Vom Regen

Regen

Geht ein grauer Mann
Durch den stillen Wald,
Singt ein graues Lied.
Die Vöglein schweigen alsbald.
Die Fichten ragen so stumm und schwül
Mit ihrem schweren Astgewühl.
In fernen Tiefen
Vergrollt ein Ton. —

(Johannes Schlaf, Regen, aus: Helldunkel, 1899, Online-Quelle)

Im Regen

Es stimmt zu mir, es ist ein sinnreich Wetter;
mein Nacken trieft, denn Baum und Borke triefen.
Die Tropfen klatschen durch die schlaffen Blätter;
die nassen Vögel tun, als ob sie schliefen.

Der Himmel brütet im verwaschnen Laube,
als würde nie mehr Licht nach diesem Regen;
nun kann er endlich, ungestört vom Staube,
das Los der Erde gründlich überlegen.

Die Welt fühlt grämlich ihres Alters Schwere:
kein Fünkchen Freude, keine Spur von Trauer.
Und immer steter schwemmt sie mich ins Leere:
kein Staub, kein Licht mehr – grau – und immer grauer.

(Richard Dehmel, Im Regen, aus: Erlösungen. Gedichte und Sprüche, 2., veränderte Auflage 1898, Online-Quelle)

Regen

Der Regen rinnt schon tausend Jahr,
Die Häuser sind voll Wasserspinnen,
Seekrebse nisten mir im Haar
Und Austern auf des Domes Zinnen.

Der Pfaff hier wurde eine Qualle,
Seepferdchen meine Nachbarin.
Der blonde Seestern streckt mir alle
Fünfhundert Fühler zärtlich hin.

Es ist so dunkel, kalt und feucht.
Das Wasser hat uns schon begraben.
Gib deinen warmen Mund – mich deucht,
Nichts bleibt uns als uns lieb zu haben.

(Klabund, Regen, aus: Die Harfenjule, Berlin 1927, Online-Quelle)

Regenlied

Des Regens starker Gesang wird zum Rauschen,
Das voller und voller erklingt.
Es schweigt selbst der Wald, um dem Liede zu lauschen,
Das der strömende Himmel ihm singt.

Es schäumen mit wuchtendem Anprall die Wasser
Vom Himmel zur Erde herab.
Es rasen die Ströme des Regens in nasser,
Wild stürzender Wut, die der Blitz ihnen gab.

Es duckt sich und beugt ihren Rücken die Erde
Unter dem peitschenden Sausen.
Wie vom Hufschlag einer hinrasenden Herde
Ist die Luft erfüllt von dem Brausen.

Dann wird das Rauschen zum raunenden Schallen,
Zum Murmeln von müder Süße.
Auf die Dächer vereinzelte Tropfen fallen
Wie ferne, glückstrunkene Küsse.

1.8.1941

(Selma Merbaum, Regenlied, aus: Blütenlese/Ich bin in Sehnsucht eingehüllt, Wikipedia zu Dichterin (auch bekannt als Selma Meerbaum-Eisinger) und Werk, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Ich dachte, ich brauche mal wieder ein paar Regengedichte. Nichtsdestotrotz: Eine fröhliche Woche wünsche ich euch, mögt ihr heil, gesund und heiter sein!

 

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Von Liebesliedern und der Nacht

[Das Glück ist dieses]

Das Glück ist dieses: Beieinander ruhen,
schweigsam als wie gebettet in den Abend,
und Horchen ist es auf den Ton,
den meine Seele nächtlich deiner singt.

(Walter Calé, Das Glück ist dieses, aus: Mauthner (Hg.), Nachgelassene Schriften von Walter Calé, 1910, Online-Quelle)

Ein Liebeslied

Komm zu mir in der Nacht – wir schlafen engverschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.

Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
Und färben sich mit deiner Augen Immortellen …..

Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.

Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.

(Else Lasker-Schüler, Ein Liebeslied, aus: Mein blaues Klavier, 1943, Online-Quelle)

Liebes-Lied

Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen

an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.

Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Spieler hat uns in der Hand?
O süßes Lied.

