Von Menschlichkeit

Menschlichkeit

»Der grausamste Krieg – der menschlichste Krieg!
Zum Frieden führt er durch raschesten Sieg.«
Kaum hört’s der Gegner, denkt er: »Hallo!
Natürlich wüt’ ich dann ebenso!«
Nun treiben die beiden Wüteriche
Die Grausamkeit ins Ungeheuerliche
Und suchen durch das grausamste Wüten
Sich gegenseitig zu überbieten –
Jeder gegen den andern bewehrt
Durch zehn Millionen Leute,
Und wenn sie noch nicht aufgehört,
Dann wüten sie noch heute.

(Frank Wedekind, Menschlichkeit, Text für die »Elf Scharfrichter« (Wikipedia), 1901/02, Nachweis, Online-Quelle)

Dodona

Von Aegyptens Pyramiden
Bis zu Delphis Priesterin,
Bis zu Ganges’ Tempelfrieden
Herrsche einer Lehre Sinn:
Trost zu spenden, Schmerz zu lindern,
Licht zu wecken weit und breit,
Freiheit allen Erdenkindern,
Freiheit, Liebe, Menschlichkeit.

(Hermann Lingg, Dodona (letzte Strophe), aus: Gedichte, Dritte vermehrte Auflage, 1857, Online-Quelle)

Nur liebend ist dein Herz ein Herz

Was ist die Welt, wenn sie mit dir
Durch Liebe nicht verbunden?
Was ist die Welt, wenn du in ihr
Nicht Liebe hast gefunden?

Verklage nicht in deinem Schmerz
Des Herzens schönste Triebe!
Nur liebend ist dein Herz ein Herz,
Was ist es ohne Liebe?

Wenn du die Liebe nicht gewannst,
Wie kannst du es ermessen,
Ob du ein Glück gewinnen kannst,
Ob du ein Glück besessen?

August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Nur liebend ist dein Herz ein Herz, aus: Gedichte, 9. Auflage, Berlin 1887, Online-Quelle)

 

Quelle: ichmeinerselbst

 

Gedichte zu einem bestimmten Thema zu finden ist eins. Bei Weitem mehr zeitlichen Aufwand treibe ich mit der korrekten Quellenangabe, der ich mich mit Begeisterung und Angriffslust verschreibe: Mal sehen, ob sich dazu etwas finden lässt.

Daher danke ich für die Suchanlässe nicht nur Ulli, die den Lingg retweetet hatte, und wobei ich ganz besonders gebauchklatscht bin, dass ich herausgefunden habe, dass das eine letzte Strophe ist, sondern auch Karin, von deren Blog (privat) nicht nur der Hoffmann von Fallersleben stammt, sondern auch diese wunderbar sanfte Coverversion von Sting mit Fragile, auf der er selbst zu hören ist. Meine Empfehlung, wenn ihr Zeit habt.

Ansonsten gelten für mich gerade Brechts Zeilen aus den »Nachgeborenen«: Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist, weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!
Dennoch geht die Sonne auf und unter und scheint »über Gerechte und Ungerechte«, wie es so schön heißt. Die Blumen blühen, die Vögel singen, wer bin ich, das nicht zu würdigen, gerade ich? Es tut mir gut, auch wenn ich mich sprachlos fühle und es den Riss nicht heilt.

Passt auf euch auf und kommt gut in und durch die Woche.

 

 

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30 Kommentare zu “Von Menschlichkeit

  1. Wie schön und sinnreich wieder deine Auswahl, Christiane. Menschlichkeit – was ist das? dass wir lieben und uns frei zwischen Gut und Böse entscheiden können. Und entscheiden uns doch immer wieder für das Böse. Schlagen uns gegenseitig tot.

    Mir fällt dazu das Goethe-Gedicht „Das Göttliche“ ein, aus dem auch die Zeile ist, die du zitierst:
    „Es leuchtet die Sonne
    Über Bös’ und Gute,
    Und dem Verbrecher
    Glänzen, wie dem Besten
    Der Mond und die Sterne.“

    Es beginnt mit dem zum Poesiealbum-Spruch verkommenen:
    „Edel sei der Mensch,
    Hülfreich und gut!“

    Was ist also das Menschliche?

    Nur allein der Mensch
    Vermag das Unmögliche:
    Er unterscheidet,
    Wählet und richtet….

    Befähigt zum Guten seien wir durch das „ERAHNEN Höherer Wesen“, denen wir in einer Art PROJEKTION zu gleichen versuchen.

    Und wir verehren
    Die Unsterblichen,
    Als wären sie Menschen,
    Täten im Großen,
    Was der Beste im Kleinen
    Tut oder möchte

    Oder wie Iwan in Dostojewskys „Brüder Karamasov“ schlicht feststellt. „Wenn es Gott nicht gibt, ist alles erlaubt“.

