geschichten und meine Mutter wandte sich wieder ihrer Gegenwart zu.
    Herzliche Grüße
    Ulli

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    • Ja, da zerreißt es einem das Herz, nicht? Heute könnte man sie vor ein Mikro/Video/Handy setzen … Sprechen ist leichter als zu schreiben, aber das Weinen hätte sie sich damit auch nicht erspart.
      Ach, Ulli. 🧡
      Nachmittagskaffeegrüße 😏🌤️☕🍪👍

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  10. Bei uns wurde auch nie über den Krieg gesprochen, in den sie, die Eltern, mit hinein geschlittert sind. Ich habe es nie verstanden, bis ich viel später als Erwachsener ein paar Jahre im Iran verbracht und gesehen habe, wie 4 Hundertschaften an Revolutionsgarden eine ganze Stadt von 10 Mio Einwohnern terrorisieren konnten, wo die Lehrer den Kindern Waffen gezeigt und gefragt haben: habt ihr so etwas auch schon einmal zuhause gesehen? Folge: Verhaftungen.
    Und all das macht die Eltern sprachlos.

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  11. Ich bin mit den Geschichten der Kriegs- und bitteren Nachkriegsjahre aufgewachsen, weil meine Mutter – sie wurde samt ihrer sechs Geschwister und der Oma aus Sudetendeutschland vertrieben – sie uns tagtäglich zu allen drei Mahlzeiten erzählt hat. Nach meinen rebellischen Teenager- und Twen-Jahren war ich heilfroh, nicht mehr bei meinen Eltern zu leben, denn ich konnte diese sich permanent wiederholenden Geschichten in Endlos-Dauerschleife nicht mehr hören. Erst viel später begriff ich, dass dies wohl die einzige Möglichkeit für meine Mutter war, mit ihren Traumen aus jener Zeit fertig zu werden. Und ich bin nun dankbar dafür, denn diese Erzählungen haben meinen Blick für rechtsextremes Gedankengut und Nazipropaganda sehr geschärft, und mir ein gerüttelt Maß an Abscheu vor diesen Dingen wachsen lassen. Mein Vater, der mit den Seinen aus Ostpreußen geflohen ist, hat sich zeitlebens eher bedeckt gehalten, und nur wenig über jene düstere Zeit und seine Erlebnisse gesprochen. Vor etwa zwanzig Jahren haben die Beiden mal zwei Reisen in ihre jeweilige Heimat unternommen, aber sich nie so recht darüber geäußert. Ich vermute, sie waren enttäuscht über das, was sie gesehen und erlebt hatten…

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    • Ich vermute, je weniger man bei solchen Reisen erwartet, je unvoreingenommener man sein kann, desto weniger wird man enttäuscht. 🤔
      Klar, dass dir die Geschichten zu den Ohren herauskamen, denn du und deine Bedürfnisse seid dabei auf jeden Fall total zu kurz gekommen – klingt furchtbar und muss sehr frustrierend gewesen sein, wenn jemand nur in der Vergangenheit lebt, auch wenn es nicht nicht freiwillig passiert … 🤔
      Wärst du gern mitgefahren in die alten Heimaten deiner Eltern?
      Spätnachmittagskaffeegrüße 😁🍁☕🍪👍

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  12. Mein Vater wurde zusammen mit seinen beiden Geschwistern und seiner Mutter 1945 aus dem Sudetenland vertrieben. Seine Heimatstadt Mies (das liegt in der Nähe von Karlsbad auf heute tschechischem Staatsgebiet) hat er erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs besuchen können und sie kaum wiedererkannt.

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    • Konntest du dich mit ihm darüber austauschen? Wie ging es ihm damit? Warst du mit? War das ein großes Ding bei euch in der Familie?
      Abendgrüße! 😁✨🍷🍪👍

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      • sorry, dass ich mich mit Verspätung auf die Kommentare konzentriere. So richtig ausgetauscht haben wir uns nicht, aber er wirkte ein wenig enttäuscht, dass er seine Heimatstadt irgendwie anders in Erinnerung hatte.

