Vom Regen

Regen

Geht ein grauer Mann
Durch den stillen Wald,
Singt ein graues Lied.
Die Vöglein schweigen alsbald.
Die Fichten ragen so stumm und schwül
Mit ihrem schweren Astgewühl.
In fernen Tiefen
Vergrollt ein Ton. —

(Johannes Schlaf, Regen, aus: Helldunkel, 1899, Online-Quelle)

Im Regen

Es stimmt zu mir, es ist ein sinnreich Wetter;
mein Nacken trieft, denn Baum und Borke triefen.
Die Tropfen klatschen durch die schlaffen Blätter;
die nassen Vögel tun, als ob sie schliefen.

Der Himmel brütet im verwaschnen Laube,
als würde nie mehr Licht nach diesem Regen;
nun kann er endlich, ungestört vom Staube,
das Los der Erde gründlich überlegen.

Die Welt fühlt grämlich ihres Alters Schwere:
kein Fünkchen Freude, keine Spur von Trauer.
Und immer steter schwemmt sie mich ins Leere:
kein Staub, kein Licht mehr – grau – und immer grauer.

(Richard Dehmel, Im Regen, aus: Erlösungen. Gedichte und Sprüche, 2., veränderte Auflage 1898, Online-Quelle)

Regen

Der Regen rinnt schon tausend Jahr,
Die Häuser sind voll Wasserspinnen,
Seekrebse nisten mir im Haar
Und Austern auf des Domes Zinnen.

Der Pfaff hier wurde eine Qualle,
Seepferdchen meine Nachbarin.
Der blonde Seestern streckt mir alle
Fünfhundert Fühler zärtlich hin.

Es ist so dunkel, kalt und feucht.
Das Wasser hat uns schon begraben.
Gib deinen warmen Mund – mich deucht,
Nichts bleibt uns als uns lieb zu haben.

(Klabund, Regen, aus: Die Harfenjule, Berlin 1927, Online-Quelle)

Regenlied

Des Regens starker Gesang wird zum Rauschen,
Das voller und voller erklingt.
Es schweigt selbst der Wald, um dem Liede zu lauschen,
Das der strömende Himmel ihm singt.

Es schäumen mit wuchtendem Anprall die Wasser
Vom Himmel zur Erde herab.
Es rasen die Ströme des Regens in nasser,
Wild stürzender Wut, die der Blitz ihnen gab.

Es duckt sich und beugt ihren Rücken die Erde
Unter dem peitschenden Sausen.
Wie vom Hufschlag einer hinrasenden Herde
Ist die Luft erfüllt von dem Brausen.

Dann wird das Rauschen zum raunenden Schallen,
Zum Murmeln von müder Süße.
Auf die Dächer vereinzelte Tropfen fallen
Wie ferne, glückstrunkene Küsse.

1.8.1941

(Selma Merbaum, Regenlied, aus: Blütenlese/Ich bin in Sehnsucht eingehüllt, Wikipedia zu Dichterin (auch bekannt als Selma Meerbaum-Eisinger) und Werk, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Ich dachte, ich brauche mal wieder ein paar Regengedichte. Nichtsdestotrotz: Eine fröhliche Woche wünsche ich euch, mögt ihr heil, gesund und heiter sein!

 

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38 Kommentare zu “Vom Regen

  1. Das Klabund-Gedicht hat mich tief berührt. Es ist so klamm, so geheimnisvoll, diese Unterwasserwelt, und plötzlich ist alles grau und blau, etwas kühl, aber inmitten dieser Dunkelheit erstrahlt plötzlich dieser Seestern und streckt alle „Fünfhundert Fühler zärtlich hin.“ In diesen Fünfhundert stecken so viele Möglichkeiten, so viele Leben, so viel Neugier, dass es mich nicht wundert, dass am Ende des Gedichtes wieder alles gut ist, wird und sein kann! Viele Grüße und wunderbaren, unregnerischen Wochenstart!

    Gefällt 4 Personen

  2. Regen grau in dunkelhell das Erste, in dieses habe ich mich verliebt. Wie wunderschön, ich kann dem Regen auch viel abgewinnen, wenn er keinen Schaden anrichtet und nicht zu kalt ist. LG Doro

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  3. Die feinsten Regengedichte hast Du für uns ausgesucht, liebe Christiane, und obwohl mir Selma so sehr am Herzen liegt, ist mir von den vieren das listig, lustige von Klabund das liebste. Es ist so originell und *bild*schön ausgedacht und formuliert, daß ich hier schmunzelnd sitze und mir den blonden Seestern vorstelle, wie er zärtlich alle seine Fühler ausstreckt, um den Liebsten zu erreichen…

    Ganz herzlich, Bruni

    Gefällt 1 Person

  4. Der Regen ist schön, ich mag ihn fast immer. Und die Gedichte mag ich alle, das letzte vielleicht etwas weniger als die anderen. Na gut, vielleicht hab ich den Klabund auch ein wenig lieber als die anderen drei. Man kann sich nicht verleugnen, gell. 😉

    Gefällt 1 Person

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