Balladenmontag: Archibald Douglas

Kurze Vorrede zu einer langen Ballade: Zum zweiten Mal habe ich einen Ritter in misslicher Lage für euch. Stand beim letzten Mal besagter Ritter unfreiwillig unter dem Einfluss von Zauberei (hier klicken), so ist er diesmal aufgrund seiner Zugehörigkeit zum falschen Clan in die Bredouille geraten, und so fiktiv der verzauberte Ritter war, so historisch belegt ist dieser …


Blog goes Ballade | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

»Ich hab’ es getragen sieben Jahr
Und ich kann es nicht tragen mehr,
Wo immer die Welt am schönsten war,
Da war sie öd’ und leer.

Ich will hintreten vor sein Gesicht
In dieser Knechtsgestalt,
Er kann meine Bitte versagen nicht,
Ich bin ja worden alt.

Und trüg’ er noch den alten Groll,
Frisch wie am ersten Tag,
So komme, was da kommen soll,
Und komme, was da mag.«

Graf Douglas spricht’s. Am Weg ein Stein
Lud ihn zu harter Ruh,
Er sah in Wald und Feld hinein,
Die Augen fielen ihm zu.

Er trug einen Harnisch, rostig und schwer,
Darüber ein Pilgerkleid –
Da horch, vom Waldrand scholl es her.
Wie von Hörnern und Jagdgeleit.

Und Kies und Staub aufwirbelte dicht,
Her jagte Meut’ und Mann,
Und ehe der Graf sich aufgericht’t,
Waren Roß und Reiter heran.

König Jakob saß auf hohem Roß,
Graf Douglas grüßte tief,
Dem König das Blut in die Wange schoß,
Der Douglas aber rief:

»König Jakob, schaue mich gnädig an
Und höre mich in Geduld,
Was meine Brüder dir angetan,
Es war nicht meine Schuld.

Denk nicht an den alten Douglas-Neid,
Der trotzig dich bekriegt,
Denk lieber an deine Kinderzeit,
Wo ich dich auf den Knien gewiegt.

Denk lieber zurück an Stirling-Schloß,
Wo ich Spielzeug dir geschnitzt,
Dich gehoben auf deines Vaters Roß
Und Pfeile dir zugespitzt.

Denk lieber zurück an Linlithgow,
An den See und den Vogelherd,
Wo ich dich fischen und jagen froh
Und schwimmen und springen gelehrt.

O denk an alles, was einsten war,
Und sänftige deinen Sinn,
Ich hab’ es gebüßet sieben Jahr,
Daß ich ein Douglas bin.«

»Ich seh’ dich nicht, Graf Archibald,
Ich hör’ deine Stimme nicht,
Mir ist, als ob ein Rauschen im Wald
Von alten Zeiten spricht.

Mir klingt das Rauschen süß und traut,
Ich lausch’ ihm immer noch,
Dazwischen aber klingt es laut:
Er ist ein Douglas doch.

Ich seh’ dich nicht, ich höre dich nicht,
Das ist alles, was ich kann,
Ein Douglas vor meinem Angesicht
Wär’ ein verlorener Mann.«

König Jakob gab seinem Roß den Sporn,
Bergan ging jetzt sein Ritt,
Graf Douglas faßte den Zügel vorn
Und hielt mit dem Könige Schritt.

Der Weg war steil, und die Sonne stach,
Und sein Panzerhemd war schwer,
Doch ob er schier zusammenbrach,
Er lief doch nebenher.

»König Jakob, ich war dein Seneschall,
Ich will es nicht fürder sein,
Ich will nur warten dein Roß im Stall
Und ihm schütten die Körner ein.

Ich will ihm selber machen die Streu
Und es tränken mit eig’ner Hand,
Nur laß mich atmen wieder aufs neu
Die Luft im Vaterland.

