Nicht mehr unversehrt | abc.etüden

Nachts, wenn sie sich schlaflos auf ihrer Couch herumwälzt, betreiben die schwarzen Vögel Nestbau, kommen die Gedanken, die sie tagsüber wegdrückt, weil nicht sein kann, was nicht sein darf.

Was ist, wenn doch was nachbleibt? Werde ich jemals wieder richtig gesund, das heißt schmerzlos und ausdauernd gehen, laufen, wandern, tanzen können? Wird alles wieder richtig gut? Und wie lange, falls ja, wird es dauern, und woher weiß ich, was ich machen sollte und was nicht?

Gras wächst auch nicht schneller, wenn man daran zieht. Ist nicht so, dass sie sich im Leben schon mal was gebrochen hätte, nie, und dann gleich das. Das Jahr geht jetzt schon in die Annalen ein.
Sie kann es nicht mehr hören, dass sie »nur Geduld« haben muss.

Und wann werde ich endlich wieder imstande sein, die Stiege hinaufzuklettern, um endlich wieder richtig im Bett schlafen zu können – und, viel wichtiger, auch wieder hinunter, auch im Halbschlaf? Wann ist wieder »normal«?

Das alles ist Jammern auf hohem Niveau, und sie weiß es, meistens jedenfalls. Aber manchmal ist ihr egal, dass alles ja noch viel schlimmer sein könnte, da fühlt sie sich allein und von allen guten Geistern verlassen, da brechen Albträume durch, da hört sie frostige Stimmen, denen ihre Angst nichts bedeutet, da flieht sie nachts weinend, allein und panisch durch gesichtslose Häuserschluchten … und schreckt irgendwann auf.

Dann hält sie die Stille nicht aus. Und wenn sich dann am Fenster ein gewisser Fellträger bemerkbar macht, dann ist sie dankbar, greift freudig nach ihren Krücken, humpelt zur Tür, lässt ihn rein, redet auf ihn ein und erneuert sein Futter, hofft, dass er bleibt, sich nach dem Fressen bei ihr Streicheleinheiten abholen kommt und sich schließlich zu ihren Füßen schnurrend zusammenrollt und sie für ein paar weitere Stunden in einen traumlosen Schlaf gleiten kann.


abc.etüden 2023 14+15+16+17+18 | 365tageasatzaday

Quelle: Pixabay, Bearbeitung von mir

Für die abc.etüden, Wochen 14*15*16*17*18**2023: 3 Begriffe, maximal 300 Wörter. Die Wortspende stammt von Anna-Lena mit ihrem Blog Meine literarische Visitenkarte. Sie lautet: Nestbau, frostig, tanzen.

Krankheiten und Unfälle machen was mit einem. Wie immer, wenn man es nie selbst zuvor erlebt hat, fehlt ein Stück – die Erfahrung, mir etwas gebrochen zu haben, erweitert gerade meinen Horizont. Bitte lest diese Etüde nicht komplett autobiografisch, ich habe schon das eine oder andere überspitzt, und ich entschuldige mich jetzt schon prophylaktisch bei denen, die wirklich durch Krankheit dauerhaft eingeschränkt sind – mir ist bewusst, dass ich davon keine Ahnung habe.

Andererseits ist sind die Etüden meine Möglichkeit, nicht ständig aus meinem Herzen eine Mördergrube zu machen. Ich muss da durch und ich habe es ziemlich satt, das ist die Wahrheit …

 

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71 Kommentare zu “Nicht mehr unversehrt | abc.etüden

  1. Liebe Christiane, bei jeder schweren Krankheit habe ich immer gedacht: “Morgen ist es sicher schon besser und bald ist es vorbei.“ Und danach denke ich immer: “Siehste, ist doch alles gut geworden.“ Gutenmorgenkaffeegrüße aus Marburg ❤

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  2. Guten Morgen – Kaffeegrüsse ☕️, liebe Christiane, gut beschriebene Gedanken 💭, welche Sorgen und Nöte einem durch Körper und Geist gehen, wenn einem so etwas geschieht. Nicht durch absehbare Krankheit, sondern überraschend, schnell und überrumpelt – wie aus heiteren „Himmel“.
    Danke 🙏 für Deine Etüde zu dem Thema
    Grüße aus Hamburg 🍀🍀🍀