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        • Hm. Meine Mutter hat sich gefreut, dass sie überhaupt noch etwas von früher kannte. Offenbar gehen die Leute mit sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen auf so eine Reise … 🤔😉
          Habs gerade kurz gesehen: Du hast genäht? 😁

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  13. Eine Etüde, die viele Gedanken weckt, liebe Christiane!
    Mein Vater hat sein Zuhause im Riesengebirge nie wieder gesehen. Sein Bruder und seine Frau fuhren einige Male in die alte Heimat und stellten sich den schmerzlichen Erinnerungen.
    Mein Vater blieb immer ein Fremder im Heimatort meiner Mutter, die er im Elsaß kennenlernte. Er war dort inzwischen in französischer Kriegsgefangenschaft und meine Mutter Krankenschwester.
    Beide hatten sie traumatische Erlebnisse und sie erzählten kaum davon. Still wurde mein Vater und immer stiller, je älter er wurde. Da es viele Fotoalben aus den Kriiegsjahren gab und ich ein neugieriges Kind, konnte ich mir mit Fragen und dem Ansehen der Bilder sehr vieles zusammenreimen…
    Meine Tante, die Frau des Bruders, wollte mit mir noch einmal nach Schlesien fahren, aber wir schafften es nicht mehr gemeinsam. Meine Lieblingstante starb.

    Mögen solch grauenvolle Jahre für niemanden mehr kommen, aber an wen, bitteschön, sollte ich meine Bitte richten???

    Liebe Grüße in die Nacht von einer müden Bruni

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  14. Interessant, eine Generation, die noch ein wenig berichten kann, aber schon nicht mehr viel.
    Viele haben hier ihre persönliche Geschichte mit eingebracht, finde ich spannend.
    Meine Vorfahren mussten allesamt nicht flüchten, aber die Opas waren ‚im Krieg‘. Da kenne ich Geschichten von den Daheimgebliebenen, von dramatischen Tagen, zerbombten Dörfern, Kleinkindern in Kellern, eben von den Daheimgebliebenen. Die beiden Opas haben wenig erzählt, bzw. ich habe nur einen kennen gelernt. Einer in Skandinavien, da musstmaßte es mir, der war wenigstens „nicht richtig“ dabei, aber weit gefehlt. Meine Norwegenreise hat auch dieses blinde Auge geöffnet – natürlich ohne konkret zu werden.
    Du schreibts: „Ich bin nicht sicher, ob Zeuge zu sein immer mit dem Anspruch einhergehen muss, andere zu lehren.“ Ich glaube, das ist es nicht. Ich würde vermuten, dass man seinen Nachfahren nichts lehren möchte, sondern die restlichen 20% seiner Identität zeigen will, die in Wahrheit vielleicht 50% sind. Ich könnte mir vorstellen, in einer neuen Heimat fühlt man sich seinen Kindern gegenüber nicht vollständig, nicht die ganze Wahrheit sagend, denn die alte Heimat war vielleicht auch positiv und das Bild sollte sich vervollständigen.
    Naja, nur ein paar Gedanken.
    Jetzt zum Tee und dem alten Weißwein. Müssen weg.
    Grüße.

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    • Das mit dem Zeuge sein bezog sich auf Elke, die sich dann vorkäme, als wäre sie „ein wildes Tier im Zoo“. Ich hatte das gar nicht konkret auf die eigene Nachkommenschaft bezogen gemeint, sondern wirklich nur als „Zeugnis ablegen“, für seine Geschichte ablegen. Wenn du das mit „Rest seiner Identität zeigen“ meinst, dann stimme ich dir zu. Ich hab die Geschichte überhaupt nicht für Männer gedacht, fällt mir gerade auf. 🤔👍
      Meine Mutter wiederum wollte mir ihre alte Heimat zeigen, sie war happy, dass ich mitgefahren bin und mich interessiert habe, und auch von meiner Seite aus war das mehr als nur Reisebegleitung sein, weil es ohne mich nicht gegangen wäre. 😉
      Genau, Weißwein wird leicht schlecht. Kann ich bestätigen. 😎
      Schönen Abend dir und Grüße in den wilden Süden! 😁☁️🍁🍷🍪👍

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