Und willst du nicht, so hab’ einen Mut,
Und ich will es danken dir,
Und zieh dein Schwert und triff mich gut
Und laß mich sterben hier.«

König Jakob sprang herab vom Pferd,
Hell leuchtete sein Gesicht,
Aus der Scheide zog er sein breites Schwert,
Aber fallen ließ er es nicht.

»Nimm’s hin, nimm’s hin und trag’ es neu
Und bewache mir meine Ruh’,
Der ist in tiefster Seele treu,
Wer die Heimat liebt wie du.

Zu Roß, wir reiten nach Linlithgow,
Und du reitest an meiner Seit’,
Da wollen wir fischen und jagen froh,
Als wie in alter Zeit.«

(Theodor Fontane, Archibald Douglas, entstanden 1854, aus (Erstdruck): Argo, Album für Kunst und Dichtung, 1857, Online-Quelle)


Stirling Castle

Stirling Castle, möchtet ihr in Rüstung diesen Berg hoch?
Quelle: Pixabay

Schön und edel, die Ballade, oder? Ein demütiger Bittsteller und ein huldvoller König, wie man sie sich wünscht. Die Sache hat nur einen Haken: Die Personen sind zwar historisch, der Vorfall ist auch überliefert, nur nicht so.

Wir bewegen uns in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts, in England ist Heinrich VIII. an der Macht. Dieser ist der Onkel des erwähnten »König Jakob«, Jakob V. von Schottland. Jakob, geboren 1512, war erst 17 Monate alt, als er seinem Vater auf den Thron folgte.

1525 übernahm sein Stiefvater, ein Douglas, der 6. Earl of Angus, die Regentschaft über Schottland und hielt Jakob zur Durchsetzung seiner eigenen Machtansprüche praktisch wie einen Gefangenen, bis ihm seine Mutter 1528 zur Flucht verhalf. Der Douglas aus der Ballade, Archibald Douglas of Kilspindie (Kilspindie war eine Burg im Dorf Aberlady (Wikipedia)), war der Onkel des Earls und bekleidete nicht nur mehrere hohe Posten im Staat, sondern pflegte auch über Jahre ein gutes und enges Verhältnis zu dem jungen König, der ihn wohl auch für seine, heute würde man sagen, körperliche Fitness und Gewandtheit bewunderte (er war gut 35 Jahre älter). Als Jakob V. 1528 an die Macht gelangte, wurde jedoch der gesamte Douglas-Clan des Verrats angeklagt, ihre Ländereien fielen an die Krone, die Douglas flohen ins Exil und Jakob schwor ihnen ewige Feindschaft.

Der alternde Kilspindie (wenn die Daten stimmen, muss er Ende 50 gewesen sein) kam dennoch einige Jahre später zurück und näherte sich dem König im königlichen Park von Stirling. Der König erkannte ihn, ignorierte ihn aber und ritt den Hügel zum Schloss hinauf. Kilspindie, der unter seiner Kleidung ein Kettenhemd trug (sicher ist sicher), folgte ihm zu Fuß und kam erschöpft zur gleichen Zeit an, aber der König würdigte ihn keines Blickes und verschwand, Kilspindie blieb draußen. Obwohl er darum bat, wollte ihm keiner der Bediensteten etwas zu trinken geben, da der Hass des Königs auf den Namen Douglas allen bekannt war. Der König tadelte diese Unhöflichkeit später und erklärte, hätte er keinen Eid geschworen, dass kein Douglas ihm je wieder dienen solle, hätte er dessen Wunsch entsprochen. Kilspindie ging auf seinen Befehl hin nach Frankreich, wo er jedoch bald an gebrochenem Herzen starb. Sogar Heinrich VIII., ebenfalls nicht gerade für ein ausgeglichenes Temperament bekannt, wird zu dieser Sache mit einem Sprichwort zitiert: »A Kingְ’s face should give grace« – »Das Gesicht eines Königs sollte Gnade gewähren.«

