Von Tierischem

Giraffen im Zoo

Wenn sich die Giraffen recken,
Hochlaub sucht die spitze Zunge,
Das ihnen so schmeckt, wie junge
Frühkartoffeln mit Butter mir schmecken.

Hohe Hälse. Ihre Flecken
Sehen aus wie schön gerostet.
Ihre langsame und weiche
Rührend warme Schnautze kostet
Von dem Heu, das ich nun reiche.

Lauscht ihr Ohr nach allen Seiten,
Sucht nach wild vertrauten Tönen.

Da sie von uns weiter schreiten,
Träumt in ihren stillen, schönen
Augen etwas, was erschüttert,

Hoheit. So, als ob sie wüßten,
Daß nicht Menschen, sondern daß ein
Schicksal sie jetzt anders füttert.

(Joachim Ringelnatz, Giraffen im Zoo, aus: 103 Gedichte, 1933, Online-Quelle)

Der Igel

Der Löwe saß auf seinem Thron von Knochen
Und sann auf Sklaverey und Tod.
Ein Igel kam ihm in den Weg gekrochen;
Ha! Wurm! so brüllte der Despot,
Und hielt ihn zwischen seinen Klauen,
Mit einem Schluck verschling ich dich!
Der Igel sprach: verschlingen kannst du mich:
Allein du kannst mich nicht verdauen.

(Gottlieb Konrad Pfeffel, Der Igel, aus: Poetische Versuche, Zweyter Theil, Erstes Buch, entstanden 1780, Online-Quelle)

Das Mondschaf

Das Mondschaf steht auf weiter Flur.
Es harrt und harrt der großen Schur.
Das Mondschaf.

Das Mondschaf rupft sich einen Halm
und geht dann heim auf seine Alm.
Das Mondschaf.

Das Mondschaf spricht zu sich im Traum:
»Ich bin des Weltalls dunkler Raum.«
Das Mondschaf.

Das Mondschaf liegt am Morgen tot.
Sein Leib ist weiß, die Sonn ist rot.
Das Mondschaf.

(Christian Morgenstern, Das Mondschaf, aus: Galgenlieder, 1905, Online-Quelle)


Quelle: Pixabay


Okay, wer die Etüden verfolgt, den wird das Thema dieser Woche jetzt nicht so wirklich wundern, und auch nicht, dass ich unbedingt schauen musste, ob es nicht doch ein Giraffengedicht von namhaften Dichtern gibt. Dass ich allerdings noch NIE die Gelegenheit gefunden habe, das Mondschaf zu zitieren, hat mich dann allerdings doch sehr gewundert. Und mit Nummer drei habe ich mich schlussendlich erwartungsgemäß schwergetan – da etwas zu finden, war nicht einfach.

Wie immer: Kommt alle gut und heil in und durch die neue Woche!


36 Kommentare zu “Von Tierischem

  1. Ich höre den Igel richtig schnaufen. Eines der verrücktesten Details ist wie laut Igel schnarchen, atmen, wenn sie sich sicher fühlen, in einem Balkon unter einem Tontopf versteckt, schlief einer mal bis sich die Balken bogen! Schöne Gedichte. Guten Start in die Woche!!

    Gefällt 4 Personen

    • Igel sind IMMER laut, meiner Erfahrung nach. Unglaublich, wie viel Geräusch die machen können, sogar wenn sie nur herumrascheln! 🧡
      Danke dir, auch dir eine gute Woche! 👍
      Morgenkaffeegrüße 🌞🌼☕🍪🦋👍

      Gefällt 1 Person

      • Stimmt. Vielleicht weil sie sich unter ihrem krassen Panzer-Stachel-Hemd so sicher und aufmüpfig unnahbar fühlen, und wenn alles zu viel wird, rollen sie sich ein und die Welt kann sie mal. Auf einen schöne heiße Tasse Kaffee und laute raschelnde Igel!