(Rainer Maria Rilke, Liebes-Lied, aus: Neue Gedichte, 1907, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Wer Zeit hat, dem empfehle ich zwei Videos:

Die Vertonung des obigen Rilke-Gedichtes, gesungen von Frida Gold und Cassandra Steen für das Rilke-Projekt. Die beiden geben dem Gedicht eine ganz einzigartige Klangfarbe und bezaubern mich jedes Mal, wenn ich sie höre –> hier klicken (YouTube).

„Bilder von dir“, Laith al-Deen, eines meiner Lieblingsliebeslieder. Ich kenne es seit inzwischen vielen Jahren, es macht mich immer noch lächeln, wenn ich es höre, und ich mag den Sänger nach wie vor. Dies ist eine ungewöhnliche Live-Aufnahme mit der Bigband des Hessischen Rundfunks, eindeutig eine Version für die Fans 😉 –> hier klicken (YouTube).

Wer sich jetzt fragt, ob es einen aktuellen Anlass für meine gute Laune gibt: Nein. Es ist einfach nur Mai und die Sonne scheint.

Kommt gut und heiter in und durch die neue Woche. Ach, und den Feiertag am Donnerstag haben wir ja auch noch.

 

Von Schwalben

Schwalben

Schwalben, durch den Abend treibend,
leise rufend, hin und wieder,
kurze rasche Bogen schreibend,
goldne Schimmer im Gefieder –.

Oh, wie möcht’ ich dir sie zeigen,
diese sonnenroten Rücken!
Und der götterleichte Reigen
müsste dich wie mich entzücken.

(Christian Morgenstern, Schwalben, aus: Ein Sommer. Verse. S. Fischer, Berlin, 1900, Online-Quelle)

Die Schwalben schossen vorüber tief dir zu Füßen

Die Schwalben schossen vorüber tief dir zu Füßen,
Als sei ihr Flug ihr Zeichen tief dich zu grüßen.
Oft dünkten die Vögel am Himmel mich mehr klug
Wie mancher, den ich nach Wegen der Erde frug.
Schwalben, die früh bis spät in Freiheit schwammen,
Die halten sich in Liebe eng zusammen.
Sie bauen ihr Nest warm wie der Mensch sein Dach.
Sie fliegen von früh bis spät begeistert wach
Und eilen stets hurtig dem Weg ihres Herzens nach.

(Max Dauthendey, Die Schwalben schossen vorüber tief dir zu Füßen, aus: Lusamgärtlein, in: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 279)

Sonnenkraft

Und immer wieder sinkt der Winter
und immer wieder wird es Frühling
und immer immer wieder stehst du
und freust dich an dem ersten Grün,
und wenn die kleinen Veilchen blühn,
und immer wieder ist es schön
und macht es jung und macht es froh,
und ob du’s tausendmal gesehn:
wenn hoch in lauen blauen Lüften
die ersten Schwalben lustig zwitschern …
immer wieder … jedes Jahr …
sag, ist das nicht wunderbar?!

Diese stille Kraft der Seele:
immer neu sich aufzuringen
aus dem Banne trüber Winter,
aus dem Schatten grauer Nächte,
aus der Tiefe in die Höhe …
sag, ist das nicht wunderbar?!
diese stille Kraft der Seele,
immer wieder
sich zur Sonne zu befrein,
immer wieder stolz zu werden,
immer wieder froh zu sein?!

(Cäsar Flaischlen, Sonnenkraft, in: Ziel-entgegen, aus: Aus den Lehr- und Wanderjahren des Lebens, Erstdruck 1900, Online-Quelle)

Schwalbensiciliane.

Zwei Mutterarme, die das Kindchen wiegen,
Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.
Maitage, trautes Aneinanderschmiegen,
Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.
Des Mannes Kampf: Sieg oder Unterliegen,
Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.
Ein Sarg, auf den drei Handvoll Erde fliegen,
Es jagt die Schwalbe weglang auf und nieder.

(Detlev von Liliencron, Schwalbensiciliane, aus: Adjutantenritte und andere Gedichte, Leipzig, 1883, Online-Quelle)


Quelle: Pixabay

Ich konnte nicht widerstehen, auch wenn ich eigentlich Schwalben im Flug hätte haben wollen …

Kommt gut und heiter durch diese Woche!