Wie ist Fontane nun zu diesem Stoff gekommen? Hier berufe ich mich auf den überaus detaillierten, großartigen Kommentar in der Wikipedia (hier klicken), der besagt, dass es keinen Zweifel gibt, dass Fontane dazu Walter Scott gelesen hat (unklar ist, wann), zur Auswahl stehen jedoch zwei Bücher: »Minstrelsy of the Scottish border« (1802) (Text, Fußnote) und »Tales of a Grandfather Being the History of Scotland« (1830) (Text). Scott wiederum beruft sich auf David Hume of Godscroft: »The History of the House and Race of Douglas and Angus« (1643/44) (Text), der wiederum mit den Douglas verwandt war.
Fontane wiederum war so ergriffen und beeindruckt von dem Stoff, dass er beschloss, das Ende abzuändern, auf dass sie ewig und in Freuden lebten. Er schreibt 1893 in einem Brief an Richard Maria Werner: »Diese kleine Douglas-Geschichte machte einen großen Eindruck auf mich, und da ich ganz der Ansicht von Heinrich dem Achten war, so modelte ich den Stoff in dem entsprechenden Sinne …« (Text, links oben)

Noch im Erscheinungsjahr (1857) schrieb Carl Loewe eine Vertonung der Ballade für Singstimme und Klavier (op. 128). Da das klassische Lied überhaupt nicht mein Fall ist, weise ich nur darauf hin, dass YT dazu einige Aufnahmen anbietet, z B. von Hermann Prey oder dem Wagnersänger Ferdinand Frantz.



Hier klicken, um das Video auf YouTube anzusehen.


Empfehlen möchte ich hingegen eine Aufnahme des gesprochenen Gedichts, vorgetragen von dem (wie so oft großartigen) Otto Sander. Wen es interessiert, der findet dort auch noch eine Aufnahme von Gert Westphal und Fritz Stavenhagen verlinkt. Ich vergleiche gern Interpretationen, vor allem, wenn alle Beteiligten wissen, was sie tun, aber hier gefällt mir Otto Sander am besten, weil er ohne sprachlichen Kanonendonner auskommt.

[Dieser Mann (das Bild im Video) heißt zwar auch Archibald Douglas, ist aber der oben bereits erwähnte 6. Earl of Angus, ein mit allen Wassern gewaschener schottischer Politiker höchsten Ranges.]


Kommt wie immer gut und heiter und gesund in und durch die neue Woche! Und wer sich von euch ins Karnevalsgetümmel stürzt: Viel Vergnügen, und lasst alle Viren und Bazillen draußen vor der Tür!

Achtung, Etüdenschreiber*innen: Die aktuelle Schreibeinladung lässt keine Pings mehr zu. Bitte verewigt euch UNBEDINGT mit dem Link zu eurer Etüde in den Kommentaren, sonst garantiere ich für nichts!

Meine vorherigen Balladentage finden sich in meiner Balladentag-Kategorie: BITTE HIER KLICKEN!


Auch beim Balladenmontag dabei

Werner Kastens: Das Hildebrand-Lied

Arno: Der Fluss des Lebens

 

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37 Kommentare zu “Balladenmontag: Archibald Douglas

  1. Guten Morgen, wie schön, mal wieder diese Ballade in Erinnerung gerufen zu bekommen.
    Es ist so lange her, dass ich die gelesen habe. Und gleich ist sie wieder erwacht, die Freude daran.
    Danke

    Gefällt 5 Personen

  2. Warum nicht gleich ? Die tolle Recherche meine ich – so hätte ich den Reim nicht überblättern müssen – hat bestimmt Spaß gemacht, sonst tut man sich sowas ja nicht an.
    Mir übrigens auch (Spaß gemacht): einmal mehr weiß ich, weshalb ich alte Schinken nicht mag, wenn sie ernst gemeint sind; am Ende stellt sich meist heraus, daß es überzeichnete und/oder geschönte Lügen sind, die eine Pseudodramatik entstehen lassen – im konkreten Fall ist es umgekehrt und die Lüge schönt die Historie … Balladen: die Seifenopern ihrer Zeit für Romantiker der gegenwärtigen ;-?

