08.12. – Das letzte Mal | Adventüden

Die schweren Holzläden waren vor dem Fenster zugeklappt. Der Lärm von der Straße und die ungewöhnlich heiße Dezembersonne prallten dagegen. Das weiße Laken lag frisch gebügelt auf dem breiten Bett. Die Konturen des Kissens und der flauschigen Bettdecke wölbten sich unter dem weißen Betttuch. Die roten Vorhänge und Lampenschirme tauchten den Raum in ein gemütliches Dunkelrot. Schön waren die roten Rosen in der modernen Glasvase. Der Hausherr ist wohl auf Reisen, konnte man annehmen.

Sie betrat sachte diesen Raum und ließ die Stimmung auf sich wirken, setzte sich auf die Couch neben das Tischchen mit den Rosen. In der Wohnung daneben dudelte ein Radio, sie hörte leise Töne.

»Wie gut es ist, hier bei dir zu sein«, dachte sie. Es roch nach winterlichem Gemüseeintopf. Auf dem Tisch war für zwei gedeckt. Besteck, Gläser und weiße Stoffservietten lagen akkurat. Sie hielt noch den kühlen Haustürschlüssel in der Hand, mit dem sie das Haus betrat und die Wohnung aufschloss. Sie war niemandem begegnet. So wie immer. Nie begegnete sie einem Menschen in diesem stillen Haus. Der mit silbernem Lametta dekorierte Weihnachtsbaum im Eingangsfoyer stand wie jedes Jahr etwas verloren da.

Hier in diesem Zimmer trafen sie sich regelmäßig im Dezember. Ein paar Tage gehörte dieser Raum und die Zeit ihrer heimlichen Liebe. Sie dachte daran, wie sehr er ihre Zärtlichkeiten genoss. Sie erinnerte sich an seine Küsse auf ihrem Körper, an seine Liebeserklärungen.

Sie hatte lange nichts von ihm gehört. Sie würde heute sein Lieblingsessen mit ihm teilen. Ihm erzählen, wie sehr sie ihn vermisst hatte und wie wichtig die gemeinsame Zeit für sie war. Was er ihr bedeutete. Sein Platz würde leer bleiben. Von seinem Tod hatte sie vor einigen Wochen aus der Zeitung erfahren. Sie freute sich auf diese besondere Begegnung mit ihm. Heute. Das letzte Mal.


Autor*in: Petra Schuseil                    Blog: Totenhemd-Blog


Adventüden 2022 08-12 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Zum Thema Inhaltshinweise/CN/Triggerwarnungen in den Adventüden bitte hier lesen.

Nachdem viele Teilnehmer*innen und Leser*innen das Fetten der vorgegebenen Wörter als störend empfunden haben, wurde darauf verzichtet. In einem Text, der maximal 300 Wörter umfassen durfte, waren (mindestens) drei der folgenden fünfzehn Begriffe zu verwenden:

Adventskalender, Dezemberdilemma, Eintopf, Gebäckdose, Hefe, Lametta, Laubsäge, Liebeserklärung, Kreuzkümmel, Kulturschock, Sternenglanz, Sturz, Taschentuch, Tunichtgut, Weihnachtsputz.

Dieser Text erschien zuerst im Rahmen der Adventüden 2022, einem Projekt von »Irgendwas ist immer«.

 

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38 Kommentare zu “08.12. – Das letzte Mal | Adventüden

  1. Bittersüß. Welch Nachhall die Worte in mir hinterlassen. Da macht so ein Nerv PLING in mir und stimmt an die freudigen Sehnsüchte und tiefen Schmerzen die verbunden sind mit Erinnerung, Dankbarkeit für glückliche Stunden, Lust, Freude und Leid, Vergangenheit, Zelebrieren, Begreifen müssen, Loslassen – Die ganze Bandbreite der Empfindungen kriecht unter meine Haut.
    Dankeschön. LG Doro

    Gefällt 6 Personen

      • Guten Morgen, liebe Christiane. Ja, „sie“ freut sich :-). Danke dass ich heute dabei bin im Adventskalender. Vor allem durch dein heftiges Erinnern. Merci!!! Ja, diese Adventüde musste genau so sein. Und ich reblogge jetzt zu unserem Totenhemd-Blog.
        Ich freue mich aufs Lesen über den Tag verteilt und grüße herzlich mit Croissant und lecker Milchkaffee.

        Gefällt 3 Personen

      • Wunderbar, dann muss ich dich ja gar nicht mehr bitten, ein Auge auf die Kommentare hier zu haben, da es ja deine Adventüde ist?!
        Hab einen wunderschönen Tag, ich muss nämlich gleich zu einem Termin außer Haus … 🌧️🕯️🕯️☕🍪👍

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    • Guten Morgen liebe Doro, wie schön. Die ganze Bandbreite der Gefühle … irgendwie nebelig verdichtet. Hast Du schön konzentriert und noch einmal ganz anders auf den Punkt gebracht .. Danke dafür. Das freut mich.
      Einen schönen achten Dezember wünsche ich dir und uns. Herzlich aus Frankfurt. Petra

      Gefällt 3 Personen

  2. Ich bin mir ganz sicher, dass es nicht das letzte Treffen sein wird. Wer sich mit einer:m anderen so verbunden fühlt, lässt sich von der Vergänglichkeit und dem Tod nicht abhalten.
    Danke für diesen Text, der mich zwischen den üblichen Zeiten wieder ganz nah an einen geliebten Menschen gebracht hat.

    Gefällt 4 Personen

  3. Hat dies auf Totenhemd-Blog rebloggt und kommentierte:
    Heute öffnet sich das achte Adventüden-Türchen bei Christiane mit meiner Geschichte. Ich freue mich, dass ich dabei bin und schicke herzliche Grüße an die Hüterin der Etüden. Da steckt so viel Arbeit, Energie und Herzblut drin.

    Gefällt 2 Personen

    • Hallo und guten Morgen, ja, das ist schön, dass du alles vor dir siehst … ruhig und klar. Ich habe so einen Raum mitten im Hochsommer erlebt und wollte diese Atmosphäre in den Dezember adaptieren … und dann diese Liebe und Trauer im Herzen … seufz. Ja :-)). Herzlich. Petra

      Gefällt 1 Person

  4. Eine Geschichte, die mir nahe ging.
    Die Geliebte trifft sich noch einmal mit dem Verschiedenen…
    Ein wenig makaber oder doch zu verstehen?
    Bittersüß passt gut. Ich habe es in einem Kommentar gefunden, dieses feine Wörtchen, das wir eigentlich selten verwenden.

    Und es köchelt der Eintopf gemütlich vor sich hin… 🙂

    Toll geschrieben!

    Gefällt 3 Personen

  5. Guten Morgen in die Runde, danke für eure Kommentare zu meinem Text mit der besonderen Atmosphäre, die ich wecken konnte, der köchelnden Gemüsesuppe gewürzt mit Sehnsucht und Trauer der Liebe. Der geheime Ort, der noch einmal besucht wird, spielt vielleicht in einer italienischen Stadt, weil „die Sonne gegen die geschlossenen Fensterläden prallt“ … ich wünsche uns weiterhin frohe Dezembertage mit Lesestoff bei Christianes Adventüden. Ich bin gespannt.
    Danke dafür! Herzlicher Gruß. Petra

    Gefällt 3 Personen

  6. Pingback: Weihnachtspause | Irgendwas ist immer

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