 

Von Blumen im Frühling

Ein Aufathmen (I.)

Grüne Tannen, bunte Blumen,
Blauer Himmel, Luft und Duft,
Silberhelle Wasser rieseln
Aus der grauen Felsenkluft.

Helle Sonnenlichter zittern
Spielend auf dem feuchten Grund,
Und der Vögel heimlich Zwitschern
Gleicht dem Wort aus liebem Mund.

Grüne Tannen – kleine Vögel,
Ach, – ihr kennt ein Zauberwort – –
Euer Rauschen, euer Zwitschern
Scheucht die alten Schmerzen fort!

(Ada Christen, Ein Aufathmen, aus: Aus der Asche (Neue Gedichte), 1870, Online-Quelle)

Kleine Blume

Kleine Blume an meinem Pfad
Die mein achtloser Fuß zertrat,
Was ich fehlte, ich mach’ es gut:
Sollst mir schmücken den Wanderhut.

Sollst mich mahnen, wie flücht’ge Hast
Oft schon sinnige Lust verpasst,
Achtlos sonniges Glück zertrat, −
Kleine Blume an meinem Pfad.

(Anna Dix, Kleine Blume, aus: Aus jungem Herzen, 1898, Online-Quelle)

Es kommt der Regen des Frühlings

Es kommt der Regen des Frühlings,
Und bringt den Segen des Frühlings.
Die Blumen stehen und warten
An allen Stegen des Frühlings,
Und Düfte streuen die Lüfte
Auf allen Wegen des Frühlings.
Doch mein Gemüth ist beklommen
In Kummer wegen des Frühlings;
Wie ich soll feiern die Feier,
Ich bin verlegen, des Frühlings?
Mir ist im Froste des Winters
Die Lust erlegen des Frühlings.
Bis euch, ihr Blumen, die blühtet
In Lustgehegen des Frühlings,
Mir neu anreget zu blühen
Ein Hauch allregendes Frühlings;
Hab’ ich, ein trauriger Gärtner,
Das Grab zu pflegen des Frühlings.

(Friedrich Rückert, Es kommt der Regen des Frühlings, aus: Kindertodtenlieder aus seinem Nachlasse, Frankfurt a. M. 1872, S. 213–214, Online-Quelle)



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Von Ostern und Frühling

Die Amseln haben Sonne getrunken

Die Amseln haben Sonne getrunken,
aus allen Gärten strahlen die Lieder,
in allen Herzen nisten die Amseln,
und alle Herzen werden zu Gärten
und blühen wieder.

Nun wachsen der Erde die großen Flügel
und allen Träumen neues Gefieder;
alle Menschen werden wie Vögel
und bauen Nester im Blauen.

Nun sprechen die Bäume in grünem Gedränge
und rauschen Gesänge zur hohen Sonne,
in allen Seelen badet die Sonne,
alle Wasser stehen in Flammen,
Frühling bringt Wasser und Feuer
liebend zusammen.

(Max Dauthendey, Die Amseln haben Sonne getrunken, aus: Reliquien, in: Gesammelte Gedichte und kleinere Versdichtungen, Albert Langen, München 1930, S. 122)

[Andre haben andre Schwingen]

Andre haben andre Schwingen,
Aber wir, mein fröhlich Herz,
Wollen grad hinauf uns singen,
Aus dem Frühling himmelwärts!

(Joseph von Eichendorff, Andre haben andre Schwingen, in: VI. Geistliche Gedichte, aus: Gedichte, 1841, Online-Quelle)

Ewige Ostern

Als sie warfen Gott in Banden,
Als sie ihn ans Kreuz geschlagen,
Ist der Herr nach dreien Tagen
Auferstanden.

Felder dorren. Nebel feuchten.
Wie auch hart der Winter wüte:
Einst wird wieder Blüt’ bei Blüte
Leuchten.

Ganz Europa brach in Trümmer,
Und an Deutschland frißt der Geier, –
Doch der Frigga heiliger Schleier
Weht noch immer.