    Gefällt 4 Personen

    • Danke für deine Gedanken und die Ergänzung, liebe Gerda. Mir war in dem Moment tatsächlich nicht bewusst, dass ich Goethe zitiere.
      Ich für mich bleibe dabei, dass wir zum Guten befähigt sind, dass es „Werte“ gibt, dass es guttut, sich daran zu halten … ✨🌹
      Karamasow ist in den Konsequenzen allerdings schwer zu ertragen. Wobei ich mich frage, ob es nicht auch noch andere wertschöpfende Instanzen geben kann, aber dann landen wir wieder bei der Kirchen-Diskussion, das möchte ich nicht. 🤔
      Nochmals vielen Dank!
      Mittagskaffeegrüße 😏☁️☕🍪👍

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      • Ja, das mit „Gott“ ist ein weites oft sehr düsteres Feld…..Ich habe jetzt das Gedicht von Lengg „Dodona“ nachgelesen, das sehr schön in diesen Zusammenhang passt. Dodona im Epiros war ja eine uralte Einweihungsstätte, wo „der Gott“ höchst persönlich aus der Eiche sprach. Eine Verwandtschaft mit der Oase Siwa in Ägypten (wo Alexander zum Pharao wurde) wurde schon früh behauptet: Zwei schwarze Tauben, dh Priesterinnen, aus Theben in Ägypten flogen hinaus, die eine nach Siwa, die andere nach Dodona, und stifteten einen Kult. Ich war an beiden Orten, die sehr besonders sind, aber die Stimme des Gottes ist nicht mehr zu hören …..

        Einweihung, nach Lengg, ist der Auftrag, das Licht der Liebe in der ganzen Welt zu verbreiten und die bluttriefenden Tempel abzureißen. Selbst der Tiere gedenkt er. Ein sehr schönes Gedicht, finde ich, so im Ganzen gelesen.

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      • Alexander war übrigens der einzige der vielen Eroberer Ägyptens, dem die Priester den Titel Pharao zusprachen. Dadurch war er kein Fremdherrscher wie die Perser, gegen die es ständig Auftände gab, sondern legitimer Nachfolger der Pharaonen: ein Friedensherrscher, da er im Einklang mit der Priesterschaft handelte und das Land entwickelte. Die Nachfolger Alexanders (Ptolemäer, nach dem Feldherrn Alexanders Ptolemäos), herrschten fast 300 Jahre in Ägypten, bis sie von den Römern besiegt wurden. (Kleopatra war die letzte Ptolemäerin)

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  2. und keiner ist frei von Schuld…

    *Auch der Zorn über das Unrecht
    Macht die Stimme heiser.*

    Nur liebend ist dein Herz ein Herz? Gibt es denn Herzen, die gar nichts lieben können? Das frage ich mich allen Ernstes und komme zu keinem wirklichen Ergebnis. Gäbe es einen, der nichts und niemanden liebt, wäre das dann ein Mensch? Ein menschlicher Mensch? Die Menschlichkeit kann so schnell vergessen sein bei dem, dem Unrecht geschieht…

    Frank Wedekinds Worte gefallen mir sehr, liebe Christiane!
    Sie treffen Zeile für Zeile und ist es nicht wirklich so, daß Grausamkeit Grausames erzeugt? Und nichts anderes?

    Nachdenkliche Grüße zum trüben Morgen von Bruni an Dich

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  3. Liebe Christiane,
    danke dir.
    Mir gefällt Dodona sehr – und ich verstehe das auch als einen Auftrag: Trost zu spenden, Schmerz zu lindern und Licht zu wecken.
    Mit der Musik habe ich gerade viereinhalb Minuten Pause gemacht.
    Sonnige Grüße zu dir
    Judith

    PS: Und dein Foto – genial!

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  4. Wedekind hätte das glatt heute schreiben können, so aktuell fühlt es sich an. Ich hoffe aber, dass er nicht ganz Recht mit seiner Einschätzung ist und uns Fallersleben aus der Misere hilft, wenn andere erkennen, dass er recht hat.
    Gute, das war vielleicht etwas wirr, aber ich hoffe, du verstehst, was ich meine. 😉

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  5. Mir ist gerade eher weniger nach Gedichten und dauernd frage ich mich, ob ich das, was ich veröffentliche, eigentlich wirklich veröffentlichen sollte… aber es nicht zu tun, hilft auch niemandem. Deeskalation ist eine Kunst, das erkenne ich immer mehr. Ich glaube, wir hatten viel Glück in den letzten Jahren. Sehen wir, wo uns die neuen Regierenden hinführen werden.

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    • Wenn dir danach ist, dann schreib. Ich kann sagen, dass mich deine Sachen oft zum Lächeln bringen, weil ich deine Einstellung sehr mag, und gegen so ein Lächeln ist nie etwas zu sagen 😉🌹🌼👍
      Ich bin zurzeit nicht sehr optimistisch und habe nicht den Eindruck, dass sich unsere Regierenden mit Ruhm bekleckern und sich durch allzu viel Sachverstand auszeichnen. Ich hoffe, dass ich mich irre. 😏
      Nachtgrüße 😏☁️🍵🌼👍

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