Möwe über der Brücke
Dir unterm Fuß,
Zwischen den Ufern Schreitender, spannt
Sich der Brücke gewölbter Bogen.
Und eine Möwe,
Wie ein Gedanke fernher blitzend,
Schießt auf dich ihre blendende Bahn.
Eine Sekunde
Stößt ihr Auge in deines, greift
Dich der weißen Schwinge Umarmung.
Eine Sekunde
Hebt dich der Flug, trägt dich der Geist,
Der schwerelose, brausend empor.
Es weht dich an
Der unendliche Raum, es rauscht
Freiheit dir unermeßlich ums Haupt.
Wie ein Gedanke
Der weiße Vogel, fernhin sich windend,
Und kehrt dir einmal wieder vielleicht
Solange noch
Von Ufer zu Ufer, Wanderer, dich
Der Brücke schweigender Bogen trägt.
(Maria Luise Weissmann, Möwe über der Brücke, aus: Imago, 1922-29, Online-Quelle)
Strandlust
Gern bin ich allein an des Meeres Strand,
Wenn der Sturmwind heult und die See geht hohl,
Wenn die Wogen mit Macht rollen zu Land, –
O wie wird mir so kühn und so wonnig und wohl!
Die segelnde Möve, sie ruft ihren Gruß
Hoch oben aus jagenden Wolken herab;
Die schäumende Woge, sie leckt meinen Fuß,
Als wüßten sie beide, wie gern ich sie hab’.
Und der Sturm, der lustig das Haar mir zaust,
Und die Möv’ und die Wolke, die droben zieht,
Und das Meer, das da vor mir brandet und braust,
Sie lehren mir alle manch herrliches Lied.
Doch des Lebens erbärmlicher Sorgendrang,
O wie sinkt er zurück, wie vergeß’ ich ihn,
Wenn die Wogenmusik und der Sturmgesang
Durch das hoch aufschauernde Herz mir ziehn!
(Hermann Allmers, Strandlust, aus: Dichtungen, 1860, Online-Quelle)
Die Möve
In hoher Luft die Möve zieht
Auf einsam stolzen Wegen,
Sie wirft mit todesmuth’ger Brust
Dem Sturme sich entgegen.
Er rüttelt sie, er zerrt an ihr
In grausam wildem Spiele –
Sie weicht ihm nicht, sie ringt sich durch,
Gradaus, gradaus zum Ziele.
O laß mich wie die Möve sein,
Wie auch der Sturm mich quäle,
Nach hohem Ziel, durch Kampf und Noth:
Gradaus, gradaus, o Seele!
(Anna Ritter, Die Möve, aus: Gedichte, 1898, Online-Quelle)
Meeresstrand
Ans Haff nun fliegt die Möwe,
Und Dämmrung bricht herein;
Über die feuchten Watten
Spiegelt der Abendschein.
Graues Geflügel huschet
Neben dem Wasser her;
Wie Träume liegen die Inseln
Im Nebel auf dem Meer.
Ich höre des gärenden Schlammes
Geheimnisvollen Ton,
Einsames Vogelrufen –
So war es immer schon.
Noch einmal schauert leise
Und schweiget dann der Wind;
Vernehmlich werden die Stimmen,
Die über der Tiefe sind.
(Theodor Storm, Meeresstrand, aus: Gedichte (Ausgabe 1885), Online-Quelle)


Quelle: ichmeinerselbst, Nordsee – na, irgendwelche Leuchtturm-Fans unter euch?
Kommt gut und heiter in und durch die neue Woche!