Leben, Liebe, Lenz und Lieder:
Mit der Erde mag’s vergehen.
Auf dem nächsten Sterne sehen
Wir uns wieder.

(Klabund, Ewige Ostern, aus: Die Harfenjule, Berlin 1927, Online-Quelle)



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Feiertag hin oder her, mein Wunsch an euch ändert sich nicht: Kommt gut (heil und gesund) durch diesen Tag, diese Woche!

 

Von Trost

Am Luganer See

Durchs Fenster strömt der See zu mir herein,
Der Himmel auch mit seinem Mondenschein.
Die Wogen ziehen über mir dahin,
Ich träume, daß ich längst gestorben bin.
Ich liege auf dem Grunde alles Seins
Und bin mit Kiesel, Hecht und Muschel eins.

(Klabund (Alfred Henschke), Am Luganer See, aus: Gedichte, 1926, Artikel über Klabunds Situation, Online-Quelle)

Dämmerung

Am Himmel steht der erste Stern,
Die Wesen wähnen Gott den Herrn,
Und Boote laufen sprachlos aus,
Ein Licht erscheint bei mir zu Haus.

Die Wogen steigen weiß empor,
Es kommt mir alles heilig vor.
Was zieht in mich bedeutsam ein?
Du sollst nicht immer traurig sein.

(Theodor Däubler, Dämmerung, aus: Das Sternenkind, 1916, Online-Quelle)

[Tröste dich, die Stunden eilen]

Tröste dich, die Stunden eilen,
Und was all’ dich drücken mag,
Auch das Schlimmste kann nicht weilen,
Und es kommt ein andrer Tag.

In dem ew’gen Kommen, Schwinden,
Wie der Schmerz liegt auch das Glück,
Und auch heitre Bilder finden
Ihren Weg zu dir zurück.

Harre, hoffe, nicht vergebens
Zählest du der Stunden Schlag;
Wechsel ist das Los des Lebens,
Und – es kommt ein andrer Tag!

(Theodor Fontane, Tröste dich, die Stunden eilen, aus: Vor dem Sturm, Dritter Band, 6. Kapitel „Im Kolleg“, 1878, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Das ist übrigens wirklich der Luganer See.

Kommt alle gut und fröhlich und heil (also anders als ich) in und durch die neue Woche und genießt die Feiertage, so ihr feiert!

 

Von Mut

Krokodile

Einst
war meine Seele ein Lämmchen.

Sie packten es,
schoren ihm gierig seinen weißen Flaum,
und auf sein rosiges Schnuffelschnäuzchen schlugen sie mit Knütteln.

Sein jämmerliches Weinen
rührte sie nicht.

Aus meinen Schwielen
wurden Schuppen.

Ich wuchs zum grünen Drachen mit langer Krokodilschnauze,
unter jedem Zahn eine Giftdrüse.

Ich beiße alle in den Bauch!

Sie weichen mir aus.

Ich bin böse, unchristlich und überhaupt ein Gemütsmensch.

(Rolf Wolfgang Martens, Krokodile, aus: Befreite Flügel, 1899, Online-Quelle)

Der Unterschied zwischen Kraft und Mut

Man braucht Kraft, um stark zu sein,
aber man muß Mut haben, um höflich zu sein.

Man braucht Kraft, um sich zu verteidigen,
aber man muß Mut haben, um Vertrauen zu haben.

Man braucht Kraft, um einen Kampf zu gewinnen,
aber man muß Mut haben, um sich zu ergeben.

Man braucht Kraft, um recht zu haben,
aber man muß Mut haben, um zu zweifeln.

Man braucht Kraft, um stabil zu bleiben,
aber man braucht Mut, um aufrichtig zu bleiben.

Man braucht Kraft, um seine eigenen Fehler zu verbergen,
aber man braucht Mut, um dieselben einzugestehen.

Man braucht Kraft, um das Unrecht zu ertragen,
aber man braucht Mut, um dasselbe zu beenden.

Man braucht Kraft, um alleine zu bleiben,
aber man braucht Mut, um Hilfe zu bitten.