        Gefällt 1 Person

        • Sehr vernünftiges Igelprinzip! Hier war schon länger keiner mehr, den ich gehört hätte, aber bei dem Kaffee bin ich völlig bei dir! ☕🍪👍

          Like

      • Und so wichtig, wenn sie durch die Gegend zuckeln, und gleichzeitig oft so selbstvergessen im Moment … 🧡
        Abendgrüße ✨🍷🍪🦔👍

        Like

  2. auf jeden fall eine feine idee, lyrisches getier zusammenzutragen! auf meinem blog hatte ich auch damit begonnen, aber mangels zeitzeitzeit ist die herde im „bestiarium“ bislang sehr überschaubar …
    auch dir eine gute woche und herzlichste grüße von süd nach nord❣️

    Gefällt 2 Personen

    • Und vor allem: Die „üblichen Verdächtigen“ sind in diesem Fall die Herren Morgenstern und Ringelnatz. Fein, aber will man so viel von denen? Und wie hast du dein Bestiarium definiert? Lyrik, wo ein Tier im Mittelpunkt steht (und nicht nur eine Rolle spielt)? Auf jeden Fall eine spannende Idee, da gibt es bestimmt viele, und bestimmt sehr viele, die unter das Urheberrecht fallen … 🤔
      Vormittagskaffeegrüße in den Süden! 🌞🌼☕🍪🦋👍

      Gefällt 2 Personen

        • Stimmt, hab ich vergessen. Vielleicht wäre das auch mal ein Projekt 😉
          Ja, hoheitsvoll, das war das Wort, als ich das gelesen hatte, wusste ich, das Gedicht muss ich nehmen! 🧡
          Abendgrüße ✨🍷🍪🦒👍

          Gefällt 1 Person

      • eigentlich wollte ich vorzugsweise lyrische texte, die ein tier in den mittelpunkt stellen. aber es ist, wie du sagst: die üblichen verdächtigen usw., und so blieb es im prinzip beim „löwenreh“ und der södergran’schen „glückskatze“.

        hab dann angefangen, selber „zweizeilentiere“ zu machen, das war für mich sehr entspannend und lustig, ein spaß. einige wenige davon sind online.

        (hier, falls du schauen magst, der link zu den zweizeilern:

        Auf das, was manche Elche dichten, könnte man getrost …


        wenn du den link nicht hier haben möchtest, bitte einfach wegradieren.😉)

        Gefällt 1 Person

        • Aber selbstverständlich ist es mir recht, wenn du deine eigenen Gedichte hier verlinkst, liebe Pega, es ist mir eine Ehre! Ich kann nur jetzt nicht in aller Seelenruhe lesen kommen, aber ich vergesse es nicht.
          Danke für die Erklärung und den Link! 🧡
          Morgenkaffeegrüße ⛅🌼☕🍪🦋👍

          Gefällt 1 Person

  3. Oh großartig, eine Giraffe mit schön gerosteten Flecken und ein pragmatische Igel. Die etüdigen Giraffen machen sich auch gut. Das Tierische läuft 😇🙃

    Gefällt 1 Person

  4. Ringelnatz und die Giraffen im Zoo – wie er im letzten Vers auf ihr Schicksal hinweist – präzise und doch so poetisch – ganz wundervoll zart und einfühlsam. Ein irrer Dichter, der mich immer wieder *erschüttert*, oder besser gesagt, anrührt!
    Der Igel, oh ja, Herr Pfeffel, trifft haargenau den Punkt und ich grinse, weil er ja ach so recht hat.
    Das Mondschaf, wer kennt es nicht. Ich werde im Innern immer ganz still, wenn ich es lese….

    Eine wundervolle Auswahl mal wieder, liebe Christiane!
    Ganz herzliche Abendgrüße von Bruni an Dich

    Gefällt 1 Person

  5. Ich hab mich schön öfter gefragt, ob ein Dichter, wenn er es denn berufsmässig ist, wirklich über ALLES dichten will/muss/kann. Mir käme es nicht in den Sinn, etwas über Giraffen schreiben zu wollen… oder über Brunnen in fremden Städten… oder andere Dinge. Pinguine übrigens sind sehr faszinierende Tiere, wendig und elegant, aber sie stinken derart nach Fisch, dass eine nähere Bekanntschaft sich ausschließt. 😉 Abendgrüße! 🍷😊

    Gefällt 1 Person

    • Ich kann mir nicht vorstellen, dass er*sie immer will/muss/kann, na gut, kann vielleicht, aber mit welchem Ergebnis? Gedichte sind auch „nur“ Gedanken/Themen in einer besonderen Form (oder?), und entweder es ist ein Thema für dich oder nicht, so stelle ich mir das vor.
      Morgenkaffeegrüße ⛅🌼☕🍪🦋👍

      Gefällt 1 Person

  6. Liebe Christiane,
    ich kannte den „Igel“ nicht – und habe mich sehr gefreut beim Lesen. Musste sofort an das Märchen vom Hasen und Igel denken. Ich wünschte, hier wäre es auch hin und wieder so…
    Abendgrüße
    Judith

    Gefällt 1 Person

Die Kommentarfunktion ist geschlossen.