    Gefällt 1 Person

    • Aber natürlich: Seifenoper! Großes Drama! Bildungsfernsehen (äh …) für alle! Früher wurden Gedichte/Balladen meist nicht so hehr auf einen Sockel gestellt, wie das heute oft passiert, sie dienten zur Vermittlung von Moral, als erhobener Zeigefinger, aber auch zur mehr oder weniger gepflegten Unterhaltung und zum Spott bzw. der Kritik. Andererseits waren die Horizonte oft viel enger und undurchdringlicher …
      Heute wissen wir, dass Fontane die Wahrheit verbogen hat, ich frage mich, warum, und ich frage mich auch, ob er daraus keinen Hehl gemacht hat 🤔. Leider weiß ich kaum etwas über Fontanes politische Einstellung, aber ich unterstelle ihm durchaus, dass er eher konservativ war, was auch immer das zu der damaligen Zeit bedeutet hat, danke für die Frage.
      Und ja, natürlich bin ich (auch) Romantiker, klar doch, gar keine Frage. 😉
      Morgenkaffeegrüße nach Wien! ☁️☕🍩

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      • Hihihi … der Sockel 😉 – fällt mir gleich Mozart ein und die heutige Zeit und seine zeitgenössische und daß die Leute während der heiligen Musik gelacht und sich unterhalten haben … 😉
        Wahrscheinlich ist’s wie mit allem: wennma selbst was nicht hat das gesellschaftlich günstig wäre vorweisen zu können, braucht man Götter zur Verehrung, um (trotzdem) eine Existenzberechtigung zu haben … 😉

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      • Es hilft zumindest sehr, Menschen haben sich da nicht geändert 😉
        Bei Musikern/Komponisten war es dann halt so, dass sie so gut/überraschend sein mussten, dass die Leute ihnen zugehört haben. Wobei die Frage ist, welches Niveau vox populi hatte … 🤔

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      • Hat sich nix geändert in der Kunst allgemein: Überraschung (im positiven Sinn) muß sein für Entwicklung … und speziell wenn man zeitgenössische Musik hört und nicht jene der vox populi, kann man häufig ziemlich stark überrascht werden 😉 …

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    • Heute sucht man sich meist seine Vorbilder aus dem Fernsehen oder aus dem Internet, oder? Ich bin alt genug, um das irgendwie traurig zu finden.
      Ich glaube, ich habe mir viel bei den drei Musketieren abgeschaut. Und Karl May natürlich 😎
      Fast-Mittagskaffeegrüße ☁️☕🍩

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      • Meine Lehrbilder waren Balladen, wie „Der Ring des Polykrates“, Archibald Douglas, John Maynard, Die Kraniche des Ibikus und aus den „Illustrierten“ Prinz Eisenherz. Später dann die Kämpfer für Gerechtigkeit aus dem Wilden Westen, Tom Proxy und Billy Jenkins.

        Gefällt 2 Personen

      • Die Balladen kenne ich auch alle, Prinz Eisenherz war für Jungs, den bekam ich nicht, und beim Wilden Westen bin ich raus … dafür hätte ich vermutlich Brüder oder Cousins haben müssen 😉

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  3. Ach wie schön, Du hast den Archibald Douglas auserkoren, liebe Christiane. Ich habe ihn sehr geliebt , aber vor lauter Liebe fast ganz vergessen, wie die gesamte Balladen-Geschichte tatsächlich ging.

    Fontanes Version gefällt mir natürlich sehr, auch wenn die reale Geschichte leider anders war.

    Liebe Grüße aus den späten Nachmittagssonne von Bruni

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  4. Tolle Ballade und super interessanter Text. So intensiv hätte ich mich sonst nicht damit beschäftigt.
    Sry, dass ich dann doch nicht teilhenommen habe. Am Wochenende ging es dem Kind schlecht und Sonntag Abend fing es dann bei mir an. Nächste Mal steuere ich gerne was bei. Ich kann ja nicht immer krank sein. 😅

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