Man braucht Kraft zum Lieben,
aber man braucht Mut, um geliebt zu werden.

Man braucht Kraft, um zu überleben,
aber man braucht Mut zum Leben.

(Berthold Auerbach, Der Unterschied zwischen Kraft und Mut, Online-Quelle, wer eine bessere hat, möge sie bitte nennen – laut Wikipedia (hier) hat Auerbach keine Gedichte geschrieben, und die Formulierung kommt mir sehr modern vor)



Quelle: Pixabay

Wie immer: Kommt gut, heil und gesund in und durch die neue Woche!

 

Vom Vorfrühling (3)

Vorfrühling

Härte schwand. Auf einmal legt sich Schonung
an der Wiesen aufgedecktes Grau.
Kleine Wasser ändern die Betonung.
Zärtlichkeiten, ungenau,

greifen nach der Erde aus dem Raum.
Wege gehen weit ins Land und zeigens.
Unvermutet siehst du seines Steigens
Ausdruck in dem leeren Baum.

(Rainer Maria Rilke, Vorfrühling, In: Die Gedichte 1922 bis 1926 (Muzot, etwa 20. Februar 1924), Online-Quelle)

Frühling.

Frühling.
Ein erstes Blühen
In zarten Frühen,
Vom Himmelssaum
Ein Stern noch schaut.
Ein Lercheschlag
Im stillen Raum,
Weit vor Tag
Und sonst kein Laut.
O Liebe.

(Georg Heym, Frühling, aus: Frühwerk, in: Georg Heym, Dichtungen und Schriften, Gesamtausgabe, Band 1: Lyrik, Verlag Heinrich Ellermann 1964, Online-Quelle)

Vorfrühling

Leise tritt auf …

Nicht mehr in tiefem Schlaf,
in leichtem Schlummer nur
Liegt das Land:
Und der Amsel Frühruf
Spielt schon liebliche
Morgenbilder ihm in den Traum.

Leise tritt auf …

(Ferdinand Avenarius, Vorfrühling, aus: Stimmen und Bilder. Neue Gedichte, 1898, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Und ansonsten gilt das Gleiche wie jede Woche: Kommt gut, heil und gesund in und durch die neue Woche!

 

Vom Lob der Kartoffel

Kartoffellied

Pasteten hin, Pasteten her,
Was kümmern uns Pasteten?
Die Kumme hier ist auch nicht leer,
Und schmeckt so gut, als bonne chère
Von Fröschen und von Kröten.

Und viel Pastet und Leckerbrot
Verdirbt nur Blut und Magen.
Die Köche kochen lauter Not,
Sie kochen uns viel eher tot;
Ihr Herren laßt euch sagen!

Schön rötlich die Kartoffeln sind
Und weiß wie Alabaster!
Sie däun sich lieblich und geschwind
Und sind für Mann und Frau und Kind
Ein rechtes Magenpflaster.

(Matthias Claudius, Kartoffellied, in: Paul Erdmanns Fest, aus: ASMUS omnia sua SECUM portans oder Sämmtliche Werke des Wandsbecker Bothen, Vierter Theil, 1774, Online-Quelle (Text), Online-Quelle (im Kontext))

Die Kartoffel

Es ist für uns Materielle
Nur eine Kartoffel die Welt,
Von der der Weise die Pelle
Fürsorglich herunter schält.

Denn eine von unsern Devisen
Ist die: Kartoffel und Welt,
Sind beide nicht zu genießen,
Wenn man sie nicht richtig quellt.

Der idealistische Stoffel,
Der alles für herrlich hält,
Verzehrt die ganze Kartoffel
Natürlich unabgepellt.

Doch liegt sie ihm dann im Magen,
So jammert er und erzählt,
Wie schwer für ihn zu ertragen
Oft diese so „rohe“ Welt!

Wir aber genießen behaglich
Die Süße, die sie enthält –
Die beste Kartoffel, unfraglich,
Ist – richtig genossen – die Welt.

