Von Sterben und Leben

Ausgang.

Immer enger, leise, leise
Ziehen sich die Lebenskreise,
Schwindet hin, was prahlt und prunkt,
Schwindet Hoffen, Hassen, Lieben,
Und ist nichts in Sicht geblieben,
Als der letzte dunkle Punkt.

(Theodor Fontane, Ausgang, aus: Gedichte, 1905, Online-Quelle)

Ueber alle Gräber wächst zuletzt das Gras

Ueber alle Gräber wächst zuletzt das Gras,
Alle Wunden heilt die Zeit, ein Trost ist das,
Wohl der schlechteste, den man dir kann ertheilen;
Armes Herz, du willst nicht, daß die Wunden heilen.
Etwas hast du noch, solang es schmerzlich brennt;
Das Verschmerzte nur ist todt und abgetrennt.

(Friedrich Rückert, Ueber alle Gräber wächst zuletzt das Gras, aus: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, Frankfurt a. M. 1872, S. 153, Online-Quelle)

Tränen, Tränen, die aus mir brechen

Tränen, Tränen, die aus mir brechen.
Mein Tod, Mohr, Träger
meines Herzens, halte mich schräger,
daß sie abfließen. Ich will sprechen.

Schwarzer, riesiger Herzhalter.
Wenn ich auch spräche,
glaubst du denn, daß das Schweigen bräche?

Wiege mich, Alter.

(Rainer Maria Rilke, Tränen, Tränen, die aus mir brechen, (Paris, Spätherbst 1913) aus: Rainer Maria Rilke, Gedichte 1906 bis 1926, Sammlung der verstreuten und nachgelassenen Gedichte aus den mittleren bis späteren Jahren, Insel-Verlag 1953, S. 467)

Sieben Septillionen Jahre

Sieben Septillionen Jahre
zählte ich die Meilensteine am Rande der Milchstrasse.

Sie endeten nicht.

Myriaden Aeonen
versank ich in die Wunder eines einzigen Thautröpfchens.

Es erschlossen sich immer neue.

Mein Herz erzitterte!

Selig ins Moos
streckte ich mich und wurde Erde.

Jetzt ranken Brombeeren
über mir,
auf einem sich wiegenden Schlehdornzweig
zwitschert ein Rotkehlchen.

Aus meiner Brust
springt fröhlich ein Quell,
aus meinem Schädel
wachsen Blumen.

(Arno Holz, Sieben Septillionen Jahre, aus: Phantasus, II. Heft, Berlin, 1899, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Ansprechende Gedichte zum Thema, die nicht oder weitgehend nicht christlich eingefärbt sind, sind eher selten für die Zeit, aus der man öffentlich zitieren darf. Nachdem ich letzte Woche auf eine Zusammenstellung von Trauersprüchen (mit überprüfter Autorenangabe, SELTEN) gestoßen bin (hier klicken), dachte ich, vielleicht mag diese Gedichte noch jemand außer mir.

Wie immer, kommt gut und warm und fröhlich in und durch die neue Woche!

 

22 Kommentare zu “Von Sterben und Leben

  1. Ich mag den Arno Holz …schöne Vorstellung, obwohl Dein Foto etwas gruselig ist…..
    Starte weiterhin gesund werdend in die neue Woche, liebe Christiane…mir hilft gegen nächtliches Hals- und Hustkratzen mein Fleeceschal. Lieber Gruß aus dem eklig windigen und kaltem Seeland, Karin

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    • Ich mag den Arno Holz auch, er hat so was Spielerisches, und so empfinde ich auch das Foto … 🤔
      Ich kann mir nicht zum Schlafen irgendwas um den Hals wickeln, liebe Karin, dann kriege ich bestimmt Kopfweh, weil ich mich verliege. 😟
      Grauhimmelige Um-null-Grad-Grüße ☁️😷🛋️☕🍪

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  2. „Selig ins Moos
    streckte ich mich und wurde Erde.“

    Schön. Die umwindenden Energien durchlassen, mittanzen lassen, hochfliegen, emporsteigen, weitertreiben, das Leben bis zur Neige schöpfen und mit Planeten und Sonnen, Monde um die Wette strahlen, bei Nullgrad mehr oder weniger, dass es leuchtet und prunkt! Memento mori lässt mich stets in den Augenblick tauchen 🙂 Danke dafür, dir einen wunderbaren Start in die Woche!

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    • Schau doch mal rein, ich verlinke ja die Originalscans, wenn ich kann, wenn du ihn nicht kennst, hast du bestimmt Freude. Der Phantasus ist schon fein 😉
      Auch dir eine gute Woche! 👍
      Abendgrüße 🍵🍪

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  3. Sie sind alle gut, wirklich gut, aber nichts geht über Arno Holz. Er liegt mir so sehr am Herzen. Seine Einfälle, seine Ideen, seine Formulierungen sind einfach ganz wundervoll und immer wieder lese ich nach und ich kriege ihn nie über…

    Ganz herzlich, Bruni, die hofft, daß sich Dein Husten endlich wieder verabschiedet, liebe Christiane

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    • Ich freue mich sehr über deine Freudenausbrüche, liebe Bruni. Ich finde Arno Holz zwar speziell, aber sehr, sehr erfrischend lebendig 😉🧡
      Irgendwann wird der Husten schon klein beigeben. Abends ist es immer schlimmer.
      Abendgrüße 😉😷🍵🍪

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  4. Arno Holz Gedicht sagt mir zu.
    Einige nicht allzu ernst gemeinte Anmerkungen: 🙂

    Sieben Septillionen Jahre
    zählte ich die Meilensteine am Rande der Milchstrasse.
    In Trillionen trillionen Jahren soll es ja nur noch Strings, also letzte Spuren eines ehemals Gewesenen geben, nichts Materielles mehr, nur noch Leere.

    Myriaden Aeonen
    versank ich in die Wunder eines einzigen Thautröpfchens.

    Das passiert mir nachwievor bei Insekten. Das scheint nie aufzuhören.

    Selig ins Moos
    streckte ich mich und wurde Erde.

    Jetzt ranken Brombeeren
    über mir,
    auf einem sich wiegenden Schlehdornzweig
    zwitschert ein Rotkehlchen.

    Aus meiner Brust
    springt fröhlich ein Quell,
    aus meinem Schädel
    wachsen Blumen.

    Sehr trostvoll und schön. So soll es sein. Möge sich das Rotkelchen wohl fühlen!

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  5. Liebe Christiane, grüß Dich, deinen Blogpost mit den schönen Gedichten zum Leben und Sterben mag ich nächste Woche – die Karwoche – rebloggen im Totenhemd-Blog.
    Ich wünsche dir ein frohes Wochenende. Herzlich. Petra

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  6. Hat dies auf Totenhemd-Blog rebloggt und kommentierte:
    In Christianes Blog hab ich diese Gedichte entdeckt vom Sterben und Leben. Sie gefallen mir gut. Vor allem das von Arno Holz: Sieben Septillionen Jahre. „.. es wachsen Blumen aus meinem Schädel“, „..Brombeeren ranken über mir“.

    Auch der Blümchen verzierte Schädel auf dem Foto gefällt mir.

    Mit diesem Tag beginnt die Karwoche … die Heilige Woche (Semana Santa) … so viel Hoffnung, Leben, Sehnsucht, Liebe, Streit und Miteinandersein, Tod und Erlösung … Trauer.

    Ich finde diese Gedichte-Sammlung passt perfekt zu diesen Tagen.

    Kommt gut durch die Woche.

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