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    • Darin unterscheiden sich Krankheiten von Unfällen, liebe Sabine, wobei aber auch Krankheiten oft nicht absehbar sind und in ihrem Ausmaß überraschend kommen … 🤔
      Es scheint nicht sehr populär zu sein, Angst zuzugeben, obwohl ich denke, dass sie immer da ist.
      Danke dir!
      Herzliche Morgenkaffeegrüße zurück 🌤️🌱🌼☕🍪

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  3. Geduld ist eine der Tugenden, die mir fehlt, liebe Christiane und deswegen kann ich so gut mit Dir mitfühlen. So Brüche sind oft tückisch und die Ohnmacht, da in den Heilungsprozeß nicht zusätzlich eingreifen zu können, eine Qual, denn es wird auch noch Physio u.a. auf Dich zukommen. Es ist zum Pudding-an-die-Wand-schmeissen. Ich drücke fest die Daumen, dass alles wieder vollkommen in Ordnung kommt. Sei lieb und herzlich gegrüßt und eine Umarmung von Karin

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  4. Du bist ja schon über der Halbzeit! Ich kenne solche Situationen leider recht gut. Nicht von gebrochenen Knochen sondern von den Freuden der Stenose. Ich glaube jede muss auf ihre Art damit fertig werden. Gute Ratschläge helfen da nur sehr bedingt. Aber gute Wünsche könnten eventuell…. 🎶💕

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    • Na ja, Halbzeit. Nach diesen ersten 6 Wochen soll die Stellschraube raus, und wie lange es dann noch dauert, dazu schweigt bisher alles. Vermutlich ist es auch individuell.
      Stenose ist aber gar nicht fein … 😟
      Danke für die guten Wünsche! 🧡
      Vormittagskaffeegrüße ⛅🌱🌼☕🍪

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      • Stimmt schon, aber ich finde, dass Meilensteine am Weg etwas sehr nützliches sind. Es bekommt besser das Ende der nächsten drei Wochen anzuvisieren als sich vor dem nächsten Jahr zu fürchten. Natürlich sind Ängste nicht rational, aber manchmal kann man sie doch ein bissl kanalisieren …

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  5. Was den Text betrifft, so gefallen mir die nestbauenden schwarzen Vögel sehr gut. Sie fassen alles zusammen.Auch die Teilung in inneren und äußeren Blickwinkel mag ich sehr. Interessant wäre zu ergründen woher der Ausdruck Mördergrube kommt.

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      • Die Katholen haben sie erfunden – obwohl sie eigentlich Räuberhöhle hieß…
        Aber euer Luther mußte aus allem ein Extrawürschtl machen; und so hat er halt (bewußt falsch ?) daraus die Mördergrube übersetzt. Bei uns heißt das eh beinahe immer so: Räuberhöhle – obwohl eigentlich nur der Markus über die Begründung SEINES Tuns was von Räuberhöhle schreibt, Johannes schreibt nur von ‚Kaufhaus’…
        Wuaschd: Hauptsach‘, der Tempel war nachher wieder sauber. Und alles in allem ging’s sowieso nur um den Vorhof, wo die Geldwäscher ähh… Geldwechsler saßen und die Händler mit dem Eis, Kinderspielzeug, Schießbuden standen den Friedenstauberln und Ölbaumzweigerln und sonstigen, damals vorhandenen Devotionalien ihre Tischerln hatten wie die Leut‘ heut‘ auf dem Kiritag – Bibel gab’s ja noch keine … ;}

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      • Ich glaube, Luther neigte zum Dramatisieren 😉
        Hab gerade die Vulgata nachgesehen, in der Hoffnung, dort neue Erkenntnisse zu gewinnen: „speculam latronum“ ist die „Höhle der Räuber“, Altgriechisch (spēlaion lēstōn) ist nicht anders.
        Faszinierend, was man online alles findet, auf die Bibel wäre ich jedenfalls nicht gekommen. Danke, dass du neugierig warst! 😀
        Die Tauben waren übrigens Opfertiere (für die Armen) sagt Wikipedia.