(A. de Nora (Anton Alfred Noder), Die Kartoffel, aus: Ruhloses Herz, 1908, Online-Quelle)

Abschiedsworte an Pellka

Jetzt schlägt deine schlimmste Stunde,
Du Ungleichrunde,
Du Ausgekochte, du Zeitgeschälte,
Du Vielgequälte,
Du Gipfel meines Entzückens.
Jetzt kommt der Moment des Zerdrückens
Mit der Gabel! – – Sei stark!
Ich will auch Butter und Salz und Quark
Oder Kümmel, auch Leberwurst in dich stampfen.
Mußt nicht so ängstlich dampfen.
Ich möchte dich doch noch einmal erfreun.
Soll ich Schnittlauch über dich streun?
Oder ist dir nach Hering zumut?

Du bist ein so rührend junges Blut. –
Deshalb schmeckst du besonders gut.
Wenn das auch egoistisch klingt,
So tröste dich damit, du wundervolle
Pellka, daß du eine Edelknolle
Warst, und daß dich ein Kenner verschlingt.

(Joachim Ringelnatz, Abschiedsworte an Pellka, aus: Gedichte, Gedichte von Einstmals und Heute, 1934, Online-Quelle)

Altes Lied

Es war einmal ein Bäcker,
Der prunkte mit einem Wanst,
Wie du ihn kühner und kecker
Dir schwerlich träumen kannst.

Er hat zum Weibe genommen
Ein würdiges Gegenstück;
Sie konnten zusammen nicht kommen,
Sie waren viel zu dick.

(Frank Wedekind, Altes Lied, aus: Die vier Jahreszeiten, 1905, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Fastenzeit, ja? Ich weiß ja nicht, wie das bei euch ist, aber den einen oder die andere von euch wird man doch bestimmt damit hinter dem Ofen vorlocken können, oder? Tatsächlich ist Claudius’ bekanntes Kartoffellied offen politisch, daher habe ich euch einmal den puren Text und einmal im Kontext verlinkt. Nora und Ringelnatz sprechen mit einem Augenzwinkern für sich, und den Wedekind konnte ich mir nicht verkneifen, nachdem ich ihn gefunden hatte …

Kommt gut und heiter und gesund in und durch eure neue Woche! 😉

 

Von Waldeinsamkeit

[Waldeinsamkeit]

Waldeinsamkeit,
Die mich erfreut,
So morgen wie heut
In ewger Zeit,
O wie mich freut
Waldeinsamkeit.

Waldeinsamkeit
Wie liegst du weit!
O Dir gereut
Einst mit der Zeit.
Ach einzge Freud
Waldeinsamkeit!

Waldeinsamkeit
Mich wieder freut,
Mir geschieht kein Leid,
Hier wohnt kein Neid
Von neuem mich freut
Waldeinsamkeit.

(Ludwig Tieck, Waldeinsamkeit, in: Der blonde Eckbert (Kunstmärchen) (Wikipedia), 1797, aus: Volksmärchen, Online-Quelle)

[Waldeinsamkeit]

Waldeinsamkeit!
Du grünes Revier,
Wie liegt so weit
Die Welt von hier!
Schlaf nur, wie bald
Kommt der Abend schön,
Durch den stillen Wald
Die Quellen gehn,
Die Mutter Gottes wacht,
Mit ihrem Sternenkleid
Bedeckt sie dich sacht
In der Waldeinsamkeit,
Gute Nacht, gute Nacht! –

(Joseph von Eichendorff, Waldeinsamkeit, aus: Gedichte (1841), Online-Quelle)

[Waldeinsamkeit]

O zaubergrüne Waldeseinsamkeit,
Wo alte, dunkle Fichten stehn und träumen,
Wo klare Bächlein über Kiesel schäumen
In tief geheimer Abgeschiedenheit.

Nur Herdenglockenlaut von Zeit zu Zeit,
Und leises Säuseln oben in den Bäumen,
Dann wieder Schweigen wie in Tempelräumen,
O zaubergrüne Waldeseinsamkeit! –

Hier sinkt des Erdendaseins enge Schranke,
Es fühlt das Herz sich göttlicher und reiner,
Als könnt es tiefer schauen und verstehen.

Da löst sich manch unsterblicher Gedanke;
Woher das kommt, das ahnet selten einer, –
Es ist des Weltengeistes nahes Wehen.

(Hermann Allmers, Waldeinsamkeit, aus: Dichtungen, 1860, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Mein romantischer Ausflug hält an, heute in die Waldeinsamkeit, was dort ein häufig verwendeter literarischer Begriff war (Wikipedia). Heute begebe ich mich mit Herrn Tieck sogar in die Frühromantik, und siehe da, der Kontext dieses Gedichtes (das nicht als Gedicht konzipiert ist, sondern eine Zusammenstellung dreier Strophen darstellt, die einem seiner Kunstmärchen entnommen sind) ist sehr straight, reichlich erschreckend, höchst moralisch und lohnt das Lesen sehr, wie ich finde.

Kommt gut und gesund und heiter in und durch die neue Woche!

 

Von Frost und Vorfrühling

Hoffnung

Und dräut der Winter noch so sehr
Mit trotzigen Gebärden,
Und streut er Eis und Schnee umher,
Es muss doch Frühling werden.

Und drängen die Nebel noch so dicht
Sich vor den Blick der Sonne,
Sie wecket doch mit ihrem Licht
Einmal die Welt zur Wonne.

Blast nur, ihr Stürme, blast mit Macht,
Mir soll darob nicht bangen,
Auf leisen Sohlen über Nacht
Kommt doch der Lenz gegangen.

Da wacht die Erde grünend auf,
Weiß nicht, wie ihr geschehen,
Und lacht in den sonnigen Himmel hinauf
Und möchte vor Lust vergehen.

Sie flicht sich blühende Kränze ins Haar
Und schmückt sich mit Rosen und Ähren
Und lässt die Brünnlein rieseln klar,
Als wären es Freudenzähren.

Drum still! Und wie es frieren mag,
O Herz, gib dich zufrieden;
Es ist ein großer Maientag
Der ganzen Welt beschieden.

Und wenn dir oft auch bangt und graut,
Als sei die Höll’ auf Erden,
Nur unverzagt auf Gott vertraut!
Es muss doch Frühling werden.

(Emanuel Geibel, Hoffnung, aus: Zeitstimmen, 1846, Online-Quelle)

Sehnsucht nach dem Frühling

O wie ist es kalt geworden
und so traurig öd und leer!
Rauhe Winde wehn von Norden,
und die Sonne scheint nicht mehr.

Auf die Berge möcht ich fliegen
möchte sehn ein grünes Tal
möcht in Gras und Blumen Liegen
und mich freun am Sonnenstrahl.

Möchte hören die Schalmeien
und der Herden Glockenklang
Möchte freuen mich im Freien
an der Vögel süßem Sang!

Schöner Frühling, komm doch wieder
Lieber Frühling, komm doch bald
Bring uns Blumen, Laub und Lieder
schmücke wieder Feld und Wald

(August Heinrich Hoffmann von Fallersleben, Sehnsucht nach dem Frühling, 1849, aus: Die Kinderwelt in Liedern, 1853, Online-Quelle)

Vorfrühling

Sieh da: Die Weide schon im Silberpelz,
Die Birken glänzen, ob auch ohne Laub,
In einem Lichte, das wie Frühling ist.
Der blaue Himmel zeigt türkisenblau
Ganz schmale Streifen, und ich weiß, das ist
Des jungen Jahres erster Farbenklang,
Die ferne Flöte der Beruhigung:
Die Liebe hat die Flügel schon gespannt,
Sie naht gelassenen Flügels himmelher,
Bald wird die Erde bräutlich heiter sein.

Nun Herz, sei wach und halte dich bereit
Dem holden Gaste, der mit Blumen kommt
Und Liebe atmet, wie die Blume Duft.
Sei wach und glaube: Liebe kommt zu dir,
Wenn du nur recht ergeben und getrost
Dich auftust wie ein Frühlingsblumenkelch.