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      • Schon .. aber im lateinischen Text von Johannes steht ‚domum negotiationis‘ das wäre das Kaufhaus, das griechische oikon emporiou hat die gleiche Bedeutung – ich wäre also für dramatisieren und Kaufhäuser 😉
        Ja, Tauben für die armen Opfertiere, heute sagt man noch immer Wahlvieh, die reicheren durften auch Schafe und Ochsen spenden – die möglichweise ein paar Tage später wieder zum Verkauf standen – soviel konnten die Hohepriester ja nicht fressen … klar waren die sauer auf den HERRN, der ihnen das Geschäft verdarb … am Ende kam der noch drauf, daß sie allesamt Kunden bei der Maria Magdalena waren undsie mit ihrem Körberlgeld bezahlten, das sie in die leeren Körberln ihres BH legten … 😉

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      • Bleiben wir doch beim Dramatisieren 😉
        Priester sind/waren auch nur Menschen, leider/Gott (oder so) sei Dank.
        „Körbelgeld“ dagegen ist hübsch, Wikipedia informiert mich, dass das auch „Schwänzelpfennig“ heißt – nur dass das wohl in D keiner mehr sagt …

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      • Mußt du ja nicht… nichtmal im übertragenen Sinne von Religion bzw eben Philosophie 😉 …
        Aber es hat doch jeder seine Götter im Leben; die können sich von Zeit zu Zeit ja ändern … meine sind momentan Elektrorolla mit 2 Motoren, die 20 PS je Motor haben, 150 Kilometer weit fahren und 120 GPSkmh schnell sind … 😉

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      • Der Mann aus Schilda hätte bestimmt gesagt, ‚der geht zu schnell, so wie er aussieht‘ und mich anschließend aus Verdacht, einen Anschlag auf die Regierung zu planen, auf der Stelle verhaftet 😉 …

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  6. Stürze im hohen Alter sind schlimmer, da man mit Sicherheit weiß: nichts wird wieder, kein Tanzen, auch schmerzloses Gehen wird jemals wieder möglich sein. Man krüppelt vor sich hin bis zum bitteren Ende. Also Kopf hoch, bei dir ist ja noch jede Besserung möglich. Und wahrscheinlich! 🐈

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  7. Lass den Frust raus!
    Es hilft ein bissel oder auch mehr, Christiane.
    Es ist eine Zeit, in der man oft hadert und viele Ängste und frustige Gedanken hat. Ich weiss es und wenn ich könnte, würde ich deinen vermalledeiten Bruch ganz schnell wegzaubern, aber leider kam mir das Zaubern mit den Jahren abhanden und ich kann Dir nur sagen, es wird dauern, eine Weile oder auch ein Weilchen, aber der Bruch wird auf jeden Fall gut heilen und nach und nach wirst Du wieder all das tun können, was jetzt so fürchterlich schwierig ist.

    Ganz herzlich, Bruni

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    • Danke dir. Wird schon wieder, irgendwie – aber manchmal ist mir einfach nicht nach Optimismus versprühen, dann möchte die Nachtseite auch ihr Recht auf Aufmerksamkeit …
      Spätnachmittagskaffeegrüße 🌤️🌱🌼☕🍪

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  8. Ich fand den Stil sehr gut getroffen, dieses Dazwischen, zwischen Hoffnung und Angst, zwischen Tag und Nacht, zwischen Bewegen und Stillstand, Krankheit und Genesung. Es las sich silhouettenhaft und atmosphärisch, so dass ich mit in der Situation gewesen bin. Danke für diesen schönen Text, und ja, ich lese ihn nicht rein autobiographisch, aber ich sende trotzdem sehr viel Sonnenschein, Energie und Genesungswünsche gen Norden! Möge die Sonne in dir Lachen, der Fellträger schnurren, der Mut sich entfalten und dich zu neuen Taten drängen! Nur das Beste für dich. Viele Grüße!

    Gefällt 5 Personen

    • Lieber Alexander, ich danke dir, ich komme mir gerade richtig „literarisch“ vor. Würde ich mir das vornehmen, was du da so schön beschrieben hast, fiele mir bestimmt nichts ein. Ich habe einfach rumprobiert, bis es mir gefiel … dafür sind die Etüden ja da, per Definition.
      Und Sonnenschein, Energie, Mut und einen schnurrenden Fellträger nehme ich IMMER gern! 😉
      Ganz herzlichen Dank für die guten Wünsche! 💐
      Abendgrüße zurück! 🌅🌼🍵🍪

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  9. Ich stimme Bruni zu: lass deinen Frust raus. Ich denke, wir alle können das gut verstehen und ich bin sicher, dass dich all unsere guten Wünsche tragen und begleiten werden, vielleicht auch zur Genesung beitragen können.
    Gib dem Fellträger eine Streicheleinheit und sag ihm, er soll gut auf dich achten.
    Mit lieben Grüßen,
    Anna-Lena

    Gefällt 3 Personen

    • Das Gefühl, dass jemand da ist, der*die mitdenkt und mitfühlt, trägt tatsächlich, liebe Anna-Lena, dann kann ich auch mal die Flügel hängen lassen … 😏
      Fellträger sind im Bekuscheln sowieso unschlagbar 🐯
      Danke für die guten Wünsche! 💐
      Abendgrüße 🌅🍵🍪

      Gefällt 2 Personen

  10. Also Christiane, ich dachte grad Du schreibst von mir 😀 und dachte: Woher kennst Du meine Gedanken? Nun, ich bin schon weit jenseits der Hälfte meiner Erdenjahre und man sagt ja, dass das „normal“ ist…. Doch hört man das nicht gern…. Und ich wünsch uns allen und Dir im Besonderen – dass wir beschwingtere Gefühle haben – nachts im Hyperraum – statt uns schlaflos und sorgenvoll wälzen. Alles Liebe!

    Gefällt 2 Personen

  11. Liebe Christiane,
    real und wahrhaft – anders kann ich Deine Geschichte nicht nennen. Ich HASSE das Wort Geduld. Ich habe versucht zu lernen in den Welten zwischen allem. Mir scheint es an Intelligenz zu mangeln, ich will nicht nur ein bisschen mehr sondern alles und noch viel mehr, ich mag groß denken und das auch erreichen – große Schritte, mindestens altes Leben usw. und wenn ich noch einmal das Wort Geduld höre, dann schreie ich – so laut und anhaltend, weil es blöd ist, wenn es jemand sagt, weil es mich noch verzweifelter macht, weil es so vernünftig ist, weil es versucht meinen natürlichen Trieb am Vorwärts zu unterdrücken. Mein Kopf ist manchmal erfüllt von meinem Schrei und meine Muskeln lassen nicht mehr locker. Geduld…
    LG Doro

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  12. Liebe Christiane, ich finde, daß Du ein Recht dazu hast, die Flügel hängen zu lassen. Es sind Phasen wie bei der Trauer. Da sagt auch keiner, sei nicht so traurig.
    Der Körper ist faszinierend und Du hast Deine Knochen/Muskeln u.a. während Deiner Hamburg Umrundung trainiert. Also alles in allem perfekte Voraussetzungen.
    Liebe Grüße, B.

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    • Ja, das sind Phasen, es ist mir irgendwo auch klar. Scheinbar verlaufen die bei mir parallel 😉
      Auf der einen Seite bin ich total happy, dass scheinbar alles gut verheilt und ich mich körperlich zwar herumärgere, aber keine ungewöhnlichen Probleme habe, auf der anderen fühle ich mich allem ausgeliefert und sehe Schatten an der Wand (war übrigens mal ein Lied 🎶, das ich mochte – Jule Neigel). Es ist nicht angenehm. Ich glaube, ich muss mehr rausgehen, also mit den Krückis spazieren gehen oder so. Iiiih. 😉
      Frühabendgrüße ⛅🌼🌱☕🍪

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      • Ich weiß aus Erfahrung,, daß ein solches Erlebnis tiefer geht und man spürt, wie verletzbar man ist und wie schnell sich alles ändern kann. Und die heilende Verletzung erinnert ständig daran.
        Den Song mochte ich auch gern.
        Ich würde das machen, was sich gut anfühlt. 💫
        Liebe Grüße 🍀💫🍀

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      • Mit der Verarbeitung bin ich noch lange nicht durch, das ist ja auch noch „Work in progress“ 😏. Ich bin auch überzeugt, dass ich manches z. B. an Ängsten noch gar nicht zulasse. Mal sehen, was kommt. Ich bemerke, dass sich bei mir was verändert, und begrüße es. Danke für deine Gedanken. 💐🎶👍

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  13. Ich hatte kaum je was Körperliches, nur eine Depression, die mich schlappe 15 Monate gefangenhielt.
    Eine Zeichnung hatte mich damals gerettet.
    Hatte mich damit selber aus dem Sumpf gezogen. So etwas ähnliches wünsche ich Dir. 🙂 – ich meine, die Selbstheilungskräfte.

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  14. Pingback: Schreibeinladung für die Textwochen 19*20*21*22**23 | Wortspende von Irgendwas ist immer | Irgendwas ist immer

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