(Otto Julius Bierbaum, Vorfrühling, aus: Das seidene Buch. Eine lyrische Damenspende, 1904, Online-Quelle)



Quelle: Pixabay

Ich könnte mir vorstellen, dass einige von euch wie ich auch von der Rückkehr von Schnee und Frost überrascht worden sind. Schön, die drei Flocken hier kann man als Deko bezeichnen, aber wir hatten letzte Nacht doch (für diesen Winter) ganz anständig Frost, was den Fellträger wieder auf der Heizung festgetackert hat, nachdem er zuvor durchaus wieder bisschen frühlingslustiger geworden war. Na ja. Wird nicht lange bleiben, sagt die Wettervorhersage.

Ich auf jeden Fall habe das zum Anlass genommen, noch mal ein paar Fast-Wintergedichte herauszukramen, dieses Mal auch ältere, ich hatte plötzlich so sentimentale Anwandlungen.

Kommt gut und heil und warm in und durch die neue Woche – und erkältet euch nicht!

 

Von Tanten und Verwandten

Verwandte

Ihr seid beleidigt, weil ich nicht
Gerührt in Eure Arme stürze
Und das Verzeihungs-Arangement
Mit keiner Reuescene würze.
Ich flehte nicht, Ihr selber seid
Nun plötzlich gnädig mir gewogen;
Doch legt die Gnadenmienen ab,
Schaut, welche Kluft Ihr einst gezogen.
Setzt nur herüber kühnen Sprungs,
Seid einmal menschlich-unbesonnen. …
Brecht Ihr auch das Genick dabei,
Hat Welt und Hölle nur gewonnen.

(Ada Christen, Verwandte, aus: Aus der Asche (Neue Gedichte), 1870, Online-Quelle)

Die erste alte Tante sprach

Die erste alte Tante sprach:
Wir müssen nun auch dran denken,
Was wir zu ihrem Namenstag
Dem guten Sophiechen schenken.

Drauf sprach die zweite Tante kühn:
Ich schlage vor, wir entscheiden
Uns für ein Kleid in Erbsengrün,
Das mag Sophiechen nicht leiden.

Der dritten Tante war das recht:
Ja, sprach sie, mit gelben Ranken!
Ich weiß, sie ärgert sich nicht schlecht
Und muß sich auch noch bedanken.

(Wilhelm Busch, Die erste alte Tante sprach, aus: Kritik des Herzens, 1874, Online-Quelle)

Überall

Überall ist Wunderland.
Überall ist Leben.
Bei meiner Tante im Strumpfenband
Wie irgendwo daneben.
Überall ist Dunkelheit.
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
Stirbt sich was für einige Zeit.
Überall ist Ewigkeit.

Wenn Du einen Schneck behauchst,
Schrumpft er ins Gehäuse,
Wenn Du ihn in Kognak tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.

(Joachim Ringelnatz, Überall, aus: 103 Gedichte, 1933, Online-Quelle)

Irrlichter

Wir haben einen alten Verkehr
mit den Lichtern im Moor.
Sie kommen mir wie Großtanten vor …
Ich entdecke mehr und mehr

zwischen ihnen und mir den Familienzug,
den keine Gewalt unterdrückt:
diesen Schwung, diesen Sprung, diesen Ruck, diesen Bug,
der den andern nicht glückt.

Auch ich bin dort, wo die Wege nicht gehn,
im Schwaden, den mancher mied,
und ich habe mich oft verlöschen sehn
unter dem Augenlid.

(Rainer Maria Rilke, Irrlichter, Muzot, Mitte Februar 1924, in: Ausgesetzt auf den Bergen des Herzens, Gedichte aus den Jahren 1906 bis 1926, insel tb 98, 1953, S. 147)



Quelle: Pixabay

Jaaaa, der Rilke passt nicht so recht in die Reihe, zugegeben. Aber ehrlich gesagt dachte ich, wenn ich den jetzt nicht festhalte, dann finde ich ihn nieeee wieder …

Sind die (Kopfbedeckungen der) Tanten nicht großartig? Die scheinen auf der Insel Mainau zu stehen, tun sie das immer noch ;-)?

Kommt wie immer gut und heiter (und gesund) in und durch